Bei der nächsten App wird Alles anders
Die 5 Phasen der Beziehung zu einer App - vom ersten Flirt bis zum tränenreichen Abschied bis zur unvermeidbaren WiederholungKommst du mit zu mir? Ich zeig dir meine Features, Baby. (Bild: Oliver Degabriele / Flickr)
Der erste Flirt, das Erkunden eines #Neulands, gegenseitiges "Sag/Zeig mir deins, dann sag/zeig ich dir meins" - die Hormone schießen durch den Körper und alles wird rosarot. So ähnlich fühlt es sich an, wenn man eine neue App / einen neuen Service entdeckt, der einem das verspricht, was man sich am allermeisten wünscht: Erfüllung und Befriedigung der eigenen Bedürfnisse nach Verständnis, Respekt, Kreativität und Pioniergeist.
Oft beginnt es im zarten, jungfräulich verlockenden Alter der Beta-Phase, für die man sich selbstverständlich registriert, um auch ja nicht zu verpassen, welch großartige Zukunft man miteinander entfalten kann. In dieser Phase zählt die eigene Meinung, ja man kommt sich beinahe gottgleich vor, wenn die Entwickler (die oftmals nur aus Vornamen zu bestehen scheinen), die gut gemeinten Verbesserungsvorschläge persönlich kommentieren und vielleicht sogar implementieren.
Allein der Himmel scheint die Grenze zu sein und man erzählt überschwänglich der ganzen Welt, d.h. seinen Facebook-Freunden und Twitter-Followern, von dieser neuen, wundervollen Liebe. Eine wundervolle Zukunft schwebt am Horizont und ständig gibt es etwas Neues zu entdecken. Einem Kamasutra gleich probiert man ständig neue Konstellationen, Einsatzmöglichkeiten, Ideen. Und es sieht auch Alles so toll aus, wenn man gemeinsam ...
Kuck mal Schatz, ich hab uns gemeinsame Keywords gemacht. (Bild: eltpics / Flickr)
Die ersten Anfangsschwierigkeiten und ersten peinlichen Situationen sind überwunden. Fleißige Updates machen die Gemeinsamkeit stetig stabiler und Dinge, die man in der Anfangszeit aufgrund ihres "Wow"-Charakters mochte, hat man inzwischen lieben gelernt. Man vertraut sich und freut sich, wenn der Partner (die App) immer mehr Freunde und Zuspruch findet. Schließlich war man selbst ja dabei, hat sein Herzblut und seine Zeit investiert, um sie bekannt, beliebt und erfolgreich zu machen.
Als First-Mover hat man außerdem den egomanischen Vorteil des Wissensvorsprungs. Niemand auf der Welt kennt diese App besser als man selbst - frag doch die Entwickler. Die haben einem sicherlich einen Schrein erbaut, weil ohne das eigene Feedback wäre der Start definitiv misslungen. Man hat aus dem versteckten, hilfsbedürftig zwinkernden Mauerblümchen eine selbstbewusste, attraktive Dienstleistung gemeißelt. Boooya! That's my girl!
Doch mit dem Erfolg kommen auch die Schattenseiten. Irgendein großer Konzern macht Übernahmeangebote oder der Börsengang wird initiiert. Plötzlich geht es nur noch um Geld. Der gemeinsame Spaß wird Nebensache. Das Vertrauen kriegt erste Rissen, wenn man ...
Wieso gibst du mir nicht eine Kopie deines Ausweises und deiner Bankdaten? Ich glaube, du liebst mich nicht mehr! (Bild: PublicDomainPictures / Pixabay)
Die tiefste Basis einer jeden Beziehung ist das Vertrauen. Ohne Vertrauen hätte man der App nicht stückchenweise immer mehr persönliche Informationen überlassen. Erst die Email, dann den Namen, dann Fotos ... alles noch im Rahmen. Und alles auch notwendig, weil man eine Beziehung sonst ja nicht wirklich aufbauen kann - und das möchte man doch. Schließlich hatte man sich ja verliebt.
Aber plötzlich werden aus anfänglichen Bitten (Verrat uns doch, wie du heißt) Forderungen (Ein Login ist erst nach Eingabe deines Geburtsdatums möglich) bis hin zu brutalen, ja geradezu unverschämten Zwängen (Ich brauche jetzt Zugriff auf alle deine Kontakte, muss Anrufe führen können, deine Kamera gehört jetzt mir, ...). Das rosarote Luftschloss wird mit "Naja das is ja noch OK - außerdem benutz ich die App ja einfach gern"-Ausreden notdürftig immer öfter geflickt.
Doch so langsam ist die Luft raus. Man fühlt sich missverstanden, ignoriert (der Support ist nur noch eine anonyme Mail-Adresse, bei der nie jemand antortet und wenn dann so, dass es einem nicht hilft bzw. der allseits beliebte Verweis auf die FAQ), ausgenutzt und irgendwie traurig, schmutzig und verloren. Was ist nur aus der gemeinsamen Zukunft geworden? Da plötzlich begreift man, dass man ...
Und du hast wirklich alle meine Daten von deinen Servern gelöscht? Versprochen? (Bild: ETersigni / Flickr)
Man hat genug von ständig mehr und neuen Forderungen. Einstmals geliebte Funktionen wurden derart oft einer Schönheitsoperation unterzogen, dass das Ergebnis gleich manchem Hollywood-Sternchen nurmehr als Abschreckung dienen kann. Es hat gedauert, doch irgendwann geht es einfach nicht mehr.
Langsam zieht man sich immer mehr zurück. Versucht, zu retten, was noch zu retten ist. Sichert alle Fotos wo anders hin, lässt sich die Nummer von jedem Kontakt geben, den man wirklich mag, copy-pastet oder screenshotet lustige, interessante oder sonstwie bedeutungsvolle Erinnerungen an eine Zeit, die so schön war - und doch so vergänglich.
Und dann ist es soweit. Wenn man mutig und selbstbewusst ist, löscht man den Account. Die feige Lösung ist, sich einfach still und heimlich zu verpissen und nicht mehr zu melden (bzw. anzumelden). Und wie immer nach einer tiefgehenden Beziehung hofft man, sie (die App) möge mit den ihr anvertrauten Geheimnissen und Informationen anstandsvoll umgehen. Doch jedesmal, wenn man sich wieder zufällig über den Weg läuft, kommt dieses seltsame Gefühl auf, dass der Andere viel zu viel weiß und das enttäuschte Vertrauen sorgt nicht gerade dafür, dass man sich gut damit fühlt. Und doch ist es so, dass man beim nächsten Mal ...
Hey Baby - neu hier im Appstore? (Bild: Oliver Degabriele / Flickr)
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und stets qualvoll. Auch die, dass es endlich Unternehmen geben wird, die verstehen, dass kurzfristige Profitmaximierung und reines Gewinnstreben stets dazu führen wird, dass das Vertrauen der Nutzer mit Füßen getreten wird und man sich so langfristig den Boden unter den eigenen Füßen wegzieht. Die nächste jungfräuliche App zwinkert nämlich bereits an der Ecke und voll neuen Mutes macht man sich auf den Weg zu ihr - die Leichen verwelkter Schönheiten (Myspace & Co.) stets am Rande des Blickfeldes, die man aber optimistisch ignoriert.