Berliner Ensemble: Kritik von "Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner"
Premiere. Bertolt Brecht schrieb die Geschichte eines befreundeten Boxers auf. Regisseur Dennis Krauß inszeniert das Fragment als Einpersonen-Stück.Ein Schattenriss: Oliver Kraushaar (Bild: © Matthias Horn)
Mit dem Erfolg kommt der Kleidungsstil
Die Geschichte von Körner, der sich später den Künstlernamen Samson anhängt, ist arg dürr, zumal sie nur die Jugend beleuchtet. Deshalb hat Regisseur Krauß noch einige von Brechts Texten hinzugefügt, die sich explizit mit dem Boxen auseinandersetzen, damit das Leben eines Kampfsportlers schärfer umrissen wird. Für Körner ist das Boxen nicht irgendein Sport, sondern die höchste Ausdrucksform desselben. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles was geschieht, also jeder Schlag, geschieht bewusst. Oliver Kraushaar steht zunächst in Unterhose da wie ein Habenichts und wird kleidungstechnisch betrachtet mit der Zeit immer eleganter. Als habe er gerade genug Geld, um sich wieder ein Kleidungsstück hinzuzukaufen. Am Ende, er scheint etabliert und arriviert zu sein, trägt er einen Anzug, wie Teile der stilvollen Outfit-Experten im Publikum, die neben den Unterwelt-Typen mit protzigen Ringen sitzen. Kraushaar spielt eine Art Proll mit Niveau, jemand der neben der Schnoddrigkeit sich auch um fassbare, einigermaßen geschliffene Formulierungen bemüht, ohne ins intellektuelle Lager abzurutschen - oder hochzufahren. Der Boxer gerät einmal an jemanden, dessen Ziel es ist, dank eigener Überlegenheit den Gegner so lange wie möglich zu quälen. Kein K.-o.-Sieg ist anvisiert, sondern das hinausgezögerte Fertigmachen über Umwege.
© Matthias Horn
Niederlage als Chance
Auf der linken Seite der Bühne ist ein großer weißer Kreis zu sehen, der nicht zuletzt wegen der Beleuchtung mehr an Mond als an Sonne gemahnt. Geboxt wird anscheinend im Halbdunkel. Kraushaar, eher ein halbkräftiger Hänfling mit zarten, halb ausgebildeten Muskeln, trifft die Statur des Boxers recht gut, denn der wog mit 180 cm nur 80 Kilo, kämpfte aber in der Schwergewichtsklasse. Ein Luftboxen liefert Kraushaar mitnichten, er kapriziert sich aufs Reden und macht das sehr gestenreich, ohne einmal sarkastisch zu lachen. Dieser Mann respektiert seine Gegner – und er betrachtet eine demütigende Niederlage als Chance. Ja, er leidet gerne, was aber seiner Ansicht nach nichts mit Masochismus zu tun hat. Schmach, Kränkung und Deklassierung – genau das will er auch dem Kontrahenten zufügen. Die Niederlage als Triumph, wenn sie das nächste Mal in einen technischen Knockout verwandelt wird. Brecht war von solchen Äußerungen halbwegs begeistert, obwohl er am Sport mehr den Selbstzweck und das Unkultivierte schätzte. Immerhin, ein flockig dahinfließender Unterhaltungsabend, allerdings kein geistiges Schwergewicht.
Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner
Erzählt von ihm selber, aufgeschrieben von Bertolt Brecht
Regie: Dennis Krauß, Bühne & Kostüme: Johanna Meyer, Musik: Robin Paul Braum, Licht: Benjamin Schwigon, Dramaturgie: Valerie Göhring.
Es spielt: Oliver Kraushaar.
Berliner Ensemble, Kleines Haus, Premiere vom 1. November 2018
Dauer: ca. 1 Stunde
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)