Zwischen Klinik-Heroes und skandalösen Zuständen

Atmosphäre zum Krankwerden

Wer schon mal in einer großen Klinik war, der kennt die Atmosphäre, die in einem solchen Haus herrscht. Wenn man nicht das Glück hat, privat versichert zu sein, dann erwartet einen meist ein schmuckloses Mehrbettzimmer ohne jeden Charme. Kahle Wände, funktional eingerichtetes Bad und die Schränke zum Verstauen der eigenen Habseligkeiten erinnern doch stark an eine Kaserne. Jeden Luxus sucht man vergebens. In meinem Zimmer hängen zwar zwei Fernsehgeräte unter der Decke, sind aber nicht ohne weiteres benutzbar. Um in den Genuss der Geräte zu kommen, muss man erst eine Chipkarte kaufen. Hat man eine solcher erworben, kann man sich über ein Telefon am Bett in das Fernsehprogramm einwählen und das Gerät starten.

Aber nicht nur die Zimmer mit ihrem unschönen, aber dafür pflegeleichten PVC-Boden sind nicht dazu angetan, die Stimmung bei den Patienten zu verbessern. Auch die Flure sind eher dazu geeignet, Depressionen hervorzurufen, als Hoffnung auf baldige Genesung zu schüren. Ab und zu ein benutztes oder ein sauber in Folie gepacktes Bett steht rum, es gibt einen Getränkewagen mit Wasser-Zapfhahn und Teestation und natürlich sieht man immer wieder medizinisches Gerät herumstehen. An den Wänden findet sich selten ein Bild. All das drückt ziemlich auf die Seele und verursacht ein durchgehend unangenehmes Gefühl. Es ist einfach beklemmend, hier Tage oder gar Wochen verbringen zu müssen. In so einem Haus kann es mitunter wirklich schwerfallen, schnell gesund zu werden. Irgendwann erwischt einen auch der "Klinik-Koller", man möchte einfach nur noch weglaufen, etwas anderes sehen, frische Luft atmen und sich ohne Beschränkung bewegen. Es ist wie eine immer größer werdende Unruhe, die einem in die Glieder fährt und die ein Stillsitzen nahezu unmöglich macht. Der ganze Körper scheint zu kribbeln und nach Freiheit zu schreien.

 

Klinikheroes

Es gibt sie noch, die Heldinnen und Helden in den Kliniken. Da sind nicht nur die Blöden, die das Tablett mit dem Mittagessen ans Bett stellen, obwohl sie sehen, dass man am Tisch Platz genommen hat. Eine einfache Frage, ob man lieber am Tisch essen möchte und ein paar Schritte mehr hätten den Pfleger sicherlich nicht umgebracht. Aber neben solchen Idioten gibt es halt noch andere, Schwestern und Pfleger, die sich wirklich redlich bemühen, es den Patienten angenehm zu machen und sie nach bestem Gewissen, ihrer Berufsbezeichnung nach, zu pflegen. Aber solche Leute passen nicht mehr ins System der Gesundheitsbehörden, Klinikverwaltungen und Aufsichtsräte. Denn sie stehen genau dem Gegenüber, was heute als die höchste Prämisse angesehen wird, nämlich Gewinnmaximierung. Wie das funktioniert? Ganz einfach, da kommt jemand mit einer Erkrankung, diese gilt es schnellstmöglich zu identifizieren, zu behandeln und auszuheilen. All dies natürlich unter Minimaleinsatz personeller Ressourcen. Da wird heute nicht mehr jeden Tag von den Schwestern und Pflegern das Bett der Patienten gemacht, damit sie bequem liegen. Auch wird nicht mehr täglich die Körperpflege großgeschrieben, es reicht, wenn der bettlägerige Patient alle drei Tage saubergemacht wird und ein neues Nachthemd bekommt. Für einen Patienten ist die Situation auf so einer normalen Station in vielen Augenblicken wirklich erniedrigend, weil er sich nicht wahrgenommen fühlt und seine Grundbedürfnisse wie Hygiene, Freundlichkeit, Zuwendung und auch Information nicht ernstgenommen werden. Gerade diese Information über seinen Gesundheitszustand bleibt oft im Dunkeln. Immer wieder wechselnde Ärzte mit ebenso wechselnden Aussagen über das weitere Vorgehen, Schwestern und Pfleger, die scheinbar nicht zusammenarbeiten können oder wollen. Von den Ärzten erfährt man eher wenig und die Aussage einer Schwester, dass sie vieles erst von den Patienten erfährt, überrascht da nicht wirklich. Dass aber der Patient der Pflegekraft wiederholt selbst sagen muss, dass sein Zugang für Medikamente nicht mehr funktioniert, grenzt schon an Körperverletzung. Immerhin ist der Patient derjenige, der die Hilfe braucht und meist absoluter Laie ist. Ein anderes Beispiel: Der Patient wird von seiner eigentlichen Klinik für eine Untersuchung zu einem anderen Krankenhaus derselben "Firma" gefahren. Dort mit allen Unterlagen angekommen, fragt ihn doch die Schwester tatsächlich nach den Details der Untersuchung, die er natürlich gar nicht wissen kann. Verkehrte Welt, wenn die Profis sich bei den Laien informieren müssen, was denn gemacht wird.

