Wolfgang Michael, Corinna ...

Wolfgang Michael, Corinna Kirchhoff, Peter Moltzen, Robert Kuchenbuch, Sina Martens (Bild: © Matthias Horn)

Historische Großereignisse werden abgehakt

Auffällig am kargen Bühnenbild (Patrick Bannwart) ist seine Konventionalität. Wir sehen eine lange Tafel, an der die immer mehr schrumpfende Familie zuweilen zusammensitzt, um zu plaudern oder irgendeine Sachlage zu besprechen. Über ihnen hängt bzw. thront ein gewaltiger teurer Lüster, der rein atmosphärisch betrachtet jederzeit sich aus der Verankerung lösen und herunterfallen könnte, um dem erfolgreichen Scherbenhaufen den Rest zu geben. Auch fällt Schnee, mitten hinein in den Gesellschaftssalon – ein Bild, das man schon tausendmal im Theater gesehen hat. Immerhin haben die Sitzmöbel mehr als Ikea-Niveau, es gibt keine DDR-Bestuhlung. Historische Großereignisse – Reichstagsbrand, Bücherverbrennung und Röhm-Putsch – werden groß in Szene gesetzt. Selbstverständlich sieht das Publikum aufmarschierende Nazi-Horden, die in Gruppenstärke ihre aufgetragenen schmutzigen Geschäfte erledigen. In der Tat handelt es sich um echte Bücher, die da brennen, und wo Bücher brennen, so Heinrich Heine", brennen bald auch Menschen. Und bei diesem zweifelhaften Clan wird, in Anlehnung an die neue Welt draußen, eine Menge Fleisch verbrannt. Bruckmann und Sophie (Corinna Kirchhoff), die sich amourös vermischt haben, lassen den zum Boss aufgestiegenen Sohn Konstantin (Robert Kuchenbuch) bei den Aufräumarbeiten gegen Röhm und seine SA-Truppe beseitigen. Corinna Kirchhoff wie gewohnt: Eine matronenhafte Lady, deren Tonfall zwischen Virilität und einer hohen Stimmlage chargiert und selten die neutrale Mittelwelle erreicht.

 

Corinna Kirchhoff, Nico Holonics

© Matthias Horn

 

Hinter die glänzende Fassade blicken

Die Nazis, so wird es dargestellt, wollen die Rüstungsfirma und ihre in der Sonne romantisch, heroisch und gleichzeitig verwegen aufblitzenden, imposanten Stahlwerke unter ihre Kontrolle bringen. Der Hauptakteur ist der einflussreiche SS-Offizier Aschenbach (Martin Rentzsch), der Bruckmann, als er ihn nicht mehr braucht, wegschmeißen möchte, am liebsten auch Sophies Sohn Martin (Nico Holonics). Doch er entscheidet sich für die Einspannung und trifft ein Arrangement, das eher an Erpressung grenzt. Der pädophil aktive Martin wird gedeckt und ins System eingebunden und benutzt. Holonics spielt seine Figur als Muttersöhnchen und Jammerlappen, der das Geschehen nicht dominiert – mit ihm geschieht etwas, das außer seiner Reichweite liegt. Er trägt übrigens auch rabiate Züge in sich, und die lässt er an seiner Mutter Sophie aus, die er einfach nimmt, brachial und unbarmherzig, als sei sie eine Übungspuppe. Ein Vorzug dieser Inszenierung: Bösch zeigt die Dekadenz und Verkommenheit dieser Industriellenfamilie, bei der nur die Fassade glänzt, die aber innen morsche Knochen hat. Macht und Verfall liegen eng beieinander. Verblüffend ist des Regisseurs Werktreue und sein Desinteresse an den heutigen rechten "Entwicklungen". Bösch liefert nur einen Rückblick, keinen Ausblick oder Überblick über Aktuelles. Seine Inszenierung ist wie ein emotional aufgepumpter Peymann mit naturalistischen Zügen. Man betrachtet das Ganze mit relativ kaltem Blut, als sei es nur noch etwas fürs Archiv und sucht bestenfalls nach Entsprechungen in der Jetztzeit.

 

Die Verdammten
nach dem Film von Luchino Visconti
Fassung: David Bösch und Sibylle Baschung
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Moana Stemberger, Musik: Karsten Riedel, Video: Bert Zander, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Sina Martens, Owen Peter Read, Nico Holonics, Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael, Martin Rentzsch, Robert Kuchenbuch, Peter Moltzen, Maik Solbach, Leonore von Berg / Smilla Erlebach, Anna Valentiner, Vincent Furrer, Lukas Huber, Eidin Jalali / Max Paier, Till Timmermann.

Berliner Ensemble, Premiere vom 3. November 2018
Dauer: ca. 130 Minuten, keine Pause

 

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