Diagnose

Das Posttraumatische Belastungssyndrom entsteht als Reaktion auf eine oder  mehrere traumatisierende Situationen (Vergewaltigung, Kriegserlebnisse, Folterung...), die man selbst erlebt oder bei anderen beobachtet hat. Das erlebte Gefühl von Hilflosigkeit erschüttert das grundsätzliche Welt- und Selbstverständnis.

Die Diagnose kann mit dem DSM IV oder dem ICD 10 vorgenommen werden (siehe Linkliste). Es sind Diagnosebögen, in denen eine Klassifikation der Symptome vorgenommen wird. Dazu wird noch ein Interview durchgeführt.

Kennzeichen für eine Posttraumatische Belastungsstörung sind:

  • Wiedererleben der traumatisierenden Situation oder von Teilen von ihr in Träumen, Flashbacks, Halluzinationen
  • Amnesie, was die traumatisierende Situation betrifft
  • Seelische und körperliche Belastung bei Erinnerungen an die traumatisierende Situation
  • Vermeidung von allem, was mit dem Trauma zu tun hat
  • Innerliche Leere
  • Erhöhte Reizbarkeit
  • Wut- und Gewaltausbrüche
  • Suchtverhalten (Alkohol, Drogen).

Weitere Fragebögen findet man bei Huber 1, S. 241 ff.

Diagnose

Leitlinien "Posttraumatische Belastungsstörung" der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.)
Übersichten für Fachleute, aber gut verständlich

Der ICD-GM-2013 Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision
Diagnoseschema für neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen

http://www.uni-due.de/imperia/md/content/rke-pp/projekte/...
Essener Trauma-Inventar, Fragebogen zur Belastung

Essener Trauma-Inventar
Überblick über Diagnoseverfahren, sehr umfangreiche Sammlung von Untersuchungen

Der DSM IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
Nur englischer Text

Institut Berlin
Aus- und Weiterbildungsinstitut

Phasen der Traumatherapie

Voraussetzung für eine Traumatherapie ist der Wille des Patienten, sich seinem Leiden zu stellen. Dabei muss er sich bewusst sein, dass weder das Geschehen noch die Erinnerung daran ausgelöscht werden können.

In drei Phasen kann man einen Therapieverlauf einteilen:

1. Phase: Diagnose, Stabilisierung, Erarbeitung einer produktiven Beziehung, Einbeziehung von Ressourcen

2. Phase: Umgang mit Gefühlen; Distanzierungsmechanismen von Traumamaterial

3. Phase: Trauerarbeit und Integration. 

(Diese Terminologie vor allem nach Huber 2, S. 18 u. a.)

 

Hilfe bei akut traumatisierten Menschen

Bei der Begegnung mit akut traumatisierten Menschen soll beachtet werden (Beispiel nach einem Unfall auf der Autobahn):

  • Person in Sicherheit bringen, ihr signalisieren "Gefahr vorüber"
  • Beschreibung, was passiert ist und gegenwärtig passiert, um sie an die Realität heranzuführen
  • Fragen nach Ereignissen vor dem Unfall und dem Ziel der Fahrt, um sie in dem Rahmen von Zeit und Raum verankern
  • Bei Rastlosigkeit beruhigen, bei Plänen für Handlungen ("Ich muss meine Frau anrufen") unterstützen, um seine Handlungsfähigkeit zu verstärken
  • Da sein und zuhören, was passiert ist. Das dient dem Selbstorientierungsprozess. Das Reden über den Unfall aber nicht verstärken (Gefahr der Retraumatisierung)
  • Bei Gefühlsausbrüchen (weinen, schreien), zeigen, dass man die Reaktionen für angemessen hält
  • Die Person von Selbstvorwürfen und -beschuldigungen entlasten
  • Die Person nicht lenken wollen, sondern dezent für sie da sein
  • Wenn man merkt, dass eine Person "abwesend" ist, Orientierung im Hier und Jetzt (z. B. durch Klatschen mit den Händen, pfeifen) geben
  • Wenn es geht, durch Bewegungen Stress abbauen.

Und immer wieder:                                    

ATMEN

 Nach Institut Berlin, http://www.institut-berlin.de/infos-downloads/; 05.03.2013

Die Schläger

Um zwei Uhr nachts verlässt Haki T. eine Diskothek. Als er um die Ecke biegt, sieht er eine Gruppe von fünf kräftigen Männern mit Glatze und schwarzen Trainingsanzügen. Haki schleicht sich die Mauer eines Hauses entlang. Einer aus der Gruppe schreit: "Da, ein Kanake! Den holen wir uns." Zwei schneiden ihm von vorne den Weg ab, zwei von hinten und der Kräftigste kommt auf ihn zu und beschimpft und beleidigt ihn. Haki versucht zu fliehen. Aber sie halten ihn auf und treiben ihn mit Schlägen vor sich her, bis er zu Boden geht. Sie bearbeiten seinen Körper mit Fußtritten. Haki empfindet bald nichts mehr. Er denkt: Das ist doch alles nicht wahr. Sein Körper scheint keinen Schmerz mehr zu spüren. Der Verprügelte sieht sich selber von außerhalb zu, wie er geschlagen wird.

Der Körper bzw. das Gehirn reagiert in solchen Ausnahmesituationen so, dass die Realität nicht mehr wie bisher wahrgenommen wird. Der Schock lässt einen gefühllos werden. 