Es gibt also zwei Arten von Pflegepersonal. Da sind die, die menschlich auf der Höhe sind und erkennen, was ein Patient benötigt. Sie haben einfach ein Gespür dafür, was gerade Not tut, nehmen sich trotz riesigem Zeitdruck auch einmal eine Minute länger Zeit und versuchen so, es dem Patienten etwas erträglicher zu machen, Angst hat er ja eh schon. Auf der anderen Seite stehen die Schwestern und Pfleger, die das System verinnerlicht haben und einzig darauf bedacht sind, effizient zu arbeiten und die Vorgaben abzuspulen. Dabei soll gar nicht behauptet werden, dass sie alle menschlich nichts zu bieten hätten, aber man merkt ihnen einfach an, dass sie sich nicht zu sehr einlassen möchten. Dies würde vermutlich ihren beruflichen "Fahr -und Karriereplan" durcheinander bringen und sie als das erscheinen lassen, was sie ja dennoch sind, nämlich menschliche Wesen, die Mitleid haben mit denen, die sie versorgen.

Es ist sicher nicht einfach, eine Balance zwischen mitmenschlicher Zuwendung und beruflicher Professionalität zu schaffen. Aber es darf nicht sein, dass der Patient, der sowieso in großer Angst ist, mit seinen Grundbedürfnissen zu kurz kommt. Immerhin spielen Leib und Seele in einem Team und wenn der Mensch genesen soll, dann muss in der Pflege auch etwas für seine Seele übrig bleiben. Nur den Körper zu beachten, heißt die Seele zu missachten. Für eine Seele aber gibt es nichts schlimmeres, als Missachtung, Gleichgültigkeit und Kälte.

 

Objekt der "Begierde"

Mit einer Erkrankung kommt man ja in großen Städten häufig in ein Universitätsklinikum. In einer solchen Einrichtung werden natürlich auch Ärzte ausgebildet und die wollen etwas lernen. Was liegt da näher, als am lebenden Objekt seine Kenntnisse zu verbessern und zu vertiefen. Aus diesem Grund folgen dem diensthabenden Arzt bei der Visite jeden Morgen eine Horde von neugierigen Medizinstudenten und Schwestern. Nach einer kurzen Konsultation wird festgelegt, was am Tag alles gemacht werden soll. Da schlägt dann die Stunde der Studenten. Endlich dürfen sie Nadeln in Arme stechen, Wunden neu verbinden, Drainagen leeren oder böse Klammern aus Operationswunden ziehen. Meist sind sie wirklich freundlich und geben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sie einem nicht wehtun möchten mit dem, was sie gleich mit einem anstellen. Für einen Patienten ist es aber extrem peinlich, jeden Tag von anderen Menschen wie ein Ausstellungsstück begutachtet zu werden. Hier geht es um die Privatsphäre! Andererseits müssen die Studenten ja etwas lernen und das geht nun mal am besten bei echten Patienten mit echten Krankheiten. Und so lassen sich die meisten halt stechen, entklammern, messen und auf andere Weise drangsalieren. Wenn es hilft, soll es recht sein.

