Wie war es überhaupt zum Ersten Weltkrieg gekommen?

Der Erste Weltkrieg hat wie alle Kriege eine bestimmte Vorgeschichte. So hatten sich in den Jahren 1912 bis 1914 die Beziehungen zwischen den damaligen Machtblöcken, nämlich Deutschland, Österreich-Ungarn, dem Osmanischen Reich sowie Italien und Bulgarien auf der einen Seite und England, Frankreich, Portugal, Russland sowie zahlreichen weiteren Staaten auf der anderen Seite zunehmend verschlechtert. Letztere waren durch die Aufrüstung im deutschen Reich sowie das aggressive Auftreten des deutschen Kaisers Wilhelm II. gegenüber seinen europäischen Nachbarn alarmiert. In dieser Situation war das Attentat von Sarajewo auf das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar, das von dem bosnischen Serben Gavrilo Princip verübt wurde, der Funke, der den Weltenbrand auslöste.

Hintergrund war, dass die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie das Attentat dazu nutzen wollte, um Serbien mit Krieg zu überziehen und damit die von Serbien ausgehende Unterminierung des Vielvölkerstaats zu beenden. Und dabei konnte Österreich-Ungarn mit der uneingeschränkten Unterstützung Deutschlands rechnen. Deutschland hatte der Doppelmonarchie sozusagen einen Blankoscheck für ihr Vorgehen gegen Serbien ausgestellt. Daraufhin stellte Österreich-Ungarn Serbien ein Ultimatum mit inakzeptablen Forderungen. Das aber rief Russland als "Schutzmacht" Serbiens und das mit Russland verbündete Frankreich auf den Plan. Von Russland und Frankreich aber verlangte Deutschland, das Vorgehen Österreich-Ungarns gegen Serbien tatenlos hinzunehmen, was für diese Länder eine noch nie dagewesene Erpressung darstellte.

Serbien erfüllte schließlich nicht alle der von Österreich-Ungarn aufgestellten Forderungen und erhielt postwendend die Kriegserklärung der Doppelmonarchie. Fast schon automatisch folgte am 30. Juli 1914 der Kriegseintritt Russlands. Am 1. August erklärte das Deutsche Reich Russland den Krieg und am 4. August Frankreich. Das Deutsche Reich brach also selbst einen Zwei-Fronten-Krieg vom Zaun. Und zwar griffen deutsche Truppen Frankreich von Nordosten an und verletzten somit auch noch die Neutralität Belgiens und Luxemburgs, was wiederum zum Kriegseintritt der belgischen Garantiemacht Großbritannien führte. Waren also Deutschland und seine Verbündeten schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs?

Die Frage nach der Kriegsschuld

Tatsächlich wurde nach Ende des Krieges im sogenannten Vertrag von Versailles Deutschland und seinen Verbündeten die alleinige Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegeben. Deutschland war demzufolge nicht nur der Verlierer des Krieges, sondern wurde auch noch zum Alleinschuldigen erklärt. In Deutschland wurde diese Auffassung prompt von den verantwortlichen Politikern und Militärs als Kriegsschuldlüge zurückgewiesen, und es wurde argumentiert, dass sich Deutschland im Ersten Weltkrieg nur gegen seine Feinde verteidigt hätte.

Schließlich setzte sich in der Nachkriegszeit auch im Ausland die Überzeugung durch, dass nicht die außenpolitischen Ambitionen einer Nation für den Kriegsausbruch verantwortlich waren, sondern dass das Versagen des damaligen Bündnissystems den Krieg ausgelöst hätte. Die europäischen Nationen seien sozusagen in den Krieg "hineingeschlittert". In dieser neuen Sichtweise war also der Erste Weltkrieg quasi ein Versehen, ein Unfall, für den niemand direkt verantwortlich gemacht werden konnte.

Erst in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts, also 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs - an dessen Ausbruch zweifelsfrei Deutschland und seine Verbündeten schuld waren - wurde wieder die Frage nach der Verantwortung Deutschlands für den Ersten Weltkrieg aufgeworfen und kontrovers diskutiert. Und dabei kamen die Beteiligten zu dem Ergebnis, dass Deutschland zwar nicht der Alleinschuldige war, aber doch den Hauptteil der Verantwortung für den Kriegsbeginn zu tragen hatte.

Pünktlich zu den 100. Jahrestagen des Beginns und des Endes des Ersten Weltkriegs ist die Frage, wer den Ausbruch des Krieges verschuldet hatte, wieder in den Vordergrund gerückt, und wieder wird wie in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in wichtigen Diskussionsbeiträgen die deutsche Kriegsschuld relativiert und den anderen damaligen Großmächten eine Mitschuld gegeben. Es wird mit anderen Worten argumentiert, dass allen damaligen Großmächten ein Präventivkrieg gegen den jeweiligen Gegner nicht ungelegen gekommen wäre, weil sie sich Vorteile davon versprachen und deshalb nur halbherzig versucht hätten, den Krieg auf dem Verhandlungswege noch zu verhindern.

