Der Bombenkrieg

Wer verstehen will, warum Dresden überhaupt kurz vor Kriegsende noch im Bombenhagel der Alliierten untergegangen ist, muss versuchen, deren Strategie nachzuvollziehen. Und zwar verfolgten die Alliierten, vor allem die Briten, eine Strategie des Flächenbombardements, also eine Strategie des Luftkriegs, die explizit gegen die Zivilbevölkerung gerichtet war. Als Folge dieser Strategie lagen Deutschlands Städte fünf Jahre unter Dauerbombardement, die historisch gewachsene Städtelandschaft wurde unwiederbringlich vernichtet.

Und zwar wurden – um genaue Zahlen zu nennen - mehr als tausend Städte mit anderthalb Millionen Tonnen Munition angegriffen. Dabei wurde äußerst akribisch vorgegangen. So hatten die englischen Techniker die wirkungsvollsten "Bomben-Mischungen" berechnet: Sprengmunition sollte die Häuser abdecken und die Dachstühle freilegen. In diese wurde dann durch Brandbomben Feuer gelegt. Insbesondere Dresden und Hamburg gingen in den so entfachten Feuerstürmen unter. Einhunderteinundsechzig Städte wurden total zertrümmert. Mehr als 600 000 Zivilpersonen, vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen, aber auch sogenannte Fremdarbeiter und Kriegsgefangene sowie jüdische Mitbürger kamen bei den Bombardements ums Leben. Es war die größte Katastrophe auf deutschem Boden seit dem Dreißigjährigen Krieg.

Die Beweggründe Churchills

Treibende Kraft bei den Flächenbombardements, dem "Area Bombing", war der britische "Kriegspremier" Winston Churchill. In diesem Zusammenhang sprach er anfänglich davon, sich an den Deutschen für deren Bombardierung von Rotterdam und Warschau, Coventry und London rächen zu wollen. Er führte aber auch moralische Gründe an. So waren für ihn die Nationalsozialisten "Mächte der Finsternis", gegen die es die "christliche Kultur" zu verteidigen galt. Dabei machte er allerdings keinen Hehl daraus, dass er sich bei seinem "Kreuzzug" der Mittel bedienen wollte, die der Gegner angewandt hatte, dass er diesen sogar noch übertreffen wollte. Ein weiteres Argument war, dass man den Gegner demoralisieren und damit eine Verkürzung des Krieges erreichen wollte.

Im Verlauf des Krieges änderte sich dann in denkwürdiger und makabrer Weise das Feindbild. Nun war es nicht mehr die "finstere" Nazi-Führung, die erbittert bekämpft werden sollte, sondern ins Fadenkreuz rückte das ganze deutsche Volk. Dieses wurde für den Krieg verantwortlich gemacht und sollte zur Rechenschaft gezogen werden. Vor allem Churchills "Erfüllungsgehilfe", der Luftmarschall Arthur Harris, wollte nach eigenem Bekunden möglichst viele Deutsche töten. Diese Einstellung gegenüber dem deutschen Volk zeigte sich später auch in der Direktive JCS 1067 vom April 1945, in der die Grundzüge der amerikanischen Besatzungspolitik nach dem Krieg festgelegt wurden. Dort hieß es nämlich, dass Deutschland nicht besetzt wird zum Zwecke seiner Befreiung (von den Nazis), sondern als ein besiegter Feindstaat. Churchill schob übrigens nach dem Krieg seine Verantwortung für den Bombenkrieg auf Harris ab. 1956 erhielt er gar den renommierten Karlspreis der Stadt Aachen "für seine Verdienste um Europa".

Drohte Dresden gar ein atomares Inferno?

Im April 1945 verhafteten Mitglieder des US-amerikanischen Sonderkommandos ALSOS die führenden Mitglieder des deutschen Atombombenprojekts und internierten sie auf dem englischen Landsitz Farm Hall, wo ihre Gespräche heimlich abgehört wurden. Wie in dem Buch "Die Nacht der Physiker, Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe" von Richard von Schirach dokumentiert worden ist, kommt, als die Wissenschaftler vom Abwurf der US-Atombombe auf Hiroshima erfahren, Werner Heisenberg auf den angedrohten Abwurf einer Atombombe auf Dresden zu sprechen. Vor einem Jahr habe ihn ein Beamter des Auswärtigen Amtes auf die amerikanische Drohung hingewiesen, eine Atombombe über Dresden abzuwerfen, falls Deutschland nicht bald kapitulieren würde.

Wie in dem Buch auch geschildert wird, hat der "Vater" des amerikanischen Atombombenprojekts, der deutschstämmige Robert Oppenheimer, es ausdrücklich bedauert, dass die Amerikaner die Atombombe nicht frühzeitig genug entwickelt hätten, um sie gegen die Deutschen einsetzen zu können. Bei den anwesenden Kollegen sei bei diesen Worten ein Sturm der Begeisterung ausgebrochen.

