Warum erniedrigen sich Menschen so?

Als Systemischer Coach mit der Spezialisierung auf Menschen mit Angsterkrankungen, Phobien und Panikattacken erlebe ich immer wieder Klienten, die sich so weit anderen Personen unterworfen haben, dass ihre eigene Persönlichkeit nur noch rudimentär zu erkennen ist. Auf die Frage, wer sie eigentlich sind und was sie als Person ausmacht, kommt oft nur ein Achselzucken als Antwort. Diese Menschen nehmen oft Erniedrigungen, sogar lang anhaltende und immer wiederkehrende körperliche Angriffe in Kauf, nur um bei einem Menschen bleiben zu können. Im Berufsleben erleiden sie jahrelange Mobbing-Situationen aus Angst, ihren Job zu verlieren.

Stelle ich dann die Frage, wie sie sich heute fühlen, wenn sie an diese Zeiten denken, kommt häufig ein: schlecht, ich weiß nicht, warum ich das so lange ertragen habe, das war mein zweites Ich, ich verstehe mich selber nicht.

Oder meine Klienten sagen: heute verstehe ich die Zusammenhänge, nur damals war ich hilflos

Allen Klienten ist eines gemeinsam: sie haben diese für sie schikanösen und seelisch desaströsen Situationen verlassen und wollen etwas ändern. 

Und das ist der erste, wesentliche Schritt. Denn, ganz klar gesagt, niemand hat von außen die Kraft und die Möglichkeit, diese Menschen aus ihrem Leiden zu befreien, wenn sie selber nicht dazu bereit sind

Entdecken Sie ihre eigene Identität

Meine Begleitung von Klienten beginnt oft mit einer Spurensuche. Warum bin ich so tief gesunken? oder: wie konnte ich mich so ausliefern?, sind dafür symptomatische Fragen. 

Oft ergibt sich in den Gesprächen eine tief sitzende Angst, die den Betroffenen gar nicht bewusst ist. Ablehnung aus dem Elternhaus, das Gefühl der Heimatlosigkeit durch häufige Umzüge mit den Eltern, Hänseleien in der Schule sind nur 3 Beispiele dafür, warum sich Erwachsene gegenüber ihren Mitmenschen erniedrigen.

Nicht immer, aber häufig ist es so, dass diese Menschen ein gering ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben. NEIN zu sagen und ihre eigenen Grenzen zu erkennen haben sie nie gelernt.

Ein Coaching dieser Menschen bedeutet daher oft, erst einmal die Grundzüge der eigenen Identität zu entdecken. Wer bin ich, was macht mich unverwechselbar, diese Fragen sind oft Neuland für meine Klienten. Hier wird, ganz klar gesagt, aufgeholt, was im Kindesalter versäumt wurde, nämlich ein stabiles Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Es reicht nicht, dem Kind einzubleuen, nicht mit Fremden mitzugehen, wenn es zu Hause nur gegängelt und unterdrückt wird und seine eigene Persönlichkeit nicht entwickeln darf. 

Aus den Tiefen der Hölle ist der Weg zurück ins Leben schwer

Ich komme aus der Hölle, so beschrieb einer meiner Klienten, ein Mann, den Ausbruch aus seiner Beziehung. Aufopferung bis zur völligen Selbstaufgabe, so liest sich seine Situation besser, nur es ist lediglich eine freundlichere Umschreibung. Erst nach einer langen Psychotherapie war er in der Lage, die folgenden Schritte allein zu gehen.

Aufenthalte in Tageskliniken gehören ebenso zum Alltag von Menschen mit tief sitzenden Angststörungen wie Rückfälle und Tage voller Apathie.

Der Weg aus der Hölle des Erlebten ist steinig und mühevoll. Er erfordert einen langen Atem und braucht Menschen, die helfen, nicht nur professionell, sondern auch als Ankerpunkte im Alltag. Freundschaften in Tageskliniken, die auch in den Alltag übergehen, sind eine Möglichkeit. Verwandte und Bekannte, die sich vorher abgewendet haben und nun zurück kommen, sind eine starke und effektive Hilfe. Leider sind sie selten.

Wie das neue Leben stabilisiert wird.

Ich war noch nicht so weit, so beschrieb eine Frau einmal ihre damalige Situation auf dem Weg zurück ins Leben. Ich finde diesen Satz bemerkenswert. Bedeutet er doch, ich gehe langsam, aber konsequent meinen Weg.

Allmählich werden neue Haltestangen in das Leben eingezogen, psychische Sicherheiten, die jeder Mensch braucht. In Selbsthillfegruppen lernen sich Betroffene kennen und erleben gegenseitige Hilfe. Psychologisch geschultes Pflegepersonal gibt ebenso Sicherheit wie Therapeuten und Coaches.

Das Wesentliche jedoch ist das eigene Wollen. Denn die ganz individuelle Persönlichkeit annehmen ist eine Aufgabe, die Ihnen niemand abnehmen kann.

Seien Sie nachsichtig mit sich selber, Sie konnten es damals nicht anders, ist ein Tipp von mir, den ich häufig geben. Denn diese gelebte Nachsicht bewirkt eine Vertrautheit des Klienten mit seinem Unbewussten. Die Wut auf sich selber weicht einer Traurigkeit und später, nach einem langen Entwicklungsprozess, der Einsicht, so musste mein Leben eben verlaufen. Diese gelebte Nachsicht ist ein wesentliches Element der Verarbeitung. 

"Wie fühlen Sie sich jetzt, im Hier und Heute", ist eine Frage, die ich im Coaching häufig am Ende einer Stunde stelle. Der Klient soll sich noch einmal fallen lassen und sich spüren, ehe er antwortet. Denn dieses Sich Selber Spüren Und Wahrnehmen, ist die wichtigste Vorraussetzung, mit sich selber im Reinen zu sein und sich nicht einem anderen zu unterwerfen.

c/o Rolf Netzmann

Angstberatung Berlin

http://angstberatung-berlin.de/

Bilder by: pixabay.com

 

 

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