 

Wochenend-Paralyse

In vielen Kliniken ist ein sonderbares Phänomen zu beobachten und man darf vermuten dass es in fast allen Krankenhäusern ähnlich ist. Kaum ist es Freitagnachmittag, scheint das ganze Haus in eine Art Paralyse zu verfallen. Nichts mehr zu hören von der Geschäftigkeit während der Woche, die Zahl der Ärzte, die über die Gänge huschen, nimmt rapide ab und auch das Pflegepersonal ist nicht mehr so präsent, wie während der Woche. Alles wird plötzlich von einer allgegenwärtigen Stille umfangen. Das alles bekommt auch der Patient zu spüren, denn von Freitag bis Sonntag ist er sich tagsüber irgendwie selbst überlassen. Wenn mal jemand umfällt, würden das die Schwestern und Pfleger eventuell erst sehr spät mitbekommen. Seinen behandelnden Arzt sieht man dann übrigens über Tage nicht. Vielleicht steht er im Operationssaal, immerhin kassiert er ja Prämien für jede OP, die er durchführt. Von irgendetwas muss der Ärmste ja auch leben. Oft lässt sich die Schwester lediglich sehen, um neue Infusionen anzuhängen oder das Essen zu verteilen. Im Idealfall fragt sie dann, ob man etwas benötigt, aber gute und aufmerksame Pflege sieht einfach anders aus. Die Station verfällt also in eine Art Dornröschenschlaf, aus dem sie erst Montag wieder erwacht. Nur ab und zu kommen auch am Wochenende neue Patienten in die Zimmer. Auch, wenn der Aufenthalt in einem Krankenhaus kein Wellness-Urlaub ist und sich als nicht sehr angenehm darstellt, so würde ich doch immer bleiben, bis der Arzt mir grünes Licht gibt.

 

Skandalöse Leere in der Notaufnahme

Das Erlebnis eines Patienten hat den Autor bewogen, diesen Artikel zu schreiben. Nachdem er am Mittag entlassen worden war, stellten sich abends erneut Schmerzen ein, so dass er sich entschied, wieder ins Krankenhaus zu fahren. In der Notaufnahme wurde er aufgenommen und ihm wurde in Aussicht gestellt, dass sein altes Bett sogar noch frei wäre. Irgendwann spätabends wurden seine Schmerzen fast unerträglich und sein Begleiter schaute immer wieder nach, ob sich eine Schwester oder ein Arzt finden ließ. Aber es war tatsächlich niemand da, weil in der Zwischenzeit ein schwer verletztes Unfallopfer eingeliefert worden war, um das sich sämtliche Ärzte und Schwestern kümmerten. Der Patient in der Notaufnahme schrie vor Schmerzen und rief um Hilfe, aber es kam niemand. Wie kann es sein, dass die gesamte Notaufnahme aufgrund eines Unfallopfers unbesetzt ist und andere Patienten fast eine Stunde lang extreme Schmerzen ertragen müssen, ohne irgendeine Hilfe zu erhalten. Das ist ein echter Skandal und ein Musterbeispiel für eine verfehlte Personalplanung.

 

Gesundheitssystem auf den Prüfstand

Sicherlich darf man solche Kritik nicht verallgemeinern. Aber ganz abgesehen davon, dass es in Deutschland ein ungerechtes Zweiklassensystem gibt, sind die Zustände in vielen Kliniken unhaltbar. Hier ist die Politik gefordert, Veränderungen herbeizuführen, die gewährleisten, dass die Versorgung jedes einzelnen Patienten sichergestellt ist, ohne Abstriche und ohne Unterschiede.

 

 

Autor seit 12 Jahren
212 Seiten
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