Als das Christentum unchristlich war – Lehren aus der Vergangenheit
Die Geschichte des Christentums zeigt in besonders drastischer Weise, wie sich hehre Absichten in ihr Gegenteil verkehren können.Die Entwicklung des christlichen Mönchtums
Zunächst möchte ich einen kurzen Überblick über die Geschichte des christlichen Mönchtums geben, da dieses das Christentum in besonderer Weise geprägt hat:
Anfang des 4. Jahrhunderts n. Chr. zogen sich erstmals einzelne Christen, die des Lebens in den damaligen dekadenten "Wohlstandsgesellschaften" des römischen Weltreichs überdrüssig waren, in die Wüstengegenden Ägyptens und Syriens zurück, um dort durch Gebet und Meditation ein geistliches, radikal Gott zugewandtes, Leben zu führen. Schon bald gab es jedoch Bestrebungen einzelner "Vordenker", die Vereinzelung zu überwinden und in monastischen (mönchischen) Gemeinschaften zusammenzuleben. In Ägypten und Kleinasien waren dies die Mönche Antonius, Basilius und Pachomius. Hinzukam in Nordafrika Augustinus, der Bischof von Hippo.
Das eigentliche Mönchtum hat Benedikt von Nursia begründet. Er führte im 6. Jahrhundert eine Regel für die mönchische Lebensführung ein, die sich in ganz Europa verbreitete und zur grundlegenden Regel aller Ordensgemeinschaften wurde. Im Laufe der Zeit kam es jedoch zu Abweichungen von der Benediktregel, und nun trat im 9. Jahrhundert ein anderer Benedikt auf den Plan, nämlich Benedikt von Aniane. Er setzte durch, dass die Regel des Benedikt von Nursia als allein gültige Klosterregel im gesamten Frankenreich galt. Auf Benedikts Reform des fränkischen Mönchtums baute später die vom burgundischen Kloster Cluny ausgehende monastische Reformbewegung auf, die die strikte Einhaltung der benediktinischen Regeln (Gehorsam, Armut, Keuschheit) unter dem Motto "ora et labora", (bete und arbeite) forderte.
Im 13. Jahrhundert entstanden die Orden der Dominikaner und Franziskaner, die das klösterliche Leben mit seelsorgerischer und pflegerischer Betätigung verbanden. Dies galt auch für die Augustiner. Letztere, aber auch die Dominikaner folgten einer von Augustinus entwickelten Ordensregel, die die älteste Ordensregel des Abendlandes darstellt. Die Franziskaner orientierten sich am Vorbild des Franz von Assisi. Im 16. Jahrhundert schließlich gründete der Spanier Ignatius von Loyola den Jesuitenorden, der sich zum größten katholischen Männerorden entwickelte und dem auch der gegenwärtige Papst Franziskus angehört.
Frühe Krisen und Konflikte im Christentum
Die Entwicklung der Mönchsorden zeigt scheinbar die "friedlichere" Seite des Christentums. Abweichungen von den Ordensregeln waren hier – so könnte man meinen - das einzige größere Problem. Aber dieser Eindruck täuscht. Denn in dem Streit um die Glaubensinhalte, der das Christentum von Anfang an geprägt hat, spielten schließlich auch Mönchsorden eine wenig rühmliche Rolle.
Tiefere Ursache dieses Streits war ausgerechnet die mit vielen Opfern erkämpfte Etablierung des Christentums im römischen Imperium als Staatsreligion. Denn dies führte zu einer Abkehr von der basisdemokratischen Ordnung der frühchristlichen Gemeinden und deren Ersetzung durch eine hierarchische Struktur mit Priestern als "Heilsvermittlern" zwischen Gott und den Menschen. Die "Kirche" als Organisation entstand und damit als eine Institution, die zwischen wahrem und falschem Glauben trennt und zunehmend beansprucht, über die Lebensform der Gesellschaft zu bestimmen.
Dies stieß schon früh auf Widerspruch, und zwar von Seiten verschiedener Sekten, Sekte verstanden als eine religiöse Gemeinschaft bzw. Bewegung, die ein von der offiziellen Glaubenslehre abweichendes Glaubensverständnis propagiert. Ein fundamentaler Streitpunkt war dabei die Frage, ob Jesus Christus ebenso ein Gott ist wie der Vater oder ob der Sohn dem Vater in Macht und Rang unterlegen ist. Als "wahrer Glaube" galt die Vorstellung einer Wesenseinheit und damit Göttlichkeit von Jesus, Gott und Heiligem Geist. Bedeutende Gruppierungen, die abweichende Meinungen vertraten und oft durch hellenistische und orientalische Kulte beeinflusst waren, waren die esoterischen Gnostiker und die Arianer sowie die von dem persischen Prediger Manichäus begründete Bewegung der Manichäer, die eine Verneinung alles Irdischen propagierte. Die Manichäer wurden schließlich sogar zu Staatsfeinden erklärt und mit dem Tod bedroht. Man kann dies als Geburtsstunde der Inquisition bezeichnen.
