Alles muss seine Ordnung haben

Als Erstes bemerkte ich, wie ordentlich, geordnet, sauber und sicher die Straßen der Stadt wirkten. Hier hat so ziemlich alles seine Ordnung. Diese Ordnung, etwa im Straßenverkehr, habe ich immer als selbstverständlich hingenommen. Nach fünf Monaten in Südostasien wusste ich aber, dass es in anderen Teilen der Welt ganz anders zugeht, mitunter nämlich völlig chaotisch. Wir Deutsche lieben Ordnung, Sauberkeit und Regeln. Das meine ich gar nicht wertend, denn diese Eigenschaft hat Vor- und Nachteile. Wir sind so ordentlich, dass wir sogar ein Ordnungsamt haben; ein Amt für Ordnung und die Einhaltung von Regeln - das gibt es auch nicht überall! 

 

Wo man hinschaut, alles scheint geregelt und genau festgelegt zu sein. Das ist einerseits gut, andererseits machen wir uns und anderen das Leben oft unnötig schwer. Fakt ist, dass unsere Bürokratie nicht immer leicht zu durchschauen ist und lästiger Papierkram in anderen Ländern oft weniger lästig ist. Bei uns muss eben alles seine Richtigkeit haben, was auf unseren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zurückzuführen ist. Fairness wird bei den Deutschen groß geschrieben und Gerechtigkeit ist ein bedeutendes Thema in Politik und Gesellschaft, wie die unzähligen Talkrunden im Fernsehen beweisen. 

Präzise wie ein Uhrwerk

Auf die Frage, was charakteristisch für die Deutschen ist, lautet die Antwort oft "Pünktlichkeit”. Nicht ohne Grund! Ja, wir lieben Pünktlichkeit und sind wenig gelassen, wenn sich jemand nicht daran hält. Lädt ein Gastgeber zu einer bestimmten Uhrzeit ein, erwartet er, dass die Gäste pünktlich erscheinen. Alles andere wäre unhöflich. Zuspätkommen ist in Deutschland ein ernstes Vergehen und wird nicht toleriert. Nun ja, ganz so schlimm ist es vielleicht nicht, aber Deutsche werden schnell unruhig, wenn sie warten müssen. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen niemand Pünktlichkeit erwartet, etwa in einer Arztpraxis. Dort ist eine lange Wartezeit trotz Terminvereinbarung selbstverständlich und wir sitzen stundenlang zwischen kranken Leidensgenossen und husten uns gegenseitig etwas vor. 

Deutsche sind aber nicht nur pünktlich, sie sind auch gründlich, präzise und effizient. Diese Eigenschaften haben uns einen vorauseilenden Ruf eingebracht, der Deutsche als Arbeitskräfte im Ausland heiß begehrt macht. Aber: Stimmt das wirklich? Sind die Deutschen tatsächlich so fleißig? Ich würde sagen, ja. Zumindest im Großen und Ganzen. Diese Tugenden wurden uns anerzogen und vorgelebt und wir können kaum anders, als gut und effektiv zu arbeiten. 

 

Die hohe Leistungsbereitschaft bekamen wir in die Wiege gelegt. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass wir zwar durchaus hart arbeiten, aber auch mehr Urlaubstage haben als die meisten anderen Nationen. Hinzu kommen die gesetzlichen und kirchlichen Feiertage. Urlaub, Freizeit und Erholung sind uns wichtig und das Klischee vom unermüdlichen Arbeitstier trifft so nicht zu. 

German Angst

Was hingegen zutrifft, ist ein starkes Sicherheitsbedürfnis, das unser Denken und Handeln prägt. Nicht selten drehen sich die Gesprächsthemen um Einbrüche, Diebstähle, Versicherungen oder Altersvorsorge. Der Deutsche an sich ist oft besorgt und möchte vorsorgen. "German Angst” ist nicht umsonst ein feststehender Begriff im englischen Sprachraum. Ich habe den Eindruck, dass Deutsche sich mitunter selbst im Weg stehen, sich nicht trauen, etwas zu wagen, aus Angst, es könne schief gehen. Dieses (häufig übertriebene) Sicherheitsdenken scheint in unseren Genen verankert; wir können es nur schwer überwinden. Wenn wir uns dennoch zu etwas vermeintlich Unsicherem durchringen, etwa zu einer beruflichen Umorientierung trotz fester Anstellung, müssen wir damit rechnen, dass unser Umfeld kritisch bis ablehnend reagiert. Ein wenig mehr Gelassenheit würde uns manchmal gut tun. 

Die deutsche Esskultur

Doch genug von den Charaktereigenschaften und Tugenden. Es gibt noch so viel mehr, das typisch für Deutschland ist. Für uns sind es Selbstverständlichkeiten, über die wir nicht weiter nachdenken, für Nicht-Deutsche stellen gewisse deutsche Gepflogenheiten eine Besonderheit dar, die sie aus ihrer Heimat nicht kennen. So wie Kaffee und Kuchen. Eine wunderbare Tradition, oder? Und typisch deutsch. Nicht nur sonntags werden Kuchen, Torten, Teilchen und sonstiges Gebäck aufgetischt und mit Kaffee in gemütlicher Runde verspeist. Kaum zu glauben, aber das ist nicht in jeder Kultur so. Die zahllosen Bäckereien überbieten sich gegenseitig mit der Vielfalt süßer Backwaren. Zu besonderen Anlässen backen die Deutschen auch gerne selbst.

 

Getoppt wird das Kuchenangebot nur von der Auswahl an verschiedenen Broten und Brötchen. Während die Leute in vielen anderen westlich geprägten Ländern hauptsächlich helles Brot und Toast konsumieren, leben wir hier im Brotparadies. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland fühlte ich mich beim Bäcker regelmäßig überfordert, erschlagen von der unüberschaubaren Auswahl. Es gibt Schlimmeres. 

 

Aus der Bäckerei kommen schließlich auch die Zutaten für zwei wichtige deutsche Mahlzeiten: Frühstück und Abendbrot. Bis auf wenige Bestandteile sind die beiden fast austauschbar. Morgens gibt es eher Brötchen, abends Brot, zum Frühstück ein gekochtes Ei, Marmelade und Honig, beim Abendbrot vielleicht saure Gurken oder Radieschen. Essenziell bei beiden sind unterschiedliche Sorten Wurst, Aufschnitt und Käse. Da wird auch zu früher Stunde schon rohes Schweinefleisch in Form eines Mettbrötchens gegessen. So sieht sie aus, die deutsche Esskultur. Für uns ganz normal, für Ausländer leicht befremdlich. 

Sind alle Deutschen gleich?

Die Liste der typisch deutschen Eigenarten ist zu lang für einen Artikel. Natürlich möchte ich nichts pauschalisieren. Mir ist sehr bewusst, dass die rund 80 Millionen Menschen in diesem Land nicht alle gleich ticken. Glücklicherweise leben hier viele verschiedene Kulturen gemeinsam. Darüber hinaus gibt es große regionale Unterschiede, bei Sitten und Gebräuchen ebenso wie bei Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen. Doch die vielen Individuen gemeinsam bilden eine Nation mit einer Mentalität, die zwar in jedem Einzelnen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, aber insgesamt das beinhaltet, was wir und andere als typisch deutsch wahrnehmen. 

 

 

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