Sina Martens, Andreas Döhler ...

Sina Martens, Andreas Döhler, Cordelia Wege (Bild: © Matthias Horn)

Leben in einer Scheinwelt

Seit seinem Wechsel vom Deutschen Theater zur Schaubühne hat Michael Thalheimer zumindest in Berlin anders inszeniert. Die meisten seiner Schaubühnen-Arbeiten zeigten einen teilweise neuen Thalheimer, aber keinen besseren. Und mit "Der eingebildet(e) Kranke" (Premiere 18.1.2017) schien er sogar das Publikum auf den kommenden Herbert Fritsch vorzubereiten. Nun hat er im Berliner Ensemble wieder zu seinen Wurzeln zurückgefunden und ein für ihn fast klassisches Werk abgeliefert. Die Zuschauer*innen sehen einen Kampf mit der Klaustrophobie, sehen, wie sich die Schauspieler*innen abzappeln, sich winden und nach befreiender Luft hecheln. Ob man oben oder unten im Schacht steht, spielt keine Rolle, ankommen wird man nie. Der Pole und Schwager Stanley (Andreas Döhler), so glaubt Blanche (Cordelia Wege) zu wissen, gehört einem niederen Typus an, der in Verrohung und despektierlichen Manieren stecken geblieben ist. Deshalb nennt sie ihn auch Polacke oder einfach Affe – was sich der Angesprochene natürlich nicht bieten lässt. Brüllen können beide phänomenal, nur dass sich bei Blanche auch Weinerlichkeit, Nervosität und wachsende Resignation hinzumischen. Sie lebt in einer Scheinwelt, möchte die Schalheit verzaubern, und seien es nur Lügen, die die nackte Realität erleichtern helfen. Die Information, dass sie weiterhin Lehrerin und nur zur Kur hier sei, hält sie lange aufrecht, bis Stanley sie mit herablassend-genießerischer Geste mit der Wahrheit konfrontiert – sie ist längst gefeuert. Und gibt sich, umgeben von Pelzen und weiterem Schnickschnack, als vornehme Madame aus. Angesichts Blanches großspurigen Attitüden, die an ein tief greifendes psychisches Leiden gemahnen, bleiben Schwester Stella (Sina Martens) nur die Tränen.

 

Sina Martens, Cordelia Wege

© Matthias Horn

 

In diesem Milieu ist das Verpügeln von Frauen Normalzustand

Die vergießt auch der plötzlich menschelnde Stanley, nachdem er Stella einmal verprügelt hat. Das ist in diesem Haus offensichtlich normal: Auch der Nachbar Steve (Henning Vogt) walkt seine Frau Eunice (Kathrin Wehlisch) kräftig durch, wenn er es für angezeigt hält. Stella wirkt ein wenig blass, leise verschüchtert, schicksalsergeben und versteckt sich gern hinter ihrem Mann, weshalb man sie auch namenlos als Herrn Kowalskis Gattin bezeichnen könnte. Blanches gelegentliche Raserei, die schnell in Selbstmitleid übergehen kann, nützt ihr überhaupt nichts, verhärtet nur die Fronten. Nun könnte man behaupten, Thalheimer habe die Figuren lediglich halb inszeniert. Doch das Personal lässt sich kaum besser ausleuchten, zu schmal und eindimensional sind die Charaktere. Gegen Ende ist die eroshungrige Blanche so desperat, dass sie sich sogar mit Mitch (Peter Moltzen) einlässt, einem Mann, der weder ökonomische, weder geistige noch distinguierte Höhenflüge verspricht. Grausam wird's dann auch noch: In einer Aufwallung ungezügelter Leidenschaft nimmt Stanley sie von hinten. Die perfekte Entwürdigung einer bereits Entwürdigten. In diesem Leben gibt es nur Hoffnung für jene Genügsamen, die nichts Besseres kennen. Thalheimer holt aus einem endlos heruntergespielten und abgelutschten Drama einiges heraus.

 

Endstation Sehnsucht
von Tennessee Williams
Überetzung von Helmar Harald Fischer
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Licht: Ulrich Eh, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Andreas Döhler, Cordelia Wege, Sina Martens, Peter Moltzen, Kathrin Wehlisch, Henning Vogt, Marie Benthin, Max Schimmelpfennig, Rayk Hampel, Sven Fleischmann. 

Berliner Ensemble, Premiere war am 21. April 2018, Kritik vom 6. Juli 2018
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

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