Massenmord und Terror im Namen Gottes
Die bereits erwähnte vom Kloster Cluny in Burgund ausgehende Reformbewegung wagte im 11. Jahrhundert auch die Auseinandersetzung mit der weltlichen Macht. Sie forderte die Unabhängigkeit des Papsttums vom Kaiser und letztlich die kirchliche Universalherrschaft. Aber im 12. Jahrhundert verlor die katholische Kirche aufgrund des unchristlichen Lebenswandels ihrer Würdenträger immer mehr an Glaubwürdigkeit und Rückhalt in der Bevölkerung, und es wurden wieder Stimmen laut, die auf eine Rückkehr zu den Wurzeln des frühen Christentums drängten, was natürlich die erbitterte Feindschaft der etablierten Kirche hervorrief.
Und zwar waren es vor allem die Bewegungen der Albigenser bzw. Katharer und der Waldenser, die den Zorn der "hohen Geistlichkeit" auf sich zogen. Die Aufgabe, gegen diese Häretiker bzw. Ketzer vorzugehen, wurde den Dominikanern übertragen. Genau genommen, war der Dominikanerorden eigens zu diesem Zweck gegründet worden. Zunächst sollten die Dominikaner allerdings nur missionieren und die Ketzer "auf den rechten Weg zurückführen", also tatsächlich seelsorgerisch tätig werden. Aber da dies offensichtlich nicht ausreichte, wurde 1233 vom damaligen Papst Gregor ein ständiges Tribunal eingerichtet, das mit Dominikanerbrüdern besetzt war. Damit war die Inquisition offiziell etabliert und deren Durchführung dem Dominikanerorden übertragen worden. Aber auch die Franziskaner wurden für diese Aufgabe herangezogen.
Beim strafrechtlichen Verfahren vor dem Glaubensgericht der Inquisition erhob dieselbe Instanz Anklage, die die Untersuchung führte und das Urteil sprach. In vielen Fällen waren die Beschuldigten denunziert worden. Geständige Ketzer - Geständnisse wurden oft durch Folter erpresst - wurden in leichteren Fällen zu Gefängnisstrafen und zu Bußen, u. U. zum Verlust ihres gesamten Vermögens, verurteilt. Außerdem mussten sie fortan ein Büßerkreuz auf ihrer Kleidung tragen. In schweren Fällen der Häresie wurde die Todesstrafe, und das hieß: Tod durch Verbrennen, gefordert. Die eigentliche Verurteilung und Bestrafung war dann Aufgabe einer weltlichen Instanz. Bei der Ketzerverfolgung kam es überhaupt zu einer engen Kooperation zwischen Kirche und Staat. Das galt auch für den Hexenwahn, dem in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert europaweit etwa 50.000 Menschen zum Opfer fielen, in der Mehrzahl Frauen.
Die verhängnisvolle "Verstaatlichung" der Religion
Was die Hintergründe der Inquisition betrifft, so spielt eine wichtige Rolle, dass es sich bei den mittelalterlichen Gesellschaften um "Gottesstaaten" gehandelt hat, also um Gemeinwesen, bei denen das Christentum nicht nur Staatsreligion war, sondern in denen Staat und Religion eins waren. Denn dies führte zu der Auffassung, dass das öffentliche Wohl von der richtigen Ausübung des Glaubens abhänge. Entsprechend gefährdeten Abweichungen vom rechten Glauben die staatlich-gesellschaftliche Ordnung. Man könnte auch sagen: Häresie wurde verstanden als Zerstörung der Gesellschaft, als strafwürdiger Aufstand gegen die gottgewollte Ordnung. Deshalb waren die weltlichen Herrscher – hier ist vor allem Kaiser Friedrich II. (1194-1250) zu nennen – genauso an der Ketzerverfolgung und -ausschaltung interessiert wie die geistlichen Herrscher.
Die rätselhafte Rolle großer Denker
Wie gezeigt, haben einige große Mönchsorden an vorderster Front bei der Inquisition mitgewirkt. Und dies erscheint rätselhaft, wenn man bedenkt, dass die Klöster in jener Zeit Oasen von Wissenschaft und Kunst in einer Wüste von Unwissenheit und Ignoranz waren. Also hat auch eine hohe Bildung die Mönche nicht davon abgehalten, sich an dieser Barbarei zu beteiligen.Das gilt auch für die wirklich großen Denker unter ihnen. Hervorzuheben ist hier der von der katholischen Kirche heiliggesprochene Dominikanermönch Thomas von Aquin. Dieser wird von der heutigen Wissenschaft als der wohl größte katholische Theologe aller Zeiten betrachtet, und sein besonderes Verdienst wird darin gesehen, in seinen Werken Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie zusammen zu bringen.
Gleichzeitig lieferte Thomas von Aquin den theoretischen Unterbau für die mittelalterliche Inquisition und die massenhaften Hexenverbrennungen. Für Häretiker forderte er die Exkommunikation und die Todesstrafe. In diesem Zusammenhang soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die scheinbar so fortschrittlichen Reformatoren Luther und Calvin die Hexenverfolgung noch stärker befürwortet haben als ihre katholischen Gegner. Vor allem Luther hatte eine regelrechte "Hexenphobie" ausgebildet - wie man heute sagen würde.
