Berliner Ensemble: Kritik von "Bremer Freiheit" – Catharina May
Premiere im Pavillon. Rainer Werner Fassbinder reloaded. Eine desillusionierte Giftmischerin tötet Ehemänner, Verwandte und Bekannte, um sich den Weg freizuschaufeln.Krista Birkner, Karla Sengteller (Bild: © Lucie Jansch)
Trotz der serienmäßigen Morde will sich keine Routine einstellen
Die Bühne (Karl-Ernst Herrmann) besteht aus einem langen Laufsteg, der an den beiden Enden zackige Ausläufer aufweist. Wie beim Catwalk sitzen die Zuschauer rechts und links außerhalb der Schneise. Auf der Bühne steht allerdings kein Model, sondern die Schauspielerin Krista Birkner, die von einem Entsetzensanfall in den nächsten rutscht. Sie ist keine strategisch vorgehende Killerin, die routiniert und kaltblütig ihre Selbstjustiz ausführt. Erst beim Mord an Luisa Mauer entfaltet Geesche, die den Vorwurf, ihr Leben sei eine Hölle, nicht ertragen kann, eine von reiner Boshaftigkeit getragene Gewohnheitscleverness. Kaum ist das Gift im Körper, setzt sie ihre noch lebendige Freundin Luisa davon in Kenntnis. Fassbinder-Kenner erinnern sich womöglich an Hanna Schygulla aus der Originalverfilmung, an deren Personal sich vor allem Peymann aus Berufsgründen erinnern mag. Wer da auf dem Boden liegt, ist nun Karla Sengteller, erstarrt wie eine in Blei gegossene Statue, die vom Medusenblick getroffen wurde.
Zu viele Menschen stehen im Weg
© Lucie Jansch
Machos und viel Leder
Man trägt gerne Leder (Kostüme: Wicke Naujoks). Die Schauspieler sehen aus, als kämen sie gerade vom letzten Rockertreffen. Georgios Tsivanoglou, der mit nassem geglättetem Haar auftritt, das im Nacken zu einer kranzartigen Lockenpracht ausufert, stirbt, kaum dass er da ist. Boris Jakoby als ihr zweiter Ehemann Gottfried darf länger durchhalten, nur kann er es nicht ertragen, dass seine anvisierte Gattin Geesche zwei von ihm nicht gezeugte Kinder mitbringt – der Metzger Oskar aus Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" lässt grüßen. Auch die Mutter (Ursula Höpfner-Tabori) quatscht unnötig herum mit ihren – in diesem Fall matriarchalen - Direktiven. Also muss sie eliminiert werden, wie Gottfried, der die Frau als dressiertes Haustier betrachtet. Verblüffend an dieser Inszenierung ist die Textnähe zum Original. Vom nicht eingebauten Pessar ist ebenso die Rede wie vom ungeliebten Geliebten, der dafür sorgen soll, dass "das Leben fürderhin in einer ruhigen Bahn" verläuft. Die wortgetreue Nachbearbeitung ist keineswegs ein Hindernis – es kommt darauf an, was die Schaupieler*innen daraus machen. Das Ergebnis ist nicht das Schlechteste.
Veraltetes Thema, darstellerisch durchaus innovativ
Nach anfänglichem Startschwierigkeiten gewöhnt sich Geesche allmählich an die rituelle Kraftaufwandseuthanasie. Dennoch will sich angesichts der endlosen Wiederkehr des Gleichen keine fundamentale Abstumpfung einstellen. In ihren Augen ist es ein von ihr gewollter assistierter Suizid, doch das Gesicht spricht eine andere Sprache. Krista Birkner lässt sich bei jeder im Vorfeld beschlossenen Auslöschungsnummer in eine fassungslose Erschütterung hineinfallen, die ein hohles, ausdrucksloses Entsetzen hervorbringt. Ein Gesichtsvakuum, das irgendwelche überirdischen Mächte anzuflehen scheint – dem aber auch die Schattierungen fehlen. Ihr magentafarbenes Oberteil scheint am Leib zu kleben und zu zittern, daneben liegen die unvermeidlichen Pumps, als würden die Verhältnisse ihr permanent die Schuhe ausziehen, daneben ein Turmkocher und ein antiquarischer Wasserkessel. Fassbinder hat bei jedem rituellen Mord Klaviermusik einspielen lassen – die Neuregisseurin May verzichtet darauf. Stattdessen arbeitet sich der Musiker Julius Heise am Xylophon oder Marimba ab, um etwas Atmosphäre zu schaffen, die die Zuschauer nicht emotional einlullt. Sicherlich, die emanzipatorischen Überlebensversuche von Geesche sind veraltet, heute würde eine freiheitslüsterne Frau das private und berufliche Umfeld oder gar die Stadt wechseln, um in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (früher "wilde Ehe") ihr Glück zu suchen. Dennoch ist die Inszenierung von Catharina May ein Stück realer Geschichte. Und die Darstellung ist nicht museal, sondern hochmodern. Ein bescheidener Ort im kleinen Pavillon, aber ein jederzeit kurzweiliger Abend, der viel aus der Vorlage herausholt.
Bremer Freiheit
von Rainer Werner Fassbinder
Regie: Catharina May, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Wicke Naujoks, Dramaturgie: Anke Geidel, Licht: Karl-Ernst Herrmann, Steffen Heinke, Musik: Julius Heise.
Es spielen: Krista Birkner, Karla Sengteller, Ursula Höpfner-Tabori, Axel Werner, Boris Jacoby, Thomas Wittmann, Jörg Thieme, Martin Schulze, Stephan Schäfer, Joachim Nimtz.
Berliner Ensemble
Premiere vom 21. Mai 2016
Dauer: 90 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)