Jürgen Holtz, Karla Sengteller

Jürgen Holtz, Karla Sengteller (Bild: © Monika Rittershaus)

Ein Arbeitsethiker alter Schule

Ähnlich wie Traugott Buhre in Thomas Bernards Theatermacher (Regie Peymann) dominiert Jürgen Holtz das Geschehen durch Wortgewalt und Ubiquität, wodurch die anderen Darsteller zu Komparsen degradiert werden, nur dazu da, den Meister in besonderem Licht erstrahlen zu lassen. Hier ist es ein besonders grelles, das vor allem eins aufzeigt: Die Aussichtslosigkeit allen Bemühens. Das Forellenquintett? Es muss gemacht werden, auch wenn alles drumherum zugrunde geht. Caribaldi ist noch ein Arbeitsethiker alter Schule, der vor dem Untergang gleich mehrere Bäume pflanzen möchte. Als er sein Kolophonium verliert, kriecht nicht etwa er unter den Schrank, sondern der Jongleur (Norbert Stöß), der sich ohnehin die Welt von unten ansieht. Wie ein Rock 'n' Roller mit billigem Glamoureffekt gekleidet, schwafelt der Jongleur von einem fremden Angebot mit mehr Gehalt – nicht weiter als eine Strategie, um mehr Geld aus Caribaldi herauszulocken. Und etwas Altersmilde, die sich anscheinend auch Regisseur/Intendant Peymann auferlegt hat, da seine scharfzüngigen Verlautbarungen in der Öffentlichkeit rar geworden sind.

 

Jürgen Holtz

© Monika Rittershaus

 

Ausgeprägter Geruchssinn

Das Bühnenbild (Karl-Ernst Herrmann) zeigt vor allem eins: Die Künstler sind längst in der Prekariatshölle angekommen. Der Bühnenboden ist etwas uneben, das Klavier steht krumm da, die Bilder hängen schief - alles wirkt behelfsmäßig, als sei der Probenraum nach einem Unglück fluchtartig verlassen worden. Im Hintergrund steht ein Zelt, darüber Hochspannungsleitungen – kein Anblick für eine träumerisch versunkene Stimmung. Eine Autobahn als Symbol des Unterwegsseins fehlt. Das kleine Ensemble ist ein Ausbund an Unmotiviertheit. Unterredungen mit dem Chef werden zu Anweisungen. Caribaldi schmettert lästige Fragen mit den Ausruf "Morgen Augsburg" ab, außerdem verfügt er über einen hochintensiven Geruchssinn, der zur Manie ausgeartet ist. Er erkennt das Publikum an seinen Ausdünstungen, kann Theater wegen des Geruchs voneinander unterscheiden.

 

Chefallüren führen zur Demontage des Projekts

Selbst seine ins Team eingespannte Enkelin (Karla Sengteller), die aussieht, als habe sie soeben ein katholisches Mädcheninternat verlassen und sich in Ballerina-Kleidung geworfen, wird Opfer seiner Mürrischkeit. Aus Bestrafungsgründen lässt er sie öfters eine Verbeugung üben. Der Dompteur (Joachim Nimtz) ist häufig besoffen und deshalb spielunfähig, dem Spaßmacher (Peter Luppa) hingegen fällt ständig die Kappe herunter. Bei Thomas Bernhards Texten und Dialogen funktionieren die suggestiven Sprachwiederholungen, das neue Variieren der Worte zur Darstellung der gleichen Mechanismen, aber bei sich widerholenden Handlungen, wie am Beispiel der Kappe, entsteht schnell ein Gefühl der Monotonie, zumal sich diese Szenen nicht als Lacher eignen. Gerade die Verbohrtheit des Alten, sein wütendes Verlangen nach Durchsetzung des Forellenquintetts führen zur Demontage des Projekts: Die im Stillen rebellierenden Artisten treten eine Art innerer Streik an und lassen absichtlich (oder aus Unvermögen) dissonante Töne erklingen. Aus dem Nicht-Gelingen bezieht diese Komödie ihren Reiz und Caribaldi verzweifelt angesichts eines Dilettantismus, der durch aufmunternde Worte auch nicht besser würde. Der endlos nörgelnde Jürgen Holtz ist für diese jederzeit sehbare, nur stellenweise etwas dahinplätschernde Inszenierung ein Goldstück. Das Publikum sah es auch so – und ist nicht das Berliner Ensemble der ideale Ort für eine entmythisierte Greisenverehrung?

Die Macht der Gewohnheit
von Thomas Bernhard
Regie: Claus Peymann, Bühne und Kostüme: Karl-Ernst Herrmann, Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Licht: Karl-Ernst Herrmann, Ulrich Eh.
Mit: Jürgen Holtz, Norbert Stöß, Peter Luppa, Karla Sengteller, Joachim Nimtz.

Berliner Ensemble

Premiere vom 14. März 2015
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

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