Nicolaas van Diepen, Fabian ...

Nicolaas van Diepen, Fabian Stromberger, Joshua Seelenbinder, Marvin Schulze, Alexander Wanat und Ensemble (Bild: © Lucie Jansch)

Die Sinne werden betäubt

"Faust I" wird revueartig bewältigt, aber im Vergleich zum zweiten Teil immer noch kompakt und stringent. Verspielt wirkt das Ensemble, dabei ist alles genau einstudiert. Wilson bietet gleich drei Gretchen auf und vier Fäuste, die man kaum voneinander unterscheiden kann. Ohne Zweifel, hier dominiert der Kollektivgedanke, abgesehen von Mephisto (Christopher Nell), der in einer völlig anderen, scheinbar regellosen Welt lebt. Seine Originalität und Bizarrerie sind es, die die Inszenierung aus dem Statischen herausführen und vorantreiben. Zuweilen verkleinert Nell seinen Mephisto zu einem Kasper, um ihn dann zu erhöhen als ein dem Bösen verschriebener Weltenlenker, der auch mal das Gute tut.

Die Sinne werden durch Musik, Schattenspiel und halbspektakuläre Sequenzen mitunter dermaßen betäubt, dass die eigentliche Faust-Geschichte in den Hintergrund rückt. Ein neuer Impuls, der die Deutung von Goethes Werk bereichern könnte, ist nicht zu erkennen, nicht einmal im Ansatz. Hier überwiegt kein Tiefsinn, sondern gehobene Unterhaltungsindustrie mit hochästhetischen Ambitionen. Hier drängt sich das Wort Kunstgewerbe auf, das von vielen Kritikern fälschlicherweise bei artifiziellen, tief schürfenden Inszenierungsversuchen verwendet wird. Wilson huldigt einem für die Masse goutierbaren Kunstgewerbe, aber es ist nicht das schlechteste.

 

© Lucie Jansch

 

Hohe Ästhetik ohne Erkenntniszuwachs

Wer mit dem Text nur wenig anfangen kann, erlebt immerhin, wie trotz Ausschaltung des Kopfes Ohren und Augen betört werden können. Die Bilderfluten und die zuweilen gleichgeschalteten Bewegungen der Schauspieler sind ein ästhetisches Schauspiel, das in Kombination mit Musik alle Worte vergessen macht, wenn sie nicht gerade besonders schön klingen. Und in "Faust II", den die meisten Zuschauer wohl nicht so gut kennen, ist es angesichts der willkürlich abgehackten Szenenzusammenstellung und Verworrenheit das Beste, einfach nur im Bildersog einzutauchen und sich seinen Träumen hinzugeben, ohne vor Erschöpfung ganz einzuschlummern. Der wuchtige, ins Pyknische übergehende Texaner Wilson versuchte, seine Ästhetik richtig zu dosieren und eine angemessene Leichtigkeit einfließen zu lassen. Nun, vielleicht ist alles doch ein wenig zu leicht: Das Erkenntnisinteresse, die Rezeption leiden darunter. Alle Stationen der Tragödie werden irgendwie abgehakt und scheinen nur als Vorwand zu dienen für ein perfektioniertes Groß-Event, das auch Theatermüde anlocken kann. Am Ende, als Herbert Grönemeyer noch eine Zugabe gibt, geraten die Unersättlichen unter den Zuschauern in eine Art Ekstase. Der Beifall zieht sich scheinbar endlos hin.

Faust I und II
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie, Bühne und Lichtkonzept: Robert Wilson, Musik und Lieder: Herbert Grönemeyer, Kostüme: Jacques Reynaud, Mitarbeit Regie: Ann-Christin Rommen, Mitarbeit Musik/Sound Design: Alex Silva, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Anika Bárdos, Mitarbeit Bühne: Serge von Arx, Mitarbeit Kostüme: Wicke Naujoks, Musikalische Leitung: Hans-Jörn Brandenburg, Stefan Rager, Musikalische Arrangements: Herbert Grönemeyer, Alex Silva, Zusätzliche Orchester-Arrangements: Hans-Jörn Brandenburg, Alfred Kritzer, Lennart Schmidthals, Licht: Ulrich Eh, Videoprojektionen: Tomek Jeziorski.
Mit: Christopher Nell, Laura Tratnik, Antonia Bill, Felix Tittel, Raphael Dwinger, Anna von Haebler, Dorothee Neff, Friederike Nölting, Theresa Riess, Lukas Gabriel, Matthias Mosbach, Luca Schaub, Marvin Schulze, Joshua Seelenbinder, Samuel Simon, Fabian Stromberger, Nicolaas van Diepen, Alexander Wanat, Christina Drechsler.

Orchester: Stefan Rager, Hans-Jörn Brandenburg, Joe Bauer, Michael Haves, Ilzoo Park, Sophiemarie Yeungchie Won, Min Gwan Kim, Hoon Sun Chae.

Berliner Ensemble

Premiere vom 22. April 2015
Dauer: 4 Stunden, 15 Minuten, eine Pause

 

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