Stephanie Eidt

Stephanie Eidt (Bild: © Julian Röder)

Eine Fahrstuhlfahrt landet in der Tiefgarage

Die Sache ist die: Europa (Stephanie Eidt als Frau und Kontinent gedacht) wurde entführt. Nun macht sich der Ex-Geliebte, Zahnarzt und Syndikatschef Jupiter Kingsby (Peter Moltzen) auf, die Sache mit Hilfe eines Privatdetektivs ( Christian Kuchenbuch) aufzuklären. Das ist die Rahmenbedingung, doch dabei lässt es der hoch ambitionierte Eisenach nicht bewenden. Schließlich handelt es sich um Heiner Müller, der das Hörspiel aus barer finanzieller Not 1962 in der DDR veröffentlichen ließ, um unter Pseudonym sein frisch installiertes Berufsverbot zu überbrücken. Eine schwache Kolportage-Produktion Müllers, was jedoch den Regisseur nicht davon abhält, das Ganze mit einem intellektuellen Mantel zu verbrämen und uferlos Müller-Zitate einzuflechten, wie um für eine versprengte Gemeinde einen Rätsel- und Wiedererkennungseffekt heraufzubeschwören. "Mommsens Block", "Der Auftrag" und vieles mehr sind unablässig präsent. Die Fahrstuhlfahrt landet diesmal in der Tiefgarage ohne Notausgang. Kongo statt Südamerika. Klar, Thema sind der forcierte Kapitalismus, der nur sich selbst will, und der bösartig ausbeutende Kolonialismus, sich in einer widerlichen Fratze zeigend. Bei einer Fahrt nach Kongo bietet sich das "Herz der Finsternis" (Erzählung 1899) von Joseph Conrad geradezu an. Die lange, bedrohliche Flussfahrt und natürlich "Das Grauen" des General Kurtz, in "Apokalypse Now" von Marlon Brando nachgespielt. Manch einen mag ein Grauen ganz anderer Art zu erfassen.

 

Eine Ochsentour

Eine Ochsentour (Bild: © Julian Röder)

Ein Zahnarzt und Krimi-Schreiber auf Abwegen

Es ist nicht so, dass kein Theater gespielt würde. Die nicht mehr ganz junge Stephanie Eidt, die sich vorzüglich konserviert hat, bemüht sich unverbraucht nach Käften: Sie spielt die eigentlich schon tote Grace, Ex-Partnerin von Jupiter Kingsby, und gleichzeitig die verschollene Europa. Am Anfang – sie sieht aus wie eine gebildete Bohemienne aus der Weimarer Republik – haucht sie ihre Worte verführerisch daher, wie um unter die Haut zu kriechen. Bei den abgekühlten Mitakteur*innen kriecht leider gar nichts. Moltzens Dentist Jupiter Kingsby schwadroniert ohne Unterlass über veraltete, bizarre Zahnarzt-Methoden daher, tanzt auf den Nerven herum und erinnert an die letzte Wurzelbehandlung, die zum Glück unter Halbnarkose stattfand. Das Kuriose: Der für die Gebisssanierung zuständige Klempner ist auch noch krimischreibender Hobby-Schriftsteller. Und so wird auch Kathrin Wehlisch als Verlegerin in das Spiel der zu dechiffrierenden Zitate eingefügt. Alexander Eisenach mixt viel in die Aufführung hinein, will viel, aber erreicht – nichts. Der Stil? Es ist eine auf Abwege geratene Postmoderne, ein überbunter Maskenball der Stile. In diesem Karneval sitzen nicht einmal die Kostüme richtig. Die Zukunft Europas im Geiste der Vergangenheit? Ein Abgesang. Reese hat seine Intendanz am Berliner Ensemble recht verheißungsvoll und zuversichtlich begonnen. "Die Entführung Europas" hingegen wirkt wie ein outgesourctes, ausgelagertes Projekt, das en passant das Schild der jungen, innovativen Kräfte hochhalten soll.

 

Die Entführung Europas oder Der seltsame Fall vom Verschwinden einer Zukunft
Ein Crime Noir von Alexander Eisenach
Uraufführung
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Lena Schmid, Pia Diederichs, Dramaturgie: Frank Raddatz, Musik: Sven Michelson.
Mit: Laurence Rupp, Peter Moltzen,,Kathrin Wehlisch, Christian Kuchenbuch, Stephanie Eidt.

Berliner Ensemble, Kleines Haus, Premiere war am 21. 10. 2017, Kritik vom 22.10.
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten.

 

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