Berliner Ensemble: Kritik von "Der gute Mensch von Sezuan" – Leander Haußmann
Premiere. Der Regisseur Haußmann inszeniert Bertolt Brechts "Schubladen"- Stück mit überschaubarem Niveau. Eine recht plakative Gegenüberstellung von gut und böse.Antonia Bill (Bild: © Lucie Jansch)
Passive, allzumenschliche Götter
Die Götter, bei Brecht ohnehin allzumenschlich und kaum göttlich, werden hier noch weiter profaniert. Sie wirken wie Botschafter von einer anderen Galaxis, die sich nach langem Schweigen mal auf der Erde umsehen und in ihrer Naivität das moralisch Gute einfordern. Im Grunde sind die Götter (Traute Hoess, Swetlana Schönfeld, Ursula Höpfner-Tabori) leicht kasperhafte Popanze, deren angebliche Allmächtigkeit sich als harmlose Kontemplationsaktivität erweist. Am Ende der Inszenierung werden sie als ästhetisch dekorierte Menschmaschinen dargestellt, die sich einem Eingriff verweigern und auf Hoffnung setzen: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/ Den Vorhang zu und alle Fragen offen" – ein Ausspruch, den sich einst Reich-Ranicki für das damalige Literarische Quartett ausgesucht hat. Der Bühnenbildner Lia Lewandowsky versucht das Projekt ästhetisch zu gestalten, indem er einige halbwegs pittoreske, antiquierte Straßenlaternen aufbietet, die ein halb grelles, halb gedämpftes Licht auf die Schauspielerinnen und Schauspieler werfen. Als Shen Te dank einer Geldspende der ausnahmsweise intervenierenden Götter einen bescheidenen Tabakladen eröffnet, wird von der Decke ein kleiner Glaskasten heruntergefahren, wo sich verarmte, hilfesuchende Humanisten in drangvoller Enge aneinanderquetschen. Auf dem Dach prangt eine Art Glücksschwein – vielleicht wurde Lewandowsky dabei von den Kitschmotiven eines Jeff Koons inspiriert. Shen Tes Menschlichkeit, die sich als uferlose Freigebigkeit offenbart, führt zwangsläufig zur Selbstausbeutung. Um das zu verhindern, mutiert sie zu ihrem geschäftstüchtigen Vetter – und unterläuft damit das Gebot der Götter.
Wartezimmer mit Stühlen
Antonia Bill spielt sowohl Shen Te als auch Shui Ta, spielt Gegensätze, die sie einigermaßen glaubwürdig rüberbringt. Ihr permanenter Oufit- und Perückenwechsel verleiht ihr stets ein neues Gesicht, aber es ist stets das gleiche Gesicht, das da arbeitet und mehr versucht als die Verwaltung verschiedener Rollen. Es sind teilweise akrobatische Gestikleistungen, nur fehlt bedauerlicherweise der Zug ins berückend Große – aber wen hätte das Berliner Ensemble angesichts des Personals auch aufbieten können? Laura Tratnik vielleicht. Nun, an Bill liegt es bestimmt nicht, dass dieser ästhetisch ambitionierte Sezuan-Bewältigungsversuch in eine seichte Unterhaltungsunternehmung abgleitet. Der Pilot Yang Sun (Matthias Mosbach), der angeblich Shen Te anbetet und in Wahrheit nur das eigene finanzielle Fortkommen anvisiert, gerät beinahe zu einer kapitalistischen Karikatur, die lediglich das für sich Brauchbare und Nützliche im Sinn hat. Die scheiternde Hochzeitsveranstaltung – trotz aller Herzenszuneigung warten auf alle auf den Geldgeber-Doppelgänger Shui Ta – wird zu einem Wartezimmer mit Plastikstühlen. Natürlich kann sich Shen Te nicht zweiteilen, zumal sie schwanger ist.
Luca Schaub, Anke Engelsmann, Karla Sengteller, Peter Luppa, Detlef Lutz, Antonia Bill. (Bild: © Lucie Jansch)
Gegensätze werden forciert
Sicherlich hat diese Premiere einige positive Nebenmomente, etwa Felix Tittel als authentischer Schreiner oder Boris Jakoby als Barbier mit ausgeprägtem Talent in wortgewandter Situationskomik. Dennoch entsteht der Eindruck, dass Haußmann mehr absolviert als inszeniert. Brechts plumpe Gegenüberstellung von weiblicher Sanftmut und männlich-hartnäckigem Eigeninteresse wird hier noch forciert, und auch die Tatsache, dass man im Produktionsprozess aus Überlebensgründen quasi entmenschlicht wird. Wo sind eigentlich Haußmanns subtile Leichtigkeit, der Verve und das nicht explizite Aufzeigen von Missständen geblieben? Mit "Rosmersholm" (Berliner Volksbühne, Premiere 15.9. 2011) hat Haußmann nach etlichen Jahren die Bühne wiederentdeckt, dabei war die Inszenierung eine Fortsetzung von Opas Theater. Erstaunlich hingegen die im Berliner Ensemble aufgeführten "Hamlet" und "Woyzeck", die einen künstlerischen Aufbruch markierten und Haußmanns Handschrift erkennen ließen. Und nun eine Aufführung, die wie eine Anpassung an den Stil des Hauses daherkommt und einem Rückfall in die Gefilde von "Rosmersholm" gleichkommt, fast wie ein Kotau vor Peymann und Karge, die diese Art von Theater noch besser hinbekommen. Auch der Schluss wird brechtgetreu wiedergegeben. Alle Fragen offen? Alles scheint vorprogrammiert, man kann sich die Fortführung des Elends-Martyrium von Shen Te auch ohne Phantasie plastisch vorstellen.
Der gute Mensch von Sezuan
Parabelstück von Bertolt Brecht
Musik: Paul Dessau
Regie: Leander Haußmann, Bühne: Via Lewandowsky, Kostüme: Janina Brinkmann, Musikalische Leitung: Tobias Schwencke, Dramaturgie: Steffen Sünkel, Licht: Ulrich Eh.
Mit: Ursula Höpfner-Tabori, Felix Tittel, Antonia Bill, Karla Sengteller, Boris Jacoby, Norbert Stöß, Traute Hoess, Swetlana Schönfeld, Matthias Mosbach, Anke Engelsmann, Detlef Lutz, Luca Schaub, Marko Schmidt, Roman Kaminski, Peter Luppa, Marvin Schulze, Michael Kinkel, Axel Werner, Gerd Kunath, Claudia Burckhardt.
Premiere vom 12. September 2015
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)