Der trinkende Baal (Matthias ...

Der trinkende Baal (Matthias Mosbach) am Schreibtisch (Bild: © Barbara Braun)

Einige Frauen gehen durch seine Hände

Mech (Boris Jakoby) gehört zu jenen Businessleuten, die vermeinen, ein junger wilder Dichter verhalte sich außerhalb der Geschäftszeiten wie ein braver Beamter. Baal (Matthias Mosbach) wirft sich in eine ordinäre Pose, zieht ab und macht sich sogleich an Mechs vornehmer Gemahlin Emilie zu schaffen. Hier erscheint eine Anke Engelsmann, die, optisch kaum wiederzuerkennen, nur durch Größe und Körperbau auszumachen ist. Anstand und Rohheit treffen kompromisslos aufeinander. Wer sich nicht in die Magdrolle bequemen will, für den ist schnell Ersatz da, und zwar in Gestalt von Johanna. Karla Sengteller tut alles, damit sie ihm gefällt, sie entblößt ihren Körper, lässt den einladenden, runden Busen funkeln und wirft ihm schmachtende Blicke zu, die bald seine Abscheu erregen. Je abstoßender sich Baal verhält, desto anziehender scheint er für die Frauen zu werden. Zwischendurch spielt er den dauererhitzten Lyriker, der, anstatt seine trunkenen Abenteuer poetisch zu erhöhen, die Natur in ihren zartesten Facetten einzufangen sucht. Manuskriptblätter, von einer Windmaschine aufgewirbelt, wehen ihm ums Gesicht. Dann nimmt er Platz auf einem Hochsitz, der normalerweise für Förster und Jäger reserviert ist, um zu sehen, was alles unter ihm liegt. Oben sitzt der Jäger, unten ist das herumtreibende Wild. Die Letzte, die in seinen Fängen landet, ist Sophie (Celina Rongen), die nach der ungewollten Reproduktion seiner Existenz ruckartig an Reiz verliert, als sei sie schon abgegriffen und ausgeleiert.

 

Celina Rongen, Matthias Mosbach

© Barbara Braun

 

Irgendwo zwischen Gott und Jauche

Bei Jungregisseur Sommer ist Baals ständiger Begleiter Ekart (Felix Strobel) der Inbegriff von Naivität, Einfalt und Servilität. Wie ein untwerwürfiger Hund schlappt der dilettierende Komponist dem Baal hinterher. Und der weiß keine andere Lösung, als das unverwüstliche klebrige Anhängsel zu erdrosseln. In Baals Innern schreit es nach absoluter Freiheit, da kann jede einengende, lästige Beziehung nur hinderlich sein, und sein Wunsch ist abzuwerfen die Last, um die reine Luft der Poesie atmen zu können. Zum Glück legt Mosbach keinen Berserker hin, sondern jemand, der mit seiner Seele ringt, ja sie auskotzt. Selbst ein Gedicht – Brechts frühe Lyrik reißt nicht gerade jeden vom Hocker – erhält unter Mosbachs Händen Glut und Leidenschaft, als sei es mit Blut und Herzblut geschrieben, und das von einem Dichter, der sich in Gottes Nähe wähnt und sich zugleich wie ein Stück Scheiße fühlt. Warum aber so viele Frauen auf den tobenden und schäumenden Baal abfahren und in lustvolle Verzückung geraten, kann auch Mosbach nicht plausibel machen. Der Genie-Kult der Stürmer und Dränger, den Baal zurückzurufen sich bemüht, ist nur noch ein zart zitterndes Nachbeben. Dennoch übt der mit allen Konventionen brechende wilde Poet einen nicht fassbaren Magnetismus aus, vielleicht weil er seinen lebenstrunkenen, von Naturschönheit und Kunst begleiteten Freiheits- und Leidensweg konsequent weitergeht, bis hin zum Untergang. Wer sich mit dem Getriebenen einlässt, empfängt die süßesten Früchte, die aber den Keim des Todes in sich tragen. Am Ende hangelt Mosbach verzweifelt auf der Bühne herum. Wie ein leidender Jesus, der von inneren Dämonen zerfressen ist. Von allen TV- und Theater-Adaptionen ist dieser Baal nicht der schlechteste. Mosbach sei Dank.

Baal

von Bertolt Brecht

Regie: Sebastian Sommer, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Karl-Ernst Herrmann,
Wicke Naujoks, Musik: Jan Brauer, Esmeralda Conde Ruiz, Matthias Trippner, Dramaturgie: Steffen Sünkel, Licht: Karl-Ernst Herrmann, Ulrich Eh.

Es spielen: Matthias Mosbach, Karla Sengteller, Anke Engelsmann, Felix Strobel, Celina Rongen, Ursula Höpfner-Tabori, Sven Scheele, Boris Jakoby.

Jan Brauer (Elektronik, Synthesizer)
Matthias Trippner (Elektronik, Schlagzeug)

Berliner Ensemble, Probebühne

Premiere war am 6. April 2017, Kritik vom 10. April 2017

Dauer: ca. 110 Minuten, keine Pause

 

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