Berliner Ensemble: Kritik von "Die Gewehre der Frau Carrar" – Manfred Karge
Premiere in der Probebühne. Der Regisseur Karge inszeniert das Brecht-Drama vom spanischen Bürgerkrieg traditionsbewusst und seniorenkompatibel.Stephan Schäfer, Roman Kaminski, Jonathan Kutzner, Michael Kinkel (Bild: © Thomas Eichhorn)
Die Fischer wollen nicht nur fischen
Das Erste, was die rund hundert Zuschauer in der Probebühne als Kulisse zu sehen bekommen, ist das Bild Guernica von Pablo Picasso. Jeder halbwegs gebildete Mensch weiß sogleich Bescheid, wir sind mittendrin im Geschehen. Die deutsche Legion Condor, die als supporter Francos 1937 die Stadt Gernika ein wenig verwüstete. Manfred Karge, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, lässt es bei diesem Bild nicht bewenden und fügt noch weitere hinzu, die meistens im Kriegsmilieu angesiedelt sind und einen martialischen Eindruck hinterlassen. Gekämpft wird auch auf der Bühne, aber mit anderen, rein verbalen Mitteln. Die Bühne ist hyperrealistisch gestaltet, wie die gesamte Inszenierung. Die Wände sind weiß und kahl, die einzige Dekoration ist ein Kruzifix mit einem leidenden Jesus, rechts steht ein bescheidenes Bänkchen und links befindet sich ein ebenso bescheidener Tisch nebst Stuhl. Im Hintergrund ist eine als blau markierte Tür und auf dem Boden liegt ein Fischernetz, da die Handlung in einem andalusischen Fischerdorf verortet ist und der 20-jährige Sohn Juan gerade seine Netze auswirft, um keine Frau, sondern eine schlichte Mahlzeit einzufangen. Die bibelfeste Mutter (Ursula Höpfner-Tabori) ist eminent pazifistisch wie damals, gemäß Selbstaussage, Stefan Zweig, obwohl ihr Mann im Bürgerkrieg hinweggerafft wurde. Es steht geschrieben: "Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen." Als aber die Kunde eintrifft, das der fischende Juan von Franco-Anhängern willkürlich liquidiert wurde, ändert Mutter Teresa ihre Meinung. "Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." So steht es auch geschrieben.
Ursula Höpfner-Tabori, Roman Kaminski
© Thomas Eichhorn
Verkrampft modernisierter Anachronismus
Zu den Waffen, Brüder!, heißt es plötzlich. Die Brüder, das sind der tatsächliche Bruder Pedro (Roman Kaminski) und der Sohn Josè (Jonathan Kutzner). Die Gewehre, nach denen der von einer ideologischen Lebensaufgabe befeuerte Bruder Pedro schon immer dürstete, sind unter einer lockeren Bodendiele gelagert und werden rasch hervorgezückt. Wie viel Zeit Roman Kaminski in der Maske verbracht hat, wurde nicht mitgeteilt, jedenfalls sieht er als Pedro bis zur Unkenntlichkeit verwandelt aus. Kein Wunder, was aufgeklebte Bärte und epochenmäßig nachempfundene Retro-Perücken anbelangt, gehört das Berliner Ensemble eindeutig zu den Spitzenreitern unter diversen Bühnen. Immerhin, Ursula Höpfner-Tabori agiert als glaubwürdige Tragödin und macht ihre Sache gut, mit Abstrichen auch Roman Kaminski. Der inzwischen als Allzweckwaffe eingesetzte Nebenrollenkönig Felix Tittel spielt einen bemüht gewaltfernen Pfaffen, der es mit Gott nicht so genau nimmt, zumal man trotz aller Gebete nicht immer weiß, auf welcher Seite Gott steht. Übrigens wird viel gesungen. Die Chöre, von etlichen Schauspielerinnen und Schauspielern bestritten, holen die Zeit des Dramas noch einmal kraftvoll hervor, als wollten sie einen Anachronismus krampfhaft modernisieren. Hinter den Zuschauerrängen spielt ein Minimalorchester, das keine Kakophonie erzeugt und wenigstens hörbare Klänge beisteuert (die Trompete!). Manfred Karge, der schon immer auf Tradition setzte, weil Überlieferung prinzipiell nichts Negatives ist und sogar die Gegenwart befruchten kann, hat diesmal selbst für seine Verhältnisse etwas furchtbar Altbackenes hervorgebracht und scheint seinem die letzte Ruhe gewährenden Ohrensessel mit schönem Atem und schnellem Wohnen entgegenzuschnarchen. Altmodisch ist in geistigen Krisensituationen durchaus angemessen, da nicht zu unterschätzende Nostalgiebedürfnisse befriedigt werden, aber diesmal dominiert Stagnation statt Inspiration. Gingen seine letzten Inszenierungen noch ästhetisch und konzeptionell durch, so ist das jetzt Opas Theater in Reinkultur.
Die Gewehre der Frau Carrar
von Bertolt Brecht
Regie und Bühne: Manfred Karge, Kostüme: Wicke Naujoks, Musikalische Leitung: Tobias Schwencke, Dramaturgie: Anika Bàrdos, Licht: Steffen Heinke, Projektionen: Frieder Aurin.
Es spielen: Ursula Höpfner-Tabori, Jonathan Kutzner, Roman Kaminski, Nadine Kiesewalter, Felix Tittel, Anke Engelsmann, Michael Kinkel, Uli Pleßmann, Der Knabe: Barney Lubina/Arda Dalci.
Sänger: Martin Schneider, Jörg Thieme, Anke Engelsmann, Nadine Kiesewalter, Michael Kinkel, Uli Pleßmann, Stephan Schäfer, Felix Tittel.
Musiker: Joe Bauer (Schlagzeug, Klänge, Geräusche), Damir Bačikin (Trompete), Valentin Butt/ Gerhard Schiewe (Akkordeon), Rodrigo Santa María (Gitarre).
Berliner Ensemble, Probebühne
Premiere vom 28. November 2015
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)