Ballhaus Ost Berlin: Kritik von "Desaster" – Regie: Anne Schneider
Eine Inszenierung über das Verhältnis zwischen Großmutter, Mutter und Tochter. Trotz der teilweise katastrophalen Zustände erweist sich die Liebe als standfest.Eva Bay im Ballhaus Ost (Bild: © Steffen Kassel)
Pünktlichkeit und Höflichkeit
Eva Bay ist den Ballhaus-Gängern bereits bekannt, sie hat im jederzeit goutierbaren NSU-Drama "Unter Drei" mitgewirkt, ansonsten wurde sie schon einige Male im Potsdamer Hans Otto Theater engagiert (zuletzt: "Das Wintermärchen", "Alle 16 Jahre im Sommer"). Sie spielt eine Tochter, die angesichts der Mutter (Sabine Werner) hin- und hergerissen ist und förmlich zerrieben wird. Natürlich geht es auch um Pünktlichkeit, auf die die Mama höchsten Wert legt. Zum Glück verzichtet die Regisseurin Anne Schneider auf Sprüche wie: ‚Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt' und dergleichen. Ihre tänzerischen Einlagen unterbrechend, erklärt die Figur von Antje Rose, was sie von ihrer Tochter erwartet, nämlich Höflichkeit und Anständigkeit – spießiger und verkrusteter kann dieses anachronistische Erziehungsmodell wohl kaum sein.
Die Strategien der Altvorderen
Die Mutter müsste es wohl besser wissen, wurde sie doch in ihrer Jugend hie und da mit dem Teppichklopfer behandelt, um sich wieder ordnungsgemäß in den Strom des Daseins einzureihen. In der Jugend nimmt man sich vor, alles anders zu machen, aber meistens werden die Strategien der Altvorderen perpetuiert und in die nächste Generation eingepflanzt. Eva Bay, deren scharfe Nase wie ein zackiger Felsvorsprung aus dem Gesicht herausragt und ihm damit mehr Kontur verleiht, spielt ihre Rolle souverän und einfühlsam und selbstbewusst, ohne die Giftspritze auszupacken. Bei dieser Figur ist anzunehmen, dass sie im Falle der Fortsetzung und Reproduktion ihrer Existenz, der Anschaffung von Nachwuchs lediglich eine sanfte Autorität ausüben würde. Mitunter verwundert es geradezu, dass sie bei den teilweise wüsten Bemerkungen der Mama nicht die Zelte abbricht und davonläuft.
Eva Bay mit Büchern und Kinderwagen (Bild: © Marcus Renner)
Umarmungen und leichte Glücksgefühle
An der Bühnenwand plätschert das Wasser an drei Säulen herunter wie ein zarter Wasserfall, im Vordergrund befinden sich ein Kinderwagen und durcheinandergewirbelte Bücher. Dazu wird Musik gespielt: Eva Bay legt sich eine klirrende Fußschelle an und ergreift den Bass, um das Ganze mit dumpfen, raunenden Tönen zu untermalen. Es wird auch als Trio Blockflöte gespielt, was nicht an die DDR erinnert, sondern an das Zwangsinstrument aus der Kindheit, zu dem sinnlos-begeisterte Musiklehrer und stramme Eltern aufgerufen haben. Die Bücher sind Erziehungslehrbücher, aus denen vorgelesen wird, um die Alltagsstrategien zu perfektionieren. Es kommt zu Umarmungen, aber nicht zu Freudentänzen. Antje Rose sehen wir einige Male, wie sie Sabine Werner umschlingt, als wolle sie sie nie mehr loslassen. Es sind rührende Bilder, die da zustande kommen. Die sehr überzeugende Tochter, gespielt von Eva Bay, besinnt sich auf ein Gefühl, das in Familienverhältnissen fast ein bisschen aufgebraucht und altmodisch klingen mag – auf die Liebe.
Desaster
von Anne Schneider
Regie: Anne Schneider, Bühne: Anna Bergemann, Kostüme: Kerstin Narr, Video: Konrad Gröbler, Dramaturgie: Alita Breitag, Musik: Tina Paar, Licht: Paul Simoncelli.
Es spielen: Eva Bay, Antje Rose, Sabine Werner.
Premiere am 3. April 2014, Kritik vom 5. April 2014
Dauer: ca. 70 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)