Die Angst der Mittelschicht

Untersuchungen zeigen, die Angst der Mittelschicht vor einem sozialen und finanziellen Abstieg ist unbegründet. Doch was genau ist das eigentlich, die Mittelschicht? Sozialwissenschaftlich betrachtet, gehören zu ihr Singlehaushalte ab 1640,00 Euro verfügbarem Einkommen im Monat, bei Paarhaushalten ohne Kinder beginnt sie bei 2460,00 Euro, bei Paarhaushalten mit einem Kind bei 2950,00 Euro verfügbarem Einkommen im Monat. Somit gehören etwa die Hälfte aller deutschen Haushalte zur Mittelschicht, die seit 1990 praktisch unverändert geblieben ist. Auch die Einführung von Hartz IV führte nicht zu ihrer Verringerung, rutschten doch nur 2-3% der Menschen unter ihre früheren Einkommensgrenzen. Real besteht also keine Bedrohungssituation für die Hälfte der deutschen Haushalte. Doch lässt sich auch feststellen, rassistische und rechtsextreme Einstellungen nehmen in der Mittelschicht seit Jahren zu. Welche Ursachen gibt es dafür?

Der Museumspädagoge Jens Hecker formuliert es so: " In der Verachtung schwingt Faszination mit." Während eines Vortrages beleuchtete er das Vorrücken rassistischer Einstellungen in die Mitte der Gesellschaft. "Wir müssen uns Gedanken machen über das, was wir sagen, wie wir es sagen und zu wem wir es sagen", so Jens Hecker weiter. Dazu kommt, die Mittelschicht ist keine festgefügte Konstante, sondern ein "gesellschaftliches Konstrukt" und fast immer in Bewegung. Das bedeutet, rassistische Einstellungen werden weitergetragen, und in einer Gruppendynamik zu gesellschaftlich allmählich akzeptierten Einsichten. Das Argument ist einfach.Wenn angesehene Persönlichkeiten eine solche Meinung vertreten, kann sie ja nicht falsch sein, und so wird sie ohne zu hinterfragen zu einer eigenen Einstellung. Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist, die Mittelschicht ist auch die tragende Säule der Gesellschaft, so wie der Mittelstand, also kleine und mittlere Unternehmen, die tragende wirtschaftliche Säule in Deutschland darstellt. Die Mittelschicht mit ihrem höheren Bildungsstand, einem entsprechenden Einkommen und daraus resultierender Steuerkraft sowie gesellschaftlicher Reputation hat also auch einen Vorbildcharakter. Finanziell und bildungsmäßig schlechter gestellte Gruppen übernehmen ihre rassistischen Einstellungen und beginnen, das ist die Realität, sie gewaltsam umzusetzen.

Die Rolle von Politik, Justiz und Medien

Die Bundesregierung bietet in der Asylpolitik ein jämmerliches Bild. Eine Regierung jedoch, die in einer Krisensituation nicht führt, verspielt das Vertrauen des Volkes. Nicht nur, jedoch auch damit ist der Aufstieg der AfD zu erklären. Die Rechtsnationalen sind nun eine ernst zu nehmende politische Kraft, die die Sorgen von Teilen der Bevölkerung aufnimmt und diesen eine neue politische Heimat bietet. Die Auftritte führender AfD-Vertreter in den Talkshows nähren rassistische Einstellungen und führen zu einer rasanten Weiterverbreitung auch rechtsextremer Thesen. Die Hemmschwelle nicht nur verbaler Hetze in den sozialen Netzwerken sinkt, Twitter und Facebook sind voll davon. Diese Hemmschwelle ist in wenigen Jahren so gesunken, dass Angriffe nicht nur auf Asylsuchende heute schon als normal empfunden werden. Auch deutsche Helfer und Prominente, die zur Besonnenheit aufrufen und sich für Toleranz, Menschlichkeit und pro refugees engagieren, sind Ziele nicht nur verbaler Hetze.