Vielleicht könnte man den Geistesgrößen jener Zeit, die zum einen modern anmutende Einsichten formuliert haben und zum anderen für die erbarmungslose Verfolgung von Häretikern und angeblichen Hexen eingetreten sind, aus heutiger Sicht eine starke Neigung attestieren, immer dann, wenn die Religion als Kitt der Gesellschaft nicht mehr ausreichte, nach Sündenböcken zu suchen und diese für all die Missstände verantwortlich zu machen, unter denen die Menschen damals zu leiden hatten. Damit war dann dem Machterhalt beider Seiten gedient, der kirchlichen und der staatlichen.
Gibt es heute noch so etwas wie die Inquisition?
Auch in der Gegenwart erleben wir auf der Grundlage einer "Gleichschaltung" von Staat und Religion eine Instrumentalisierung der Religion für Machtinteressen, begleitet von inquisitionsähnlichen Phänomenen, und zwar in einigen muslimischen Ländern. Die Extremform ist hier sicherlich das Wüten des sogenannten Islamischen Staates. Aber auch das christliche Abendland ist von einem Wiederaufleben inquisitionsähnlicher Praktiken nicht verschont geblieben. So sehen Historiker Parallelen zwischen dem mittelalterlichen Inquisitionsverfahren und den Schauprozessen der Neuzeit in der Sowjetunion und der Volksrepublik China. Ich möchte in diesem Kontext auch die antikommunistische Hetzjagd des US-Senators Joseph McCarthy in den frühen fünfziger Jahren erwähnen, durch die Tausende tatsächlicher und vermeintlicher Kommunisten in den Ruin, ins Exil oder in den Selbstmord getrieben wurden.
Ferner erinnert meiner Meinung nach die Verfolgung der Juden während des Nationalsozialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr stark an die Inquisition. Diesmal wurden allerdings Menschen deshalb vom Staat verfolgt und zu Sündenböcken gemacht, weil sie einer "falschen Religion" angehörten und einer "falschen Rasse". Es besteht hier aber auch eine direkte Verbindung zum Zeitalter der Inquisition, da sich Adolf Hitler zur Legitimierung der Judenverfolgung explizit auf den Antisemitismus Martin Luthers berufen hat.
Vielleicht wäre es aber in der heutigen Zeit am wichtigsten, sich bewusst zu machen, dass - wie es in einem Schuldeingeständnis deutscher Dominikaner hinsichtlich ihres Anteils an der Inquisition heißt – "der Geist von Inquisition und Hexenverfolgung – Diskriminierung, Ausgrenzung und Vernichtung Andersdenkender – auch heute latent oder offen in Kirche und Gesellschaft, unter Christen und Nicht-Christen lebendig ist." Das heißt: Der Geist – vielleicht sollte man besser sagen: der Ungeist - der die mittelalterliche Inquisition hervorgebracht hat, ist immer noch zu spüren, und zwar dort, wo Menschen auch heute wegen ihrer Religionszugehörigkeit, aber auch wegen ihrer politischen Gesinnung drangsaliert werden. Hinzukommt, wie schon die Judenverfolgung gezeigt hat, das Rassemerkmal.
Fazit
In den modernen westlichen Gesellschaften ist aufgrund der Trennung von Staat und Kirchen die Religionszugehörigkeit zu einer Privatangelegenheit geworden, so dass so etwas wie die mittelalterliche Inquisition nicht mehr vorstellbar ist. Die Menschen frönen deshalb unbeschwert einem individualisierten Glauben inklusive Anleihen beim frühen Christentum wie Pilgerreisen und Klosterleben.
Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in der Moderne zu "Hexenjagden" kommen kann, und zwar dann, wenn bestimmte Gruppierungen, deren Glaube, politische Gesinnung, aber auch Rassezugehörigkeit vom gesellschaftlichen "Mainstream" abweichen, angefeindet und für politische und soziale Krisen verantwortlich gemacht werden, für die viele Menschen keine andere Erklärung finden. So sind für heutige Populisten Menschen, die der "falschen" Religion und Rasse angehören, das Feindbild schlechthin. Dies zeigt auch, dass inquisitionsähnlicher Terror nicht identisch sein muss mit Staatsterror, sondern auch von Bevölkerungsgruppen ausgeübt werden kann, die von Demagogen dazu angestachelt werden.
Quellennachweis:
http://sankt-bonifaz.de/abtei/benediktiner/kurze-geschichte-des-moenchtums/
http://www.orden-online.de/wissen/b/benedikt-von-aniane/
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienA/Augustinus.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Dominikaner
http://www.br.de/radio/bayern2/wissen/radiowissen/religion/inquisition-folter-100.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Inquisition
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(Rezension: Frank Fabian, Die geheime Geschichte von Jesus Christus)