Die Frage nach der Legitimität des Bombenhagels auf Deutschland

Unstrittig ist, außer vielleicht bei Angehörigen der extremen Rechten, dass die nationalsozialistische Führung Deutschlands die politische und moralische Hauptverantwortung für den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen trägt. Deshalb gilt der Kampf der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland heute als der Prototyp des gerechten Krieges, und der Bombenhagel auf deutsche Städte wird als legitime Reaktion der angegriffenen Staaten dargestellt. Angesichts der großen Zahl der Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung stellt sich jedoch die Frage, ob die Strategie des Flächenbombardements wirklich gerechtfertigt war, zumal von den Alliierten auch Präzisionsangriffe durchgeführt wurden, eine "humanere" Luftkriegsführung also möglich gewesen wäre. Ferner ist zu bedenken, dass bereits während des Zweiten Weltkriegs in der britischen Bevölkerung Stimmen laut wurden, die sich gegen die großflächige Bombardierung Deutschlands aussprachen und dass sich insbesondere die Einwohner der von der deutschen Luftwaffe bombardierten britischen Städte wie Coventry gegen die Instrumentalisierung ihrer Leiden für Rache-Zwecke wandten.

In Deutschland selbst scheinen viele Menschen davon überzeugt zu sein, dass die Zerstörung vieler deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg "die gerechte Strafe" für die Untaten der Nationalsozialisten war. Auch die Vertreter der demokratischen Parteien und die Massenmedien scheuen vor jeglicher Kritik an der Verwüstung Deutschlands durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg zurück. So wird hinsichtlich der Vernichtung Dresdens in offiziellen Verlautbarungen gebetsmühlenartig wiederholt, "Dresden sei keine unschuldige Stadt gewesen". Anscheinend ist in Deutschland die Zerstörung unzähliger Städte durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg ein Tabuthema, und Kritik daran wird in die "rechte Schmuddelecke" abgeschoben. Inzwischen ist jedoch von renommierten Wissenschaftlern dieses Tabu gebrochen worden, und zwar sowohl von deutschen als auch von ausländischen.

Die Position deutscher Wissenschaftler

Was die deutsche Seite betrifft, so soll zunächst auf die Überlegungen des Juristen Björn Schuhmacher eingegangen werden, die er in seinem Buch "Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg" dargelegt hat. Und zwar analysiert Schumacher die Bombenkriegführung aus völkerrechtlicher Sicht. Hier geht es vor allem um die völkerrechtlichen Prinzipien des Bombenkriegs, die sich an den Kriterien der militärischen Notwendigkeit, der Verhältnismäßigkeit und des erwarteten unmittelbaren militärischen Vorteils orientieren. Daraus ergibt sich nämlich die Frage, ob die Alliierten vor einem völkerrechtlich anzuerkennenden Notstand standen, als sie mit der Flächenbombardierung begannen und diese auch fortsetzten, als der Krieg militärisch entschieden war. Für Schumacher muss diese Frage vernünftigerweise verneint werden. Das heißt: Seiner Meinung nach haben die Briten mit ihren Flächenbombardements massiv gegen alle Grundsätze des Kriegsvölkerrechts verstoßen, und deshalb sei "Kriegspremier" Winston Churchill als Kriegsverbrecher zu verurteilen gewesen.

Ähnlich wie Schumacher geht der Philosoph und Politikwissenschaftler Lothar Fritze bei seiner Kritik an der großflächigen Bombardierung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg – die er in seinem Buch "Die Moral des Bombenterrors" dargelegt hat - von dem Grundsatz aus, dass auch bei einer gerechtfertigten Verteidigung Regeln zu beachten sind. Seiner Meinung nach sind diese Regeln jedoch nicht nur völkerrechtlicher, sondern auch moralischer Natur. Das heißt: Für Fritze ist jemand, der die Forderung aufgibt, dass auch im Kampf gegen den gefährlichsten Feind moralische Regeln zu gelten haben, selbst in das Lager der gefährlichsten Menschenfeinde übergewechselt. Auch nach Ansicht des Historikers Jörg Friedrich waren – wie er in seinem Buch "Der Brand" beschreibt - die Bombenangriffe auf deutsche Städte spätestens seit dem Jahr 1944 ohne einen militärischen Sinn und seien in erster Linie einer menschenverachtenden Militärdoktrin gefolgt.

Die Position ausländischer Wissenschaftler

Britische und amerikanische Wissenschaftler unterstützen ihre deutschen Kollegen. So ist für den renommierten britischen Philosophen und Publizisten A.C. Grayling – wie er in seinem Buch "Die toten Städte" dargelegt hat - die Strategie der gezielten, massenhaften Ermordung deutscher Zivilisten durch die britische Luftwaffe weder mit dem Argument der Vergeltung noch dem der NS-Verbrechen zu rechtfertigen, sondern war ein Akt der Barbarei und ein Kriegsverbrechen. Das heißt: Auch nach Ansicht Graylings haben die Alliierten zwar einen gerechten Krieg gegen Deutschland geführt, sie seien aber in wichtigen Aspekten moralisch genauso tief gesunken wie ihre Gegner, hätten sich also ihren "barbarischen" Herausforderern moralisch angenähert.

Ähnlich hält Gaylings Kollege David Bloxham - der sich im Buch "Firestorm" äußert - speziell die Bombardierung Dresdens für einen Akt der moralischen Grenzüberschreitung, der keineswegs mit den Zwangsläufigkeiten des "Totalen Krieges" erklärt und legitimiert werden dürfe. Ebenso sind für den US-Militärhistoriker Stephen Garrett die alliierten Flächenbombardements spätestens ab 1944 in ihrer Mehrzahl ein Verbrechen und ein Fehler gewesen.

Auch nach Meinung dieser ausländischen Experten war also die Bombardierung militärisch und wirtschaftlich bedeutsamer Ziele in Deutschland legitim, das Flächenbombardement dagegen nicht. Möglicherweise habe – so Grayling und Garrett - das Flächenbombardement sogar dazu beigetragen, den Krieg unnötig zu verlängern, denn wenn Großbritannien die Mittel, die es für das Area-Bombing aufgewendet hat, in die Bekämpfung der deutschen U-Boote im Atlantik und in gezielte Angriffe auf militärisch relevante Versorgungseinrichtungen gesteckt hätte, wäre Deutschland vermutlich früher zusammengebrochen.

Wichtig ist für Grayling auch der Aspekt der kulturellen Vernichtung. So vernichtet man seiner Meinung nach, wenn man eine Stadt auslöscht, nicht nur Menschen, sondern auch Erinnerungen, Traditionen und darüber hinaus ihr historisches Gedächtnis, die Archive, Museen, Universitäten und Bibliotheken. Kurz: Man vernichtet eine ganze Kultur! Speziell Deutschland erlebte die Zerstörung der Stätten und Denkmäler einer tausendjährigen (christlichen) Zivilisation.

Welchen Sinn hat der Blick in die Vergangenheit?

A.C. Grayling liefert auch die Antwort auf die Frage, welchen Sinn es hat, sich im 21. Jahrhundert mit der Kriegführung der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und folglich mit der Zerstörung von Städten wie Dresden, Hamburg, aber auch Hiroshima und Nagasaki, zu beschäftigen. Und zwar war für Grayling der Luftkrieg der Alliierten gegen zivile Ziele der Sündenfall moralischer Grenzverletzungen, den es in Zukunft zu vermeiden gilt, und zwar indem die Bombardierung von Zivilisten, der vorsätzliche Massenmord an Zivilisten, endlich geächtet wird. Es muss mit anderen Worten über erlaubte und verwerfliche Formen der Kriegführung gesprochen werden, damit in Zukunft legitime Kriege nicht mehr als Freibrief für Kriegsverbrechen betrachtet werden können.

Ein persönliches Schlusswort

Als Neu-Dresdnerin teile ich mit den alteingesessenen Dresdnern die Freude darüber, dass die kunsthistorisch bedeutenden Bauwerke der Stadt wiederaufgebaut worden sind, so dass man von der Neustädter Elbseite aus wieder den berühmten "Canaletto-Blick" genießen kann. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, dass auf dem Areal rund um die Frauenkirche immer noch Baulücken klaffen und dass auch die Rekonstruktion des Residenzschlosses immer noch nicht abgeschlossen ist. Es wird schätzungsweise noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis das Herz der Stadt wieder so hergestellt sein wird, wie es einmal war. Es muss aber auch an das erinnert werden, was unwiederbringlich verloren ist, nämlich ein gutes Dutzend Kirchen, wobei einige davon nicht nur den Bomben zum Opfer gefallen sind, sondern auch den Ideologen in der Nachkriegszeit.

Was den städtebaulichen Zustand ganz Deutschlands betrifft, so ist ja schon oft beklagt worden, dass die zerstörten Städte ihr Gesicht nicht nur durch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg verloren hätten, sondern auch durch massive Sünden beim Wiederaufbau. Andererseits gibt es in Deutschland aber auch eine Vielzahl von Städten, die originalgetreu wiederaufgebaut worden sind oder bei denen sich die Bausünden in Grenzen halten. Außerdem setzen sich in vielen der beim Wiederaufbau "verschandelten" Städte mittlerweile Bürgerbewegungen für eine nachträgliche Rekonstruktion des historischen Stadtbildes ein und haben damit auch Erfolg. Anscheinend gibt es bei den Verantwortlichen endlich hinreichend Verständnis dafür, welche Bedeutung historisch gewachsene Städte für die Bürger haben.

Quellen:
https://phinau.de/jf-archiv/archiv07/200731072711.htm

http://www.katholisches.info/2015/03/27/paderborn-27-maerz-1945-akte-des-terrors-und-der-mutwilligen-zerstoerung-vor-70-jahren-3/

http://scusi.twoday.net/stories/248918942/

http://www.geo.de/GEO/heftreihen/geo_epoche/terror-gegen-den-terror-21.html?p=5

 

 

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