Berliner Ensemble: Kritik von "Die Räuber" – Leander Haußmann
Premiere. Regisseur Haußmann brennt ein Feuerwerk ab, bei dem manche Knallkörper ihr Ziel verfehlen. Die Geschichte von Schillers entfesselter Jugendgang wird nicht aktualisiert.Matthias Mosbach, Felix Tittel (Bild: © Monika Rittershaus)
Die entfesselten Räuber in Aktion
© Monika Rittershaus
Ein Kussduell endet blutig
Schon zu Beginn lässt es Haußmann krachen. Statt mit dem Drama im Hause Moor einzusetzen, verbreiten die in schmucke Anzüge gehüllten Räuber mit ihren Liedern eine Revolutionsfolklore, die sich allerdings unpolitisch geriert. Auf der Leinwand rauschen stimmungsgewaltige Bilder vorbei, die mit einer kuriosen Kombination von Feinnervigkeit und Brachialgewalt Atmosphäre schaffen. Versatzstücke von Totenköpfen verbrämen das Bühnenbild (Achim Freyer). Seile hängen herunter, an denen sich die jungen Wilden entlanghangeln. Wie achtlos hingeworfene Gegenstände auf dem Boden werden in den verschiedensten Farben illuminiert, die Palette reicht von Froschgrün bis Sandfarben bis Goldgelb. Das anfangs gefangene Auge ermüdet rasch ob der Beliebigkeit. Franz (Matthias Mosbach), der Daheimgebliebene, würde hervorragend in diese Szenerie passen, doch er möchte lieber den Alten und regierenden Grafen (Roman Kaminski) absägen, ins Grab versenken und die delikate Anna Amalia (Antonia Bill) für immer an sein verdorrtes Herz pressen. Unerbittlich drückt er sein hungriges Maul auf ihre zarten Lippen, doch eine Blutkapsel steht dazwischen: Martin Wuttke aus Castorfs Dämonen lässt grüßen. Aus dem Kussduell wird ein Blutdesaster. Antonia Bill spielt die Widerspenstige, unterdrückt ihre gelegentlich aufkeimenden Reize und versprüht nur müde sinnliche Funken, auch wenn sie mit entblößtem Busen dasteht. Der ist wie von einem Dornenkranz umschleiert. In ihrem Blut pulsiert und glüht die Lava ihrer Leidenschaft, allerdings nur für den auf Abwege geratenen Karl (Felix Tittel), der gegen seine charismatische Blässe ankämpft.
Roman Kaminski, Antonia Bill, Matthias Mosbach
© Monika Rittershaus
Ein Zauberkasten wird manchmal zum Bauchladen
Vor allem im ersten Teil gibt es Szenenapplaus, teilweise mit Recht. Haußmann ist geradezu gnadenlos verschmockt – ein Wort aus der Literaturkritik, mit dem noch kein Theaterkritiker herumgewedelt hat, weil sie sich – vermutlich aus Überlastungsgründen - um andere Kulturressorts nicht sonderlich kümmern. Die Effekte des Meisters sind gar so übel nicht. Er greift tief in seinen Zauberkasten, der sich leider manchmal als Bauchladen erweist, mit heißen Würstchen für den schnellen Geschmack. Der nach eigenen Auskünften als Theaterregisseur bald abdankende Haußmann begeht nicht den Fehler, das Drama ins Heutige zu transferieren. Es gibt kein Berlin-Mitte, keine desillusionierten Mitte-Typen, die gegen die saturierte bürgerliche Welt aufbegehren, Robin-Hood-Allüren entwickeln und der Rezeption einen bislang unerprobten innovativen Elan präsentieren. Eigentlich verstößt Matthias Mosbachs Franz, der sich körperlich gänzlich entblößt, gegen die Ästhetik des zumindest organisatorisch grandiosen Hausherrn, der diesmal nicht in seiner abgesessenen Loge sitzt. Aber diese verspielte Nacktheit ist im Grunde ein Blick auf den Urgrund seiner dunklen Seele. Die Bandbreite von Mosbach, der eine veritable Show abliefert, ist enorm: Phasenweise muss man sich eingestehen, dass man dieser chamäleonartigen Erscheinung eine Art von widerwilliger Faszination entgegenbringt. Der Ausbund des Bösen als anziehende Kraft – das ist, wenn es gut dargestellt wird, das Theater in seiner Hochblüte. Und ist nicht das Theater auch dafür da, das Ewig-Menschliche in all seinen Facetten zu repräsentieren? Franz wirkt trotz seiner Verderbtheit, seiner Elixiere des Teufels so menschlich, dass ein parvenühafter, öffentlichkeitsgieriger AFD-Bezirksvorsitzender wegen vermeintlicher Glorifizierung der Illegalität einen Strafantrag stellen könnte. Nun, insgesamt ist es ein scharfes, doch halbseidenes Feuerwerk, das da entzündet wird. Haußmann wollte nur zwischen den Schatten agieren – das ist bei dieser Länge kaum möglich. Er wirkt wie ein Langstreckenläufer mit aufgefülltem Tank, der seine Kräfte nicht richtig einteilen kann. Am Anfang ist er stark und souverän, aber in Richtung Zielgerade geht ihm allmählich die Luft aus.
Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Leander Haußmann, Bühne: Achim Freyer, Kostüme: Janina Brinkmann, Dramaturgie: Steffen Sünkel, Licht: Ulrich Eh, Achim Freyer, Video und Soundbearbeitung: Jakob Klaffs, Hugo Reis, Mitarbeit Bühne: Nora Willy.
Mit: Felix Tittel, Antonia Bill, Luca Schaub, Jaime Ferkic, Anatol Käbisch, Roman Kaminski, Michael Kinkel, Raphael Dwinger, Peter Luppa, Fabian Stromberger, Felix Strobel, Sven Scheele, Matthias Mosbach, Uwe Dag Berlin.
Berliner Ensemble
Premiere vom 27. Mai 2016
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)