Du hast mehr als nur "ein Gedächtnis"

Wir Menschen haben nicht einfach "ein" Gedächtnis - wir haben viele verschiedene Arten von Gedächtnis. Meistens denken wir beim Wort Gedächtnis an den Teil unseres Gehirns, wo wir all die Dinge abspeichern, die wir wissen. Unseren eigenen Namen, unser Geburtsdatum, unsere Adresse, den Namen der gegenwärtigen Bundeskanzlerin, was wir gestern Nacht getan haben und so weiter.

Doch es gibt auch eine andere Art von Gedächtnis - und in diesem Gedächtnis werden Informationen und Fähigkeiten abgespeichert, an die wir uns nicht bewusst erinnern können. Das ist das Reich unbewusster Erinnerungen.

Explizites und implizites Gedächtnis

All die Informationen deren wir uns bewusst sein können, befinden sich in unserem expliziten Gedächtnis. All die Informationen die wir jedoch in uns tragen, ohne bewusst darauf zugreifen zu können sind in unserem impliziten Gedächtnis gespeichert.

Tatsächlich werden beide Erinnerungen - implizite und explizite - anders im Gehirn verarbeitet. Explizite (=bewusste) Erinnerungen können nur geschaffen werden, indem sie vom Arbeitsgedächtnis ins Langzeitgedächtnis weitergereicht werden. Die Entstehung impliziter Erinnerungen ist jedoch etwas rätselhafter. Teilweise weiß man, dass beispielsweise motorisches Lernen (das Lernen von Bewegungsabläufen) überwiegend im Kleinhirn geschieht.

Einblick ins Gehirn

Es gibt Menschen, die keine neuen Erinnerungen mehr im Langzeitgedächtnis abspeichern können, aufgrund von Krankheiten oder Gehirnverletzungen. Diese Menschen können sich an Dinge erinnern, die in ihrer Vergangenheit geschehen sind vor einem bestimmten Zeitpunkt, jedoch an nichts mehr was danach geschah. Sie leben im kurzen Zeitfenster ihres Arbeitsgedächtnisses und können sich nur an das erinnern, was gerade eben geschah - und an das, was vor vielen Jahren einmal war.,
Ein Mann der sich beispielsweise an nichts mehr erinnern kann, was nach seinem 30. Lebensjahr geschah wacht jeden Morgen auf und hält sich noch immer für den 30jährigen, der er einmal gewesen ist. Du kannst Dir vorstellen, wie überrascht und ungläubig so ein Mensch reagiert, wenn er als 60jähriger in den Spiegel schaut, und dort ein faltiges altes Gesicht sieht.
Interessant ist jedoch, dass selbst so ein Mensch, der nicht mehr imstande ist neue Erinnerungen zu schaffen und ständig alles vergisst, noch immer implizite neue Erinnerungen abspeichern kann.
In den meisten Fällen kann ein Mensch keine neuen Erinnerungen mehr im Langzeitgedächtnis abspeichern, weil ein bestimmter Teil seines Gehirns - der Hippocampus beschädigt wurde. Der Hippocampus dient als eine Art "Brücke" zwischen dem Arbeitsgedächtnis, in dem Informationen für weniger als eine Minute gespeichert werden, und dem Langzeitgedächtnis, wo bleibende Erinnerungen geschaffen werden. Implizite (also unbewusste) Erinnerungen sind jedoch nicht auf den Hippocampus angewiesen.
Übrigens sind die Erinnerungen, die wir in den ersten drei Lebensjahren formen fast ausschließlich implizite Erinnerungen. Fast alles lernen, das in dieser Zeit geschieht ist implizites lernen. Ein Grund dafür ist, dass unser Neocortex (ein Teil unseres Gehirns) in dieser Zeit noch nicht voll entwickelt ist. Das ist mit einer der Gründe, weshalb Erwachsene sich in der Regel an nichts erinnern können, das vor dem dritten Lebensjahr geschehen ist. (Zwar gibt es Menschen, die Erinnerungen aus dieser frühkindlichen Zeit haben, jedoch handelt es sich dabei meist um konstruierte Erinnerungen. Das heißt nicht, dass so eine Person lügt, sondern lediglich, dass die Erinnerung [meist unbewusst] erschaffen wurde, oftmals basierend auf Erzählungen von anderen oder Fotos. Die Erinnerung scheint auch für die Person selbst echt zu sein, obwohl sie konstruiert ist).

Unbewusste Erinnerungen beeinflussen Charakter und Persönlichkeit

Interessant ist, dass viele der Erinnerungen die unsere Persönlichkeit und unseren Charakter beeinflussen auch im impliziten Gedächtnis abgespeichert werden können. Bestimmte Erlebnisse - oder Glaubenssätze, die Du als Reaktion zu diesen Glaubenssätzen gebildet hast - können in Form impliziter Erinnerungen abgespeichert sein.

Und das ist bedeutsam. Denn Glaubenssätze und Paradigmen sind Werkzeuge, die wir benutzen um unsere Welt zu verstehen. Wir interpretieren Handlungen, Gesten und Worte anderer Menschen mit Hilfe dieser Glaubenssätze und Einstellungen. Wir machen uns Ereignisse schlüssig und erkennen den Sinn und die Bedeutung von Erlebnissen mit Hilfe dieser Glaubenssätze. 

Kurz: unsere unbewussten Erinnerungen sind wie psychologische Linsen, durch die wir die Welt betrachten. Manch einer mag eine rosarote Brille aufhaben, voller Optimismus sein und immer das beste in anderen sehen, während ein anderer alles schwarzmalt und immer böse Absicht hinter allem vermutet.

Das ist jedoch nur ein Beispiel - die Vielfältigkeit, wie implizite Erinnerungen unsere Interpretation unserer Umwelt - und auch unserer Innenwelt, unserer Handlungen, Gedanken und Gefühle - beeinflusst, ist weit größer als nur die Unterscheidung zwischen Optimismus und Pessimismus.

Allein die Tatsache, dass Du Dir bewusst bist, dass implizite Erinnerungen Dein Verständnis der Welt beeinflussen, ist schon ein erster Schritt bewusster und selbstbestimmter zu leben, und mehr zu entscheiden, welche "Programme" in Deinem Kopf laufen sollen und welche nicht.

Bildquelle: http://www.sxc.hu/photo/914335 (clix)

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