Es ging wieder einmal um Studien. Studien jener Art, die "eindeutig" beweisen, dass eine bestimmte Ernährungsform die einzig richtige ist. In meinem Falle war es die China-Study, bzw. deren Interpreten wie etwa Rüdiger Dahlke, die belegt, dass vegane Ernährung oder zumindest eine vegetarische solche zu mehr Gesundheit, längerem Leben und intensiver Lebensfreude führt. "Da wird schon was dran sein", dachte ich mir und beschloss die Durchführung eines Selbstexperimentes. Ich wurde von einem Tag zum anderen Vegetarier. (Dies schien mir doch leichter zu sein als gleich mal als Veganer zu starten.)

Es fiel mir gar nicht schwer, obwohl ich bis dahin stets Fleisch den Vorzug gab. Ja, es machte sogar Spaß und war unglaublich bereichernd. Man kann sagen, ich erlernte eine völlig neue Warenkunde, erweiterte rasant meine Kochkünste und widmete mich auf bis dahin völlig unbekannte Art dem Einkauf. Körperlich ging es mir gut, zu Beginn sogar fulminant besser. Ich spürte eine völlig neue Art von Vitalität in mir. So war für mich gewiss: "Das ist die perfekte Ernährung."

 Angespornt durch die (anfänglichen) positiven Begebenheiten begann ich mich auch für die diversen Hintergründe zu interessieren. Ich sprach mit vielen Menschen, die sich fleischlos ernährten, schaute Dokumentationen und Interviews und las natürlich viele Bücher und Artikel zum Thema. Ich betrachtete die Ernährungsfrage aus kulturwissenschaftlicher, religiöser, ideologischer, spiritueller und medizinischer Sicht. Betroffen erkannte ich dabei schrittweise wie wenig das Thema anhand der eigentlichen Zufuhr von Nährstoffen behandelt wird. Nein, es wird reduziert auf blanke Ideologie, gepaart mit schwarz/weiß-Denken. Ich war baff. Es geht um Krieg! Die einen sind böse, weil sie Tiere umbringen, die anderen, weil sie sich in private Angelegenheiten einmischen. Jäger werden als Mörder beschimpft, Veganer als Linke Chaoten. Fleischesser sind schuld an der Klimaerwärmung, Vegetarier am Kulturverlust. Massentierhaltung und Wildgehege werden über einen Kamm geschert. Et cetera.

 Nach einiger Zeit kam mir wieder der alte Spruch "Divide et impera" in den Sinn. "Teile und Herrsche." So erkannte ich, dass da etwas ganz anderes dahinter steckt, als ewiges Leben und pure Gesundheit. Es geht um Schuld, Hass und Ablenkung. Plötzlich sind Veganer und Fleischesser an kuriosesten Zuständen schuld. Die Gewissheit, dass alles besser wäre, wenn, ja wenn nicht die bösen anderen sich weiter so verhielten, führt zu gegenseitigem Hass. Und in der Zwischenzeit verdient die (gesamte!) Industrie ein Vermögen und die vereinte Weltelite bedient sich ungeniert an den Leistungen der einfachen Menschen...

Mittlerweile war ich zwei Jahre lang Vegetarier. Von massiven körperlichen Verbesserungen konnte ich nichts wahrnehmen. Ebenso wenig was Geist und Seele betrifft. Mein Leben war schlicht und einfach komplizierter geworden, weil ich immer darauf achten musste, dass ja kein Fleisch auf meine Teller wanderte. Zugegeben, in Teilen Indiens wäre dieser Umstand leichter zu bewältigen. Ich lebe aber in Mitteleuropa. Tierische Produkte sind hier allgegenwärtig. Jedenfalls war mir klar geworden, dass ich in einen ideologischen Kleinkrieg geraten war, der (wie die großen auch) lediglich der Wirtschaft nützt. Darüber hinaus gab mir die Beobachtung der Natur und das Bewusstsein der universellen Gesetze in meinen weiteren Entscheidungen recht. Die Natur ist im Sinne des Wortes gnadenlos. Da herrschen einfach bestimmte Gesetze, völlig unabhängig davon ob dies ein Fleischesser oder Vegetarier gut heißt oder nicht. Die gesamte Tier- und Pflanzenwelt funktioniert "gnadenlos", ohne Ausnahmen.

Der Mensch hat freilich den Segen der moralischen und ethischen Empfindsamkeit. An der Tatsache, dass er essen muss um zu überleben kommt er aber ums verrecken nicht vorbei. Dass dies ohne Fleisch möglich ist, aber keine Bedingung darstellt, ja manchmal sogar nur durch tierische Produkte möglich ist, sollte auch klar sein. In diesem Punkt stehe ich fest auf der Seite der Fleischesser. Dass freilich die Art und Weise des Umgangs mit jenen Tieren, die uns als Nahrung dienen so nicht weitergehen darf wie bisher, ist unbestreitbar, was mich auf die Seite der Vegetarier zieht. Und im Zweifelsfalle denke ich schon, dass ein Hirsch die Kugel eines Jägers dem Zerfetzen durch einen Bären vorziehen könnte. So oder so, die Natur sieht vor, dass der Hirsch umkommen wird (um bei diesem Beispiel zu bleiben).

Außerdem ist nicht zu übersehen, dass diese Diskussionen ein Phänomen der westlichen Gesellschaft ist. Ein südamerikanisches Kind aus den Slums wird ja wohl kaum eine tierische Lebensmittelspende ablehnen. Darüber hinaus betrifft das Thema eigentlich fast nur sozial höhere Schichten, seis' finanziell oder intellektuell betrachtet. Allen anderen ist das schlicht und einfach wurscht. Dünnes Eis also, will man aus der fleischlosen Ernährung eine Religion erstehen lassen.

Übrigens: Medizinische Aspekte haben dabei lediglich den Sinn, Geschäftsleute reich zu machen. Kein Grund demnach, sich damit zu beschäftigen.

 Ich entschloss mich also wieder für den Verzehr von Fleisch. Der Gusto oder gar die Gier können keine Rolle gespielt haben, weil ich nach meinem Vorsatz noch gut zwei Wochen vegetarisch gelebt habe. Nein, ich bekannte mich einfach wieder zu mir selbst, der, ganz Mensch, Tiere verzehrt und die ideologisch motivierte Diskussion den anderen überlässt. Doch ich nehme auch ein großes Geschenk aus dieser Epoche mit: Das geschärfte Bewusstsein und den hohen Respekt gegenüber meinen Lebensmitteln.

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