Clemens Sienknecht, Annika Meier

Clemens Sienknecht, Annika Meier (Bild: © Matthias Horn)

Die vielen Songs kann man gar nicht aufzählen

Die gezeigte Radioshow, aufgepumpt mit Wetterberichten, Werbung und abenteuerlichen Scherzen, ist ein gar endlicher, kurzfristiger Spaß, den man wohl bald wieder vergessen wird. Das teilweise in Weinrot gehaltene Interieur mit altmodischer Deckenbeleuchtung erreicht mühelos ein respektables Rentner-Niveau, bei dem einige für gediegene Kammermusik geeignete Musikinstrumente für atmosphärische Stärkung sorgen. Bedauerlicherweise wird das Ambiente gebrochen durch einige Palmen, die wohl für jüngere, auf Exotismus und diverse Sehnsüchte setzende Jahrgänge gedacht sind. Das wird forciert durch Annika Meier, die in Phantasie-Kostümen von fremdartigem Zauber herumtänzelt. Clemens Sienknecht selber trägt den schlimmsten Krempel, den man sich unter dem Mond vorstellen kann: Braune Hose und Weste, darüber ein unmögliches Hemd und gelegentlich ein Glamour-Sakko. Thilo Nest sieht aus wie Elton John in den 70er-Jahren. Nur singt er nicht "Crocodile Rock" oder "I'm still standing", sondern Joe Cocker, mit einer kleinen Hilfe seiner Freunde. Die Musik ist nicht zu bemängeln, leider haben die Bewegungen dazu nicht das Geringste mit Cocker zu tun. Beim Thema Woodstock fällt dem Team nur noch Canned Heat ein, ansonsten wird es sehr populär, für manche Zuschauer*innen auch nostalgisch, obwohl die Stimmlagen nicht immer stimmen. Zum Glück gibt es einen Plattenspieler, der alles mit zerkratzter, durch grobe Fingerübung weiterspringender Nadel im Original rüberbringt.

 

Annika Meier, Clemens Sienknecht, Owen Peter Read

© Matthias Horn

 

 

Spaßiges Musik-Theater

Der Entwicklungsgang von Co-Regisseurin Barbara Bürk ist schon eine Erwähnung wert. Sie hat im Potsdamer Hans Otto Theater zwei "konventionelle" Inszenierungen abgeliefert ("Eine Familie, Juni 2011 und "Wellen", März 2013), aber spätestens seit "Der Rest ist Geigen" (ebenfalls Potsdam, Juni 2015) hat sie sich völlig verwandelt und ist ins spaßige Musik-Theater eingestiegen, wo auch Sienknecht geistig und künstlerisch angesiedelt ist. Seit er sich etwas von Marthaler emanzipiert hat, lässt er wohl alle Zügel fahren, um sich ohne störende Fremdeinmischung völlig ausgelassen austoben zu können. Die Resultate seiner gewonnenen Freiheit und seiner neuen, ungewöhnlichen Produktivität sind zumindest zwiespältig. Er liefert keine Kunst, sondern bare Unterhaltung, die selbst für Leute, die seit Jahren kein Theater mehr betreten haben, annehmbar ist. Neben all der Parodie von Ex-Stars wird nicht selten der Persiflage-Hammer ausgepackt. Das Allerbeste ist noch ein Zwiegespräch – besser: Interview – zwischen Thilo Nest und Werner Riemann vor einer Talk-Show-Kulisse. Während sich Nest als komplizierter Fragesteller herumquält, antwortet Riemann nur mit einem Ja oder Nein. Aber das Interview ist im Kasten und alles wurde gesagt. Leider werden diese Höhen in der vor Seichtigkeit beinahe irisierenden Show selten erreicht. Immerhin: Es darf viel gelacht werden – und das mit Recht.

 

Ballroom Blitz

Regie: Clemens Sienknecht und Barbara Bürk, Bühne/Kostüme: Anke Groth, Musikalische Leitung: Clemens Sienknecht

Es spielen: Tilo Nest, Nico Holonics, Annika Meier, Carina Zichner, Friedrich Paravicini, Owen Peter Read, Clemens Sienknecht.

Berliner Ensemble, Kritik vom 23. Mai 2018

Dauer: ca. zwei Stunden

 

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