Daneben gibt es aber auch Stimmen, die nach wie vor Deutschland die größte Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zuschreiben. Allmählich scheint sich jedoch – sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner - die Auffassung durchzusetzen, dass dieser Krieg das Resultat einer hoch komplexen Gemengelage war und es somit keine einfachen Antworten auf die Frage nach der Kriegsschuld gibt.

Der Erste Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Nachdem der Erste Weltkrieg am 11. November 2018 mit der Waffenstillstandsvereinbarung von Compiègne formell beendet worden war, gab es immer noch keinen wirklichen Frieden. Denn dem Waffenstillstand an den Fronten folgte eine Vielzahl von blutigen Bürgerkriegen, Aufständen und zwischenstaatlichen Konflikten. Speziell in Deutschland und Italien kam es in der Nachkriegszeit zu einer sich immer stärker polarisierenden Deutung des Weltkriegs, so dass sich letztlich pazifistische und militaristisch-nationalistische Interpretationen unversöhnlich gegenüberstanden. In Deutschland konnten sich schließlich die extrem nationalistischen Deutungen durchsetzen und damit auch die Vorstellung, dass der Weltkrieg deshalb verloren gegangen sei, weil man ihn nicht radikal genug geführt hätte, eine Vorstellung, die zum Dogma der neuen nationalsozialistischen Partei wurde, die 1933 in Deutschland an die Macht kam.

In letzter Konsequenz führte dies zur besonderen Radikalität des von Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkriegs, zur Totalisierung des Krieges, der sich vor allem in der Verwischung der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten manifestierte. Das heißt: Die Überzeugung, dass auch Zivilisten, vielleicht sogar gerade Zivilisten, legitime Angriffsziele im Krieg seien, hatte sich zunächst im Ersten Weltkrieg verbreitet und wurde im Zweiten Weltkrieg zu einem Grundsatz der Kriegsführung. Noch gravierender aber ist, dass diese Eskalation der Gewalt, die im Ersten Weltkrieg begann, nicht etwa 1945 endete, sondern sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Die Vorstellung, dass die Völker das eigentliche Ziel von Kriegshandlungen seien, war folglich die wirkungsmächtigste Folge des Ersten Weltkriegs. Deshalb wird dieser Krieg auch als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

Nachwirkungen im 21. Jahrhundert

Der Erste Weltkrieg hatte noch andere globale Folgen, die sich bis ins 21. Jahrhundert auswirken. So wurden die baltischen, aber auch die zentral- und südosteuropäischen Nationen nach der Auflösung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie mit dem Verweis auf nationale Selbstbestimmung in die Unabhängigkeit entlassen. Davon ausgenommen waren aber die Kolonien (auch die Deutschland abgenommenen Gebiete in Afrika und im Pazifikraum) sowie die aus der Zerschlagung des Osmanischen Reiches entstandenen Gebiete des Nahen Ostens. Diese waren 1916 im geheimen Sykes-Picot-Abkommen (benannt nach den Unterhändlern Mark Sykes und Francois Georges-Picot) zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt worden – entgegen den Autonomieversprechungen an die arabischen Volksgruppen.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden zwar die Staaten Syrien, Libanon, Jordanien und Irak ins Leben gerufen. Aber die Siegermächte Frankreich und Großbritannien zogen willkürlich die Grenzlinien für die neuen Länder - ohne die Zustimmung der betroffenen Volksgruppen und ohne ausreichende Kenntnis der völkischen und religiösen Spannungen, die dort herrschten. Insbesondere der sogenannte Arabische Frühling des Jahres 2011 hat diese Spannungen im modernen Nahen Osten, wie er aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen war, offen zu Tage treten lassen, und zwar in besonders krasser Form im syrischen Bürgerkrieg. Noch bitterer ist, dass diese Krisen und Konflikte in den Ländern des Nahen Ostens dazu geführt haben, dass nun riesige Flüchtlingsströme nach Nord- und Westeuropa drängen, was hier wiederum politische Verwerfungen ausgelöst hat.

Für die politischen Krisen im Nahen Osten und in Europa im 21. Jahrhundert sind also auch europäische Diplomaten verantwortlich, die vor hundert Jahren im Nahen Osten nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches infolge des Ersten Weltkriegs eine neue Ordnung schaffen wollten und sich dabei alleine an ihren eigenen Machtinteressen orientiert haben. Folglich können diese Krisen auch als eine Spätfolge des Ersten Weltkriegs begriffen werden.

Quellen:

Erster Weltkrieg. Aus Politik und Zeitgeschichte, 64. Jahrgang 16-17/2014, 14. April 2014

https://www.lpb-bw.de/erster-weltkrieg-zusammenfassung.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/100-jahre-sykes-picot-abkommen-die-wurzel-allen-uebels-im.1008.de.html?dram:article_id=354142

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