Berliner Ensemble: Kritik von "Drei Schwestern" – Leander Haussmann
Premiere. Anton Tschechows Schwestern sehnen sich nach Aufbruch und Arbeit, wollen nach Moskau. Aber ihr kraftloses Wünschen führt zum existentiellen Stillstand.Schaub, Dwinger, Tratnik, Miklusz, Graenzer, Mosbach, Bohm, Werner, Bill, Sengteller, Tsivanoglou, Jacoby (Bild: © Lucie Jansch)
Von Hermanis zu Bad Segeberg
Das Ambiente des Wohnraums – mit heroischen Personen-Wandbildern und ausgesuchtem Mobiliar - ist relativ geschmackvoll, ja großbürgerlich apart, hat aber Risse. Der Putzmörtel an den Innenwänden blättert ab, aber längst nicht so krass wie bei den Sommergästen von Alvis Hermanis an der Berliner Schaubühne. An Übertreibung liegt es Leander Haussmann, der hervorragende Gruppenformationen zustande bringt, diesmal nicht so sehr, übrigens in allen Bereichen. Was das Bühnenbild (Lothar Holler) anbelangt, so findet ein sukzessiver Übergang von Hermanis zur zünftigen Künstlichkeit der Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg statt. Die letzte halbe Stunde dominiert eine gänzlich unmanierierte Fassade in blassem Uni-Grün. Egal, wie sich die männlichen Liebesstrategen und Raumfüller abzappeln, es stehen die Schwestern im Mittelpunkt. Olga, die älteste (Laura Tratnik), wirkt etwas würdevoll-gediegener als die beiden anderen, sie ist eine Spur mondäner und neigt in Augenblicken der Erschöpfung zum Halbverschließen der Augen, die zu Schlitzen gerinnen, damit niemand auf den (Seelen-)Grund blickt. Antonia Bill als Mascha spielt gewohnt lebendig und impulsiv und gefühlsintensiv, sie scheint Begabung für die Liebe mitzubringen. Als Mascha ihre Liebe zu Oberstleutnant Werschinin (Uwe Bohm) offiziell verkündet, baut sie sich stolz auf und stützt die Arme breit in die Hüften, ohne stimmlich zu flöten. Der fernsehbekannte Bohm spielt seine Rolle mit ausdruckslosem Glotzgesicht, das selbst bei spontanen Gefühlsaufwallungen, sofern er dazu fähig ist, nur geringfügig zuckt. Einmal lässt Haußmann ihn in einen Zitteranfall geraten: Die Gehirnschraube müsste nur ein bisschen nach links oder rechts gedreht werden, und es wäre aus. Und die Jüngste, Irina? Die scheint in Liebesangelegenheiten von allen Göttern verlassen. Karla Sengteller macht das naiv und guckt entrückt-entgeistert nach oben. Oh Himmel, was hast du mir angetan!
Laura Tratnik, Karla Sengteller, Antonia Bill (Bild: © Lucie Jansch)
Kuscheln wegen Liebessehnsucht und anderen Dingen
Es sind Schwestern, die auch gerne auf der komfortablen, geradezu inspirierenden Couch kuscheln und sich nach bislang vorenthaltener Nestwärme sehnen. Wenn sie nicht gerade schreien. Das kommt gelegentlich vor, wahrscheinlich, um Teile des Publikums, die das Theater zum Träumen nutzen, in die Bühnenhandlungen zurückzuholen. Die eingebauten Gesänge hören sich an, als wolle man einen Parodiewettbewerb gewinnen oder einen ambitionierten Musiklehrer ärgern. Nun, Leander Haussmann kann bekanntlich, seine publikumswirksamen Filme beweisen es, auf effekthascherische, auflockernde Juxe nicht verzichten. Diesmal hält er sich merklich zurück und dosiert recht ausgewogen, was der Inszenierung ganz gut tut. Gewiss, Baron Tusenbach (Matthias Mosbach) und Hauptmann Soljony (Georgios Tsivanoglou) sind Hampelmänner, und dem tumben Pykniker Soljony, so wie er dargestellt wird, traut man kein ernsthaftes Gefühl zu. Und Axel Werner als Armeearzt wirkt wie der altgewordene Gottfried John im leicht durchgeknallten Modus. Trotzdem spielen die Schwestern, und darauf liegt der Fokus, recht glaubwürdige Tragödinnen. Die Schlussanordnung zu dritt ist paradigmatisch, die Schwestern wollen weitermachen, arbeiten, es muss weitergehen, irgendwie. Auch wenn der Putz noch ein bisschen mehr bröckelt. Und dann: Ein imaginäres Karussell mit den unverwüstlichen Schwestern wird vor dem bereits heruntergelassenen Vorhang eingespielt. Denn sie bewegen sich immer im Kreis. Mit diesem klassisch-traditionell inszenierten Werk ist Leander Haußmann nichts wahrhaft Großes gelungen. Aber es hätte noch weitergehen können, ohne Langeweile und ohne auf die Uhr zu gucken. Den Schwestern sei Dank.
Drei Schwestern
von Anton Tschechow, aus dem Russischen von Thomas Brasch
Regie: Leander Haußmann, Bühne: Lothar Holler, Kostüme: Janina Brinkmann, Dramaturgie: Steffen Sünkel, Licht: Ulrich Eh.
Mit: Laura Tratnik, Axel Werner, Antonia Bill, Georgios Tsivanoglou, Anna Graenzer, Gudrun Ritter, Peter Miklusz, Karla Sengteller, Uwe Bohm, Raphael Dwinger, Boris Jacoby, Martin Seifert, Matthias Mosbach, Luca Schaub.
Berliner Ensemble
Premiere vom 17. Dezember 2015
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)