Wolfgang Michael, Jeanne Balibar ...

Wolfgang Michael, Jeanne Balibar, Aljoscha Stadelmann (Bild: © Matthias Horn)

Nacktes Fleisch und viel Exaltiertheit

Das Bühnenbild von Aleksandar Denic ist der Höhepunkt der Inszenierung. Wir sehen ein gigantisches Fernrohr, auf dem ein goldener Löwe prangt, und einige andere Instrumente, es ist wie in einem kolossalen physikalischen Labor oder einer als Atelier genutzten Werkstatt. Hier haust Galilei mit seinem Anhang, hier ist die 86-Jährige Theaterikone Jürgen Holtz, der auf eigenen Wunsch nackt herumläuft und den damals 46-Jährigen Galilei darstellt, allerdings aufgrund seiner altersbedingten schmächtigen Gestalt die raubtierhafte Fresslüsternheit seiner Figur nicht angemessen abbilden kann. Im häuslichen Betrieb bewegen sich seine Schüler – Galilei war aus finanziellen Gründen darauf angewiesen – Andrea Sarti und Ludovico Marsili, daneben seine Tochter Virginia und die Haushälterin Frau Sarti. Wie bei Castorf üblich, wird hysterisch gebrüllt, so dass man den Text kaum noch versteht. Sina Martens beispielsweise schreit sich die Seele aus dem Leib, im oftmals überzeichneten, zur Groteske neigenden Theater geht das jederzeit durch, im Lebensalltag wäre sie ein Fall für die Psychopathologie. Auch Stefanie Reinsperger, eine großartige Schauspielerin, wie immer sehr wuchtig und physisch spielend, deklamiert aggressiv, obwohl sie gar nicht in das Castorf-Gepräge reinpasst, da ihr andere Rollen besser liegen. Groß aufgerissene Augen sind bei Jeanne Balibar und Bettina Hoppe zu beobachten, als befänden sie sich in einem Zustand seelischer Hochspannung. Andreas Döhler lässt es etwas gemütlicher angehen, er nölt in gewohnt gekonnter Manier.

 

Andreas Döhler, Jürgen Holtz

Andreas Döhler, Jürgen Holtz (Bild: © Matthias Horn)

Die Rettung des eigenen Lebens ist wichtiger als die Wissenschaft

Ein Verausgabungstheater ist es diesmal nicht, es gibt viel zu viele Video-Sequenzen und Ruhepausen, meistens stehen nur drei Personen gleichzeitig auf – oder hinter – der gefilmten Bühne, Einzelrollen dominieren zuweilen. Jürgen Holtz, der beim Publikum gewiss einen Greisen-Bonus hat, und das mit Recht, agiert nicht ohne Charme, gegen Ende hält er einen langatmigen Monolog, bei dem seine Figur erklärt, dass sie die Wissenschaft verlassen hat, um ihre Haut vor den Fängen der Inquisition zu retten. Die Wissenschaft ist der Wahrheit verpflichtet und wartet mit immer wieder neuen Erfindungen auf, aber was dagegen tun, wenn sie von der Politik missbraucht werden? Galilei kritisiert die Macht der Maschinen von "oben" - aber wurden die zweifelhaften Apparaturen nicht von unermüdlichen Forschern geschaffen? Es wäre eine interessante Inszenierung, wenn Castorf das Stück auf zwei Stunden gestrafft und seine Gier nach wortreichen Abschweifungen gebändigt hätte. Übrig bleiben ein Glitzer-Kostüm-Desaster, eine obsessive Darstellungswut und eine unkontrollierte Rhetorik-Geschwätzigkeit, die selten zur erbaulichen Beredsamkeit wird, und einige grandiose Einzelszenen. Castorf war schon wesentlich besser. Im Beifall, der den Schauspieler*innen galt, gab es auch einige Buh-Rufe jener, deren Geduldsfaden gerissen ist.

 

Galileo Galilei

von und nach Bertolt Brecht

mit Musik von Hanns Eisler

Regie: Frank Castorf, Bühne: Aleksander Denic, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Dramaturgie: Frank