Das Ensemble

Das Ensemble (Bild: © Lena Obst)

Eine Flut von Dokumentationsmaterial

Als Claudia Basrawi mit ihrer Lebensgeschichte beginnt, entsteht sogleich die Befürchtung, nun werde nach und nach jeder aus dem Ensemble auspacken und seine persönlichen Abenteuer und Katastrophen bis ins Detail ausbreiten. Aber nein, das ist nur eine Einführung, ein kurzer Prolog, dazu da, die Stationen Beirut, Bagdad und Damaskus zu umreißen, einschließlich der Flucht zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs. Nun, mit derartigen Enthüllungen lassen sich kaum Gefühle wie Betroffenheit oder Verzückung herstellen. Was dann geschieht, ist eine Aneinanderreihung von Fakten, bildlich demonstriert durch zahlreiche auf dem Bühnenboden liegende Dokumente. Die Zuschauer sehen die muslimische Welt betreffende Interview-Videos, nachgespielte Interviews und erstaunlich sachlich gehaltene Gespräche. Theater im eigentlichen Sinne findet gar nicht statt, wer aus rein ästhetischen Gründen gekommen ist, geht leer nach Hause. Um ein Gefühl der Leere zu überwinden, werden die Zuschauer mit einer Flut von Dokumentationsmaterial eingedeckt, das wenigstens den Vorteil mit sich bringt, einige kleine Bildungslücken zu schließen. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler sind selten gemeinsam auf der Bühne anzutreffen, so entstehen weder Mini-Symposien noch eine Colloquium-Atmosphäre. Das ist Recherchier- und Kroesinger-Theater reinsten Wassers, und das setzt ein mit einer Klärung des Begriffs ‚Dschihad'.

 

Keine Kunst, viel Information

Heute versteht man unter Dschihad primär den heiligen Krieg gegen Ungläubige. Das war nicht immer so, denn im Islam stand das Wort ursprünglich für ‚Anstrengung'. Schon Kaiser Wilhelm II. sprach vom Dschihad, um sich zum Mitoberhaupt aller Muslime aufzuschwingen, weil er Mitstreiter im Kampf gegen die damaligen feindlichen Kolonialmächte England und Frankreich gewinnen wollte. Dieser proklamierte Freiheitskampf gegen Unterwerfung war im Grunde bare Instrumentalisierung, und so verwundert es nicht, dass im 50 Kilometer von Berlin entfernten Wünsdorf 1915 eine Moschee errichtet werden sollte, quasi als Ausbildungslager für die neu zu schaffenden Kombattanten. Dargestellt wird das durch ein Video, in dem ein junger Deutscher eine damalige Zeitung liest. Mittlerweile ist der Dschihad ein Einschüchterungswort für den Westen, aber, so betont Basrawi, der Begriff unterliegt einem permanenten Bedeutungswandel.

Die Erkenntnis, dass der Terrorismus durch die mediale Beachtung einen Wichtigkeitszuwachs erhält und dadurch aufblüht, ist nicht gerade neu – das wurde schon bei den Aktivitäten der RAF festgestellt. Die Gespräche kreisen auch um die Rolle der USA, um ihre sinnlosen und letztlich verhängnisvollen Bombardements, und behandeln die geographische Lage: Im Nahen Osten lagern die größten Ölquellen, und in Zukunft droht der Kampf um Einflussnahme, Gebietskontrolle und Ressourcen. Der Abend deckt einiges ab und ist durchaus facettenreich, beispielsweise versucht sich Rahel Salvodelli, einigen Zuschauern durch ihre Auftritte bei Lubricat und im Ballhaus Ost bekannt, in einer spirituellen Beratung. Es ist kein Kunst-, sondern ein Informationstheater, das wegen des Weglassens provokanter Thesen ein Streittheater vermeidet und auch keine unverrückbaren Antworten liefern kann. Eine optimale Inszenierung für medial reüssierte Politiker der Grünen, die in der Kunst immer das Politische suchen. Optimal, falls sie in ihrer Freizeit nicht die Paläste den Hütten vorziehen.

El Dschihad

von Claudia Basrawi und Team

Regie: Claudia Basrawi, Konzeptuelle Mitarbeit: Samuel Schwarz, Bühne, Kostüm & Video: Patricia Talacko, Rebecca Riedel, Dramaturgie: Azar Mortazavi, Katja Wenzel.

Es spielen: Erdinç Güler, Rahel Salvodelli, Claudia Basrawi, Mario Mentrup, Elmira Bahrami.

Ballhaus Naunynstraße Berlin

Premiere vom 1. September 2015

Dauer: 1 Stunde 20 Minuten


 

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