Berliner Ensemble: Kritik von "Die Griechen" – Manfred Karge
Das alte und das neue Griechenland: Antike und aktuelle Finanzkrise. In diesem Stück von Volker Braun stehen die griechische Mythologie, Papandreou und Varoufakis im Mittelpunkt.Michael Kinkel, Stephan Schäfer, Claudia Burckhardt, Marina Senckel, Winfried Peter Goos (Bild: © Thomas Eichhorn)
Von der Antike zur Gegenwart
Im Anfang dominiert die Antike. Die 13 schwarz-weiß gekleideten Schauspieler*innen sitzen auf einer kargen Bühne wie die Hühner auf der Stange. Optischer Konformismus eignet sich am besten zum anschwellenden Chorgesang. Ein schönes Versmaß wird zelebriert, sentimentale Naturen fühlen sich vielleicht an Gotscheffs Aischylos-Inszenierung "Die Perser" erinnert, nur dass Braun wegen des Verständnisses auf ausufernde Partizipialkonstruktionen verzichtet. Die Antike lebt, jedenfalls auf der Bühne. Und die damals blühende Kultur – zu Aischylos' Zeiten dominierte übrigens noch die Oligarchie – führt dann durch einen gewaltigen Zeitsprung direkt zu Papandreou. Die Außenpolitik, die Medien und das Volk machen ihm zu schaffen. Das Wort der Postdemokratie macht die Runde. Tatsache aber ist, dass die attische Demokratie von 462 v. Chr. bis 322 v. Chr. das herrschende Staatssystem war, das sich seit über 2400 Jahren bewährt hat. Kaum gibt es Probleme, reden relevante Medienvertreter von einer Postdemokratie, vergleichbar mit frühneuzeitlichen Apokalyptikern, die einst das kommende Weltende ankündigten. An das Weltende denkt man vielleicht, als eine prall gefüllte Tasche auftaucht. Enthält sie eventuell eine 100 000 DM hohe Geldspende eines Waffen-"Architekten"?
Der Eurotaurus ist nicht kleinzukriegen
Claudia Burckhardt, Joachim Nimtz, Swetlana Schönfeld, Krista Birkner, Marina Senckel
© Thomas Eichhorn
Nach dem Sturz des vom finanzkräftigen Westen im Stich gelassenen Papandreou folgt im Stück nicht etwa Ministerpräsident Alexis Tsipras, sondern der spielerische Nachläufer und Finanzminister Varoufakis. Der wird von Felix Tittel gespielt, der sogleich eine coole Show abliefert, mit saloppen Sprüchen, Stinkefinger, Motorradhelm und Rucksack. Und ein Putzfrauen-Chor tritt auf, personifiziert von Swetlana Schönfeld, deren Augen förmlich aus der Höhle herausspringen und bedrohlich rollen. Auf Deutschland übertragen denkt man an verzweifelte, aufbegehrende Schlecker-Frauen, hochaktuell sogar an die Tengelmann-Frauen. Die meisten Griechen bekommen nur ein winziges Stück vom großen Kuchen, der allmählich zerbröckelt. Dazu plärren zynisch die Medien, dargestellt durch Stephan Schäfer, Sven Scheele und Winfried Peter Goss. Es ist nicht ganz ersichtlich, warum im zweiten Teil Papandreou Teufelshörner aufgesetzt werden, als sei er der ungewollte Verursacher des Finanzruins. Er ist kein Minotaurus – eher ebenfalls ein Opfer des Eurotaurus. Nun, Volker Braun mag das anders sehen und Regisseur Karge hat sich an die Vorlage gehalten. Im Text ist von einem Gewirre die Rede, "wo kein Faden zu greifen ist". Gewiss gibt es keinen Ariadne-Faden, der aus dem Labyrinth herausführt, und keinen Theseus, der den Eurotaurus endgültig erledigt. Letztlich wird in diesem Stück viel hinzugemischt und durcheinandergeworfen, aber Karge ist eine akzeptable, recht flockige Inszenierung gelungen. Hervorzuheben sind auch einige Nebenfiguren, etwa der gestische Dauerkomiker Michael Kinkel und die seriös aufspielende, gesichtsintensive Marina Senckel, die nicht wenige tragische Elemente einbaut. Für viele Kritiker ist Karge ein typischer Peymann-Regisseur, ein Stellvertreter gewissermaßen. Wer die Inszenierung lobt, meint wohl primär Volker Braun. Angesichts der momentan grassierenden medialen Dauerkritik an Peymann kann man nur sagen: Wehe, er hätte das Stück inszeniert.
Die Griechen
von Volker Braun
Uraufführung
Regie: Manfred Karge, Bühne und Kostüme: Beatrix von Pilgrim, Musik / Klavier: Tobias Schwencke, Dramaturgie: Hermann Wündrich, Licht: Steffen Heinke.
Mit: Marina Senckel, Felix Tittel, Michael Kinkel, Krista Birkner, Joachim Nimtz, Claudia Burckhardt, Anatol Käbisch, Swetlana Schönfeld, Sven Scheele, Raphael Dwinger, Winfried Goos, Benno Lehmann, Stephan Schäfer.
Uraufführung war am 16. September, Kritik vom 21. September
Dauer: ca. 85 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)