Erschütternd sind die Berichte über die Muselmanen in KZs, die als "wandelnde Leichen" unbewegt jede Quälerei ertrugen. Sie existierten zwischen Leben und Tod, vielleicht einem Nahtoderleben ähnlich.1Ihr Körper hat sie empfindungslos gemacht, wie bei Haki, um den Schmerz nicht zu spüren.

Wenn diese Zeit der Dissoziation (Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen) vorbei ist, spürt man den tatsächlichen Schmerz. Die Dissoziation hilft, die Situation zu überleben. Würde man sich wehren, könnte das den Täter anstacheln. Denn dem Täter solcher Gewaltverbrechen geht es in erster Linie um das Gefühl, Macht über einen Menschen zu haben.


Siehe Agamben, S. 36 ff.

Atmen

In jeder Phase der Behandlung wird auf die Atmung hingewiesen. Wenn Schwierigkeiten auftauchen, soll der Patient auf seine Atmung achten.

Es gibt viele Arten des Achtens auf den Atem.

Die einfachste (und sehr wirkungsvoll) ist: Hand oder beide Hände auf das Zwerchfell legen und sich auf die Bewegung des Bauches konzentrieren.

Hilfe bietet auch das Zählen: Augen schließen, einatmen, dabei bis 4 zählen, Atem anhalten, dabei bis zwei zählen, ausatmen, dabei bis 4 oder sechs zählen, Atem anhalten, dabei bis zwei zählen.

Dazu sei auf die vielen Yoga- und Qigong-Übungen verwiesen, die körperliche Bewegungen mit Atemübung/-schulung verbinden.

Big-T-Trauma, small-t-Trauma

Der achtjährige Ben, ein etwas dicklicher Junge, soll im Sportunterricht eine Rolle vorwärts vor der ganzen Klasse machen, weil er bisher daran gescheitert war. Er purzelte immer seitwärts von der Matte. Als er bei dem Versuch mit dem Po in der Höhe herumstrampelte, schlug ihm der Lehrer mit der flachen Hand kräftig auf das Gesäß, woraufhin die Klasse in Gelächter ausbrach.

Empört stiefelte de Drittklässler nach Hause in der Hoffnung, dass der Vater den Lehrer wegen des Schlagens zur Rede stellen würde. Als er dem Vater dies erzählte, lachte der ihn aus und meinte, es solle nicht so empfindlich sein. Auch bei der Mutter fand er kein Verständnis. Sie sagte nur: "Du bist zu dick. Iss nicht so viel!"

Am nächsten Morgen verspotteten ihn seine Klassenkameraden, schlugen ihm auf den Po und schrien: "Rolle vorwärts!"

Eine Kleinigkeit, unter der nicht nur der achtjährige Ben litt. Noch mit vierzig Jahren bekam er Schweißausbrüche, wenn er vor einer Gruppe etwas machen sollte.

Man kann zwei Trauma Typen unterscheiden.

Das Big-T-Trauma umfasst spektakuläre Ereignisse wie Krieg, Folter, Misshandlung. Erdbeben, Feuer, schwere Krankheiten...

Das smal-t-Traumata umfasst Ereignisse, bei denen man gedemütigt, beschämt, beleidigt wird und die mit einer Hilflosigkeit verbunden sind (siehe den Fall oben).1

Der Begriff Trauma unterliegt zur Zeit einer Inflation. Aber es ist doch hilfreich, wenn man vor allem bei Kindern die "kleinen" traumatischen Erlebnisse beachtet. Immerhin litt noch der vierzigjährige Ben an dieser Geschichte. Ohne einen Trauma-Kult initiieren zu wollen, scheinen der Begriff und der theoretische Hintergrund sehr geeignet, sie im Alltag zu bedenken. Ob man unter einer traumatisierenden Situation leidet, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Aber wenigstens smal--t-Traumata hat jeder erlebt.

 

 

1Kraemer, S. 45 ff.

Literaturliste, Anmerkung

Agamben, Giorgio: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge, Frankfurt/Main 2003

Huber, Michaela: Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung Teil 1, Paderborn 2003

Huber, Michaela: Wege der Traumabehandlung. Trauma und Traumabehandlung, Teil 2, Paderborn 2006

Kräemer, Horst: Das Trauma der Gewalt. Wie Gewalt entsteht und sich auswirkt. Psychotraumata und ihre Behandlung, München 2003

Zobel Martin (Hrsg.): Traumatherapie. Eine Einführung, Bonn 2006

Anmerkung: Der Artikel stellt sehr kurz Trauma und Möglichkeiten dar, wie man Traumafolgen (teilweise) bewältigen kann. Es berücksichtigt keineswegs alle Aspekte des Themas. Er befähigt den Leser nicht, eigene "Therapieversuche" zu machen. Wer am PTBS leidet, muss zum Arzt. Das Lesen dieses oder eines anderen Artikels oder Buches ist keine Therapie. Die Absicht mit diesem Artikel ist, über diese Möglichkeiten zu informieren, damit man in solchen Fällen die Hoffnung nicht verliert. Viele Hinweise gelten auch für gesunde Menschen: Richtig zu atmen, ist für alle Menschen von Vorteil. Traumatherapie versucht nichts anderes, als die positiven Seiten des Lebens zu verstärken. Mittel dazu, die in einem eigenen Artikel dargestellt werden, helfen auch den wenig belasteten Menschen.

Letzten Endes soll jeder Mensch ein Leben führen, das seiner Persönlichkeit entspricht.

   

 

Autor seit 11 Jahren
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