Martin Schneider, Georgios Tsivanoglou

Martin Schneider, Georgios Tsivanoglou (Bild: Foto: Lovis Ostenrik)

Pantomime ohne zarte Gesten

Die Inszenierung beginnt mit Getöse, Donner und versuchtem Überwältigungsrausch. Das Knallige wandelt sich schnell in ästhetische Routine. Hier sind nun Hamm und die Canaille Clov, einsam, desillusioniert und auf sich selbst verdonnert. Der Trash in der Kommunikation wird herausgespült. Hamm fühlt sich herrrschaftlich, benutzt aber aus Unfähigkeitsgründen eine simple Sprache und passt sich damit der Geisteshöhe des enervierten Lakaien an, den wohl kein Zuschauer ernst nehmen kann. Der irische Dichter bevorzugte auf der Bühne einen Minimalismus – Wilson liefert einen durchästhetisierten Minimalismus der Fülle. Obwohl die Bühne karg arrangiert ist – leere, Fenster andeutende Rahmen und eine ebenso opake Tür, dazu changierendes Blau -, hat man als Beobachter den Eindruck von bildnerischer Üppigkeit, die mehr aussagt als optischer Bombast. In Übersetzung und Abwandlung von Schopenhauer: Man nehme gewöhnliche Worte und erzeuge ungewöhnliche Dinge. Schade nur, dass die Form zu heftig den Inhalt verschluckt. Es ist wie bereitgestelltes Futter: Machen wir Hamm, machen wir hamm-hamm der Ästhetik. Wie immer die kalkigen, weiß angestrichenen Gesichter mit einer Pantominen-Gewalt, die zarte Gesten nur selten glasklar hindurchschimmern lässt.

 

Martin Schneider, Georgios Tsivanoglou

Martin Schneider, Georgios Tsivanoglou (Bild: © Lovis Ostenrik)

Die Untergangsstimmung in Ästhetik gebadet

Typisch Beckett tauchen noch die Eltern Hamms auf, wie im Original hausen sie in Mülltonnen. Bei Wilson erscheinen die Köpfe von Jürgen Holtz (Nagg) und Traute Hoess (Nell) aus Erdlöchern, die den Odem der luftigen Freiheit kurz inhalieren und dann die Wut herauslassen, gegen die Fortsetzung ihrer eigenen vermischungsintensiven Reproduktionsleistung. Aber ein Generationenkonflikt entsteht nicht, die Vorlage gibt das nicht her: Alle sitzen im existenziellen, von Streitereien angefüllten Abgrundboot, das nur für erlesene Apokalyptiker reserviert ist. Was macht Wilson daraus? Die für sich in Anspruch genommene werkimmanente Verbrämung eines 1956 im Kalten Krieg entstandenen Stückes, das er künstlerisch verblendet, ausschmückt und verzerrt. Mein Gott, ist dieser Untergang nicht schön! Viele sinnesstimulierende Geräusche blubbern, eine eingeblendete Ratte und eine präsente primitive, brachiale Groß-Uhr auch, die an die Zeit erinnert. Bei Beckett hat die Uhr gesschlagen, bei Wilson nicht. Sie läuft weiter, angesichts einer ausgesucht-versucht fulminanten Ästhetik, die selbst in die Jahre gekommene Kritiker entzünden kann. Das Problem ist: Der bühnenoffensiv-verzuckerte Regisseur vertraut auf sein altbewährtes Konzept, von dem er glaubt, dass er es überall anwenden kann. Wilson, der sich diesmal an einem Stück probiert, das ihm von Haus aus aufgrund kognitiver Prägung gar nicht liegt, kann Becketts Stück, das an den ersten Tag nach dem Weltkrieg erinnert, mit seinen wohlbekannten Mitteln nicht adäquat darstellen (lassen). Aber immerhin, trotz aller Makel: So schön war der schleichende Untergang noch nie. Wilson in summa: Alles wird gut. Selbst die von der Herrschaft entlassenen Todgeweihten lassen sich ästhetisieren. Trotzdem ist das nicht gar so schön.

Endspiel
von Samuel Beckett
Deutsche Übersetzung von Elmar Tophoven
Regie, Bühne, Lichtkonzept: Robert Wilson, Kostüme: Jacques Reynaud, Musik: Hans Peter Kuhn, Mitarbeit Regie: Ann-Christin Rommen, Dramaturgie: Anika Bárdos, Mitarbeit Bühne: Serge von Arx, Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks, Mitarbeit Musik: Hans-Jörn Brandenburg, Licht: Ulrich Eh, Videoprojektionen: Tomek Jeziorski.
Mit: Martin Schneider, Georgios Tsivanoglou, Traute Hoess, Jürgen Holtz.

Berliner Ensemble, Premiere war am 3. Dezember 2016, Kritik vom 4. Dezember 2016
Dauer: 90 Minuten.

 

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