Und die Justiz? Anstatt zügig zu ermitteln und abzuurteilen, das Strafmaß voll auszuschöpfen, wirkt sie völlig überfordert. Nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht bekannten erstmals auch Polizeibeamte öffentlich ihre Hilflosigkeit.
Die Mainstreammedien berichten einseitig, von Aufklärung und Einflussnahme auf die latente Ausbreitung rassistischer Einstellungen sind sie weit entfernt.
Diese offen gezeigte Hilflosigkeit, das kollektive Versagen von Politik, Justiz und Medien führen zu einer Situation, die in der Mittelschicht Ängste schüren.

Wie wird der Rassismus Deutschland zerreißen?

Um das Gefühl der Zugehörigkeit zur Mittelschicht zu empfinden, braucht es Distanz. Diese Distanz wird zu Anderen aufgebaut, die aus subjektiver Sicht nicht dazu gehören. Wer sich in einer Gruppe vermeintlich Gleicher bewegt, in der rassistische Einstellungen als normal empfunden werden, wird diese automatisch übernehmen, weil er die Gruppendynamik als Selbstbestätigung braucht. Was passiert aber nun, wenn in der Gruppe konträre Ansichten geäußert werden? Dann zerfällt die Gruppe, zerbrechen Freundschaften. Aus der Weimarer Republik und den Anfängen der Nazidiktatur sind Fälle bekannt, in denen sogar Familien aufgrund unterschiedlicher Ansichten zerbrachen. Prominentes Beispiel dafür sind die Görings. Albert Göring nutzte seinen Namen, um Verfolgten zu helfen, Bruder Hermann war führender Nazi. Heute ist dieser Prozess in sozialen Netzwerken nachvollziehbar, in denen bei Facebook Freunde und inTwitter Follower geblockt werden, weil eine aktive Abgrenzung von zu den eigenen Ansichten, konträren Haltungen und Meinungen betrieben wird.

Toleranz hat Grenzen, die da überschritten werden, wo die Menschenwürde Anderer verletzt wird. So denken immer auch noch viele Vertreter der Mittelschicht. Konsequent ist es, diese Grenzen auch Freunden und Verwandten aufzuzeigen. Doch ein solches Verhalten birgt immer auch die Gefahr eines Risses, einer Trennung. Denn jeder Mensch hat seine ganz eigene Meinung zu den gesellschaftlichen Prozessen, die in Deutschland seit Monaten ablaufen. Wenn Geschäftsleute aktiv helfen, Asylbewerber einstellen, ausländische Azubis ausbilden, Sach- und Geldspenden leisten, werden sie bei Bekannten oder Verwandten vielleicht auch auf Widerspruch stoßen. "Warum machst Du das, das hast Du doch gar nicht nötig", werden diese Geschäftsleute hören. Und vielleicht auch einen Riss in langjährigen Kontakten erleben.

Zerreißt die Gesellschaft?

Nüchtern betrachtet, hat dieser Prozess bereits begonnen. Gesellschaftliche Debatten über Obergrenzen und Korridore werden heftig geführt.Berichte über Kriminalität und Terrorismus, bekannt gewordene Fälle von Doppelidentitäten und Straftätern erschweren eine sachliche Diskussion zusätzlich. Dabei geht der Riss nicht nur zwischen Koalition und Opposition in der Politik, was normal ist. Nein, er geht durch Freundeskreise und Familien, er besteht bereits zwischen Eltern und Kindern.
Nun braucht es konträre Meinungen ja auch für eine Diskussion. Wenn alle einer Meinung sind, muss nicht diskutiert werden. Das Problem ist nur, die Diskussion ist längst aus dem Ruder gelaufen. Sie wird auf der Straße ausgetragen, in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit brennenden Autos und verletzten Journalisten. Braucht es noch mehr Beweise, um den Riss zu dokumentieren?

Als Fazit bleibt, praktizierter Rassismus, auch wenn er nur subtil geäußert wird, hat gravierende Folgen. Denn eine Gesellschaft, die innerlich zerreißt, erodiert auch von innen. Stützpfeiler einer Zivilgesellschaft wie Gewaltfreiheit, aber auch eine zeitnahe und konsequente Ahndung von Gesetzesverstößen, brechen weg. Das Wichtigste aber ist, eine sachliche Diskussion über Lösungswege und Alternativen wird zunehmend schwieriger.
Auf dem Weg in diese Realität befindet sich Deutschland schon seit längerem.

Fotos by:pixabay.com

Autor seit 9 Jahren
104 Seiten
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