Plakat der Performance

© No Fourth Wall

 

Beschimpfungen und Komplimente

Henrik Ibsen ist der Antriebsfaktor der installativen Performance. Fast in jedem Zimmer wird man mit Nachspielungen und Zitaten von Ibsen konfrontiert, obwohl die schnipselhaften Aufrufungen des norwegischen Dramenmeisters für den Verlauf des Abends nur eine sekundäre Rolle spielen. Sobald ein neuer Mitspieler hinzutritt und ein Mitagieren entsteht, werden die Originaltextstellen aufgeweicht oder verfremdet. Zunächst betritt man einen menschenleeren Raum, auf dessen Decke ein Video abgespielt wird. Nora als erwachsen gewordenes doppeltes Lottchen. Im nächsten Zimmer wartet eine in ein bizarres Kostüm gepresste Asiatin, die den Augenblick für gekommen hält, von unschmeichelhaften Beschimpfungen zu überzogenen Komplimenten überzugehen. Entscheidend ist, wie man sich auf ihre Waage stellt. Hat man die vermeintlich richtige Position auf dem Messgerät erreicht, kommen jäh und unverhofft kleine verbale Geschenke, die man nach etwa zweijähriger Partnerschaft nur noch selten hört. Ich habe also ein warmes Herz – da hilft es auch nicht weiter, auf die partielle Schließung von Herzkammern hinzuweisen. Der vorweggenommene Höhepunkt der Performance ist die Experimentalküche von Adela Bravo Sauras. Hier funktioniert das auf kleinster Ebene stattfindende, auf reiner Improvisation beruhende Spontantheater. Nackt steht sie da, nur bekleidet in Form von seltsamen Krautlappen nebst Gewürzen. Die kann man vom Körper herunterbeißen, aber wer den Fehler begeht, sie ohne Marmelade oder andere Zutaten einzunehmen, läuft Gefahr, eine rein veganische Kost zu konsumieren, die nach mit Spülmitteln angereicherte Pappe schmeckt. Immerhin, hier geschieht ein aktives Bemühen um Kommunikation und emotionales Beteiligtsein, auch wenn es nur ein Herantasten ist.

 

Das freie Spiel der Kräfte

Im nächsten Zimmer warten zwei Aktivisten, die offensichtlich geschult sind in "Baumeister Solneß". Es scheint ein Spiel von Hassliebe zu sein, das man als intervenierender Zuschauer auch in harmonischere Ebenen überführen kann – oder ins Gegenteil. Ganz anders ein Gesprächszimmer, in dem man über Alltagsphänomene, gesellschaftliche Probleme und Philosophie sprechen "darf", obwohl Philosophie gar nicht stattfindet, übrigens bei einer Schauspielerin, die mehr an eine Geschäftsführerin gemahnt. Dahinter befindet sich eine Bauklotz-Zentrale, wo sich für jeden freiwilligen Mitmacher und selbsternannten Baumeister die einmalige Chance eröffnet, eine – rein historisch jederzeit legitimierte – Mauer zu errichten. Nun, einmauern lassen will sich wohl niemand: Fällt aus Versehen ein Bauklotz, wird eine neue Situation geschaffen, es ergibt sich ein neues Spiel im freien Spiel der Kräfte. Zuletzt werden die interagierenden Teilnehmer in ein Nora-Zimmer katapultiert, nützlich schon deshalb, weil das für sie die letzte Exit-Möglichkeit ist für das Betreten der im ersten Stock angesiedelten Bar, wo zur nachträglichen Erfrischung ein schlechter Hausmonopol-Wein wartet. Die kurze Ein-Frau-Performance offeriert als abschließendes Finale zumindest eine interessante Nora, die, um ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, ihre drei Kinder verlässt. Aus dem Menetekel wird ein Fanal. Inhaltlich leistet die komplette Performance wenig, aber für das Erforschen von Kommunikation eine ganze Menge. Insofern gehen die Zuschauer nicht mit einem leeren Gefühl nach Hause. Es ist ein Abend, der trotz des zutage tretenden Dilettantismus mehr beschäftigt als eine künstlerisch ausgefeilte Stadttheateraufführung. Mehr davon wäre zu begrüßen.

Ipsagon

von No Fourth Wall

Text, Konzept und Strategie: Adela Bravo Sauras

Es spielen: Susana Sarhan Abdulmajid, Antonia Alessa Virginia Beeskow, Adela Bravo Sauras, Glenn Grossley, Jiwoon Ha, Dorothee Krüger, Julia Novacek, Christian Wagner, Philosophie: Katharina Czukowitz, Christian Dragnea, Slaven Waelti.

Ballhaus Ost Berlin

Premiere vom 15. August 2015

Dauer: ca. eine Stunde

 

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