Carina Zichner, Bettina Hoppe

Carina Zichner, Bettina Hoppe (Bild: © Julian Röder)

Vom One-Night-Stand zur Familienfrau

Es sind vier Frauen ( Wilhelmina Mischorr als Kind, Carina Zichner als junge Erwachsene, Bettina Hoppe im Mittelalter und Corinna Kirchhoff im Rentenalter), die Mary Page repräsentieren. So unterschiedlich die Charaktere sind, so unterschiedlich sind auch die Darstellungen. Es gibt gewaltige Sprünge, als hätte die Teilnehmerin des oberflächlichen Genussbetriebs chamäleonhaftige Wandlungen vollzogen. Als schüchternes Kind einer kapriziösen Alkoholiker-Mama ausgesetzt, wird sie zu einer selbstbewussten 19-Jährigen (Carin Zichner), die einen angeblich hoch-attraktiven Lover fahren lässt, weil sie ihre Freiheit behalten möchte. In einem Motel geht es weiter mit der strikt eingehaltenen Unangepasstheit, sie lässt sich auf einen One-Night-Stand mit einem Mann (Sascha Nathan) ein, der in Cowboy-Stiefeln im Bett auf prollig-bettelnde Weise nach mehr verlangt, das sie zu geben nicht bereit ist. Wie der etwas undurchsichtigen Inszenierung zu entnehmen ist, wird er später ihr Ehemann. Warum, wissen wir nicht. Wir sehen plötzlich eine äußerst unsichere Mary bei einem Therapeuten stehen, sie erzählt Teile ihrer Lebens- und Leidensgeschichte: Weil sie sich nicht selbst findet, versucht sie sich immer wieder neu zu erfinden. Und das tut sie durch zwei Kinder, denen sie mit kontrollierter Zärtlichkeit und rigoroser Halbautorität begegnet und die zukünftige Lebensform einzutrichtern sucht – was sie als junge Frau selbst nicht wollte. Es folgen Alkoholabstürze und innere seelische Dramen. Das vergangene und aktuelle Leben kreist wie ein Karussell um sie. Deshalb hat auch der Bühnenbildner Patrick Bannwart eine Art Jahrmarkts-Karussell mit fragwürdigen Wohnstationen installiert, das sich nicht wie eine alte Vinyl-Platte auf der selben Stelle dreht, sondern fortwährend kreist. In diesen besichtbaren Zeitsprüngen kommen Gedankensprünge leider nicht vor.

 

Ruby Commey, Carina Zichner, Bineta Hansen

© Julian Röder

 

 

 

 

Keine Antreiberin, eine Getriebene

David Bösch, der das Drama von Pulitzer-Preisträger Tracy Letts zu übersetzen und interpretieren sich bemüht, verzichtet auf jegliche Einfühlung und Psychologie. Er knallt szenische Brocken mit verschiedenen Jahreszahlen dahin, es sind erratische Blöcke, die sich nicht einmal geistig zusammenfassen lassen. Herausgekommen ist eine Sozialstudie über eine unreflektierte Frau, die ob der gesellschaftlichen Verhältnisse keine Antreiberin ist, sondern eine Getriebene, die, Opfer des Milieus und der Herkunft, von einem Lebensentwurf zum anderen hastet, ohne inneren Kern und ohne Halt. Das Komische ist: Als Zuschauer*in interessiert man sich beinahe mehr für die Zwischenphasen, die nicht gezeigt werden. Wie konnte sich diese Frau so verändern? Neben aller optischen und darstellerischen gesichtsintensiver Verschmocktheit scheint Regisseur Bösch auch angestaubte Gehirnareale anvisiert zu haben, um das Reflexionsvermögen anzukurbeln. Doch es ist beinahe hoffnungslos. Hier braucht man nur zu sehen, nicht zu denken. Immerhin erreicht Mary – aus welchen Gründen auch immer – im Alter (Corinna Kirchoff) aus dem Rückblick eine Art von innerem Seelenfrieden, der freilich mit graziösen Sticheleien gesättigt ist. Trotz guter Schauspieler-Leistungen ist hier noch einige Luft nach oben.

 

Eine Frau – Mary Page Marlowe
von Tracy Letts
Aus dem Englischen von Anna Opel
Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Meentje Nielsen, Musik: Karsten Riedel, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Sascha Nathan, Corinna Kirchhoff, Martin Rentzsch, Bettina Hoppe, Carina Zichner, Ruby Commey, Wilhelmina Mischorr, Arsseni Bultmann / Barney Lubina, Luisa-Céline Gaffron, Bineta Hansen, Annika Meier.

Berliner Ensemble, Premiere vom 9. November 2017.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!