Die Internetexperten lesen auch mal ...

Die Internetexperten lesen auch mal Zeitung (Bild: © Leien des Alltags)

Das Virtuelle als Ziel

Die vier Schauspielerinnen haben schon bei einigen Theaterproduktionen mitgewirkt, z.B. im Deutschen Theater Berlin (Lisa Hrdina), in René Polleschs "Ein Chor irrt sich gewaltig" (Nele Stuhler, Lisa Hrdina) oder in der Volksbühnen-Jugendproduktion P 14 (Elena von Liebenstein). Hannah Dörr ist Video-Assistentin in der Volksbühne. Jung an Jahren, sind sie sehr verspielt und entfalten eine aktionsreiche Dynamik. Immer wieder geht es um die Entwicklung eines Möglichkeitsraums, was nach Musils "Mann ohne Eigenschaften" klingt, aber den Wirklichkeitsraum ausspart. Das Virtuelle ist das erklärte Ziel, nicht das Reale. Nun, bei den Leien des Alltags scheint das potentiell Mögliche eine höhere Form von Wirklichkeit darzustellen. Denn das Spielen mit Möglichkeiten wird, sobald es zur Darstellung gebracht wird, zum Faktum. Eine Facebook-Ekstase allerdings ist ein Ausbruchsversuch und die scharf gezogenen Konturen der Realität lösen sich auf.

 

Aufgegriffene Motive neu variiert

Der Abend liefert freilich mehr als eine Frau in Glitzerklamotten, die ihre Google-Sprüche daherplappert. Irgendwann wälzen sich vier Leiber auf dem Boden, leicht enerviert, etwas hysterisiert, aber freudetrunken. Eine männliche Figur namens Maruska liegt auf dem Rücken und muss sich einem kleinen Verhör aussetzen, euphemistisch gesprochen handelt es sich um eine Befragung. Und dann eine nicht ganz fremde Szene: Eine Figur monologisiert, dazwischen wird intervallartig im Chor ‚scheiße' gesagt. Eine solche Passage hat man schon des Öfteren im Off-Theater erlebt, trotzdem ist sie, um es freundlicherweise zu erwähnen, nicht abgekupfert: Sie ist vor allem eine neue Variante eines bekannten Choral-Motivs. Und auch dem Schuh-Motiv wird eine neue Version hinzugefügt, allerdings ist sie nicht sonderlich originell. Zum Glück sprechen die Akteure die digitale Kränkung an - und damit ist ein großes Problem angerissen. Aber dabei bleibt es auch. Da reicht es nicht zu sagen, man sei traurig: Durch das Internet können Menschen vernichtet werden. Hätten die Akteure das szenisch und ästhetisch realisiert, wäre ihnen ein großer Coup gelungen – das Anritzen ist zu wenig. Es bleibt ein teilweise freudiges Internet-Happening mit kritischen Nachfragen. Immerhin, Nele Stuhler hat noch einen starken Auftritt. Und wie heißt es einmal? "Ich will mal wieder gemolken werden." Das geschieht normalerweise auf einem Bauernhof.

Les experts d'Internet. Die Internetexperten

Von Leien des Alltags

Es spielen: Nele Stuhler, Tim Fabian Bartel, Jan Koslowski, Hannah Dörr, Elena von Liebenstein, Lisa Hrdina and Friends.

Musik: Gregor Trierweiler.

Ballhaus Ost Berlin

Premiere vom 12. Januar 2014

Dauer: ca. 65 Minuten, keine Pause

Bildnachweis: © Leien des Alltags

 

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