Ballhaus Naunynstrasse: Kritik von "Mais in Deutschland und anderen Galaxien"
Uraufführung eines Dramas von Olivia Wenzel. Der Regisseur Atif Mohammed Nor Hussein lässt den Protagonisten Noah von drei Schauspielern spielen.
Das Leben ist kein Jahrmarkt
© Lena Obst
Aufgewachsen in einem fremd erscheinenden Land
Das Drama passt hervorragend in den Rahmen des Ballhaus Naunynstrasse. "Mais in Deutschland und anderen Galaxien" berstet fast vor Handlung, ständig passiert etwas, das aber nur angerissen und einem neuen Einfall Platz macht. Die Figuren werden nicht psychologisch ausgeleuchtet, sondern aufs Geschehen losgelassen. Warum Susanne (Lisa Scheibner) so ist wie sie ist, wird nie erklärt - es ist eine Tatsache. Noah wird von drei Schauspielern dargestellt (Toks Körner, Dela Dabulamanzi, Asad Schwarz-Msesilamba), die natürlich keinen einheitlichen Menschen zeigen können, stattdessen wird er in verschiedene, teilweise widersprüchliche Facetten seines Wesens aufgesprengt. Aufgewachsen in einem Land, das sich den Antifaschismus auf die Fahne geschrieben hat, wird er vom rechtsgerichteten Mob überfallen. Ansonsten steht Noahs Hautfarbe kaum zur Debatte, nur von einem Freund wird er "Schokohase" genannt, liebevoll und zynisch zugleich.
Keine idyllische Atmosphäre will aufkommen
Auf der Bühne ist ein Campingzelt aufgestellt, das etwas behelfsmäßig, wie ein Flickwerk aussieht. Ein Unterschlupf, ein Rückzugsgebiet. Zu Mama und Sohn stößt die Sängerin Lisa (Isabelle Redfern), die, zwischen Schrillheit und angedeuteter Anmut oszillierend, durch ihre Exaltationen etwas frischen Wind bringt und abenteuerliche Vorlieben hat. Originalität ist Trumpf, potentielle Hohlheit wird durch Charme und gewandtes Auftreten unkenntlich gemacht. Immerhin, ihre Wortbeiträge sind interessanter als Noahs Ausführungen über eigene Onanieerlebnisse. Susanne packt eine Mini-Gitarre aus und musiziert leicht dilettantisch, das Lagerfeuer muss man sich hinzudenken. Aber trotz aller Versuche, eine halbwegs idyllische Atmosphäre zu schaffen, schwelt insgeheim die alles überragende Abneigung.
Ein zusammengeworfener Haufen
Noah möchte seine Mutter am liebsten auf den Mond schießen und der Vater wundert sich: Warum hasst uns Susanne so? Er erhält ein Geschenk, das aufgrund einiger ineinandergefügter Schachteln die Botschaft verkündet: Verpackung ist alles. Zum Vorschein kommt dann ein Spielzeug-Dackel, bei dem sich so einiges denken lässt. Die Liebe innerhalb der Familie ist fast verkümmert, als sei man ein willkürlich zusammengeworfener Haufen mit Berührungsängsten. Es ist ein bezeichnendes Bild, dass Noahs Tochter ihn mit Brotkrumen bewirft. Noahs Entwicklung wird gezeigt, vom Kind zum Erwachsenen, ohne dass er jemals richtig erwachsen würde. Das beweist auch ein sinnloser cholerischer Anfall, der vor der Mutter konvulsivisch aus ihm herausbricht. Stationen seines Lebens werden abgehakt, mit 38 Jahren beispielsweise arbeitet Noah in einer Bar und ist zum Trinker degeneriert. Kein Wunder, bei diesem Lebenslauf, der ohne psychische Verwurzelung dahinplätschert, begleitet von trivialen Gedanken und nicht-erfüllter Sehnsucht. Ein großes Finale gibt es nicht, es sei denn, Susannes Schlussworte markieren Trost und Aufbruch. Die Hoffung bleibt, konstatiert sie trocken, aber nichts wird anders. Insgesamt ist es ein Drama, in dem vieles ausgebreitet, aber nicht ausgespielt wird.
Mais in Deutschland und anderen Galaxien
von Olivia Wenzel
Regie: Atif Mohammed Nor Hussein, Ausstattung: Petra Korink, Dramaturgie: Katja Wenzel und Nora Haakh.
Mit: Isabelle Redfern, Lisa Scheibner, Dela Dabulamanzi, Asad Schwarz-Msesilamba, Theo Plakoudakis, Toks Körner, Atilla Oener.
Uraufführung vom 19. Februar 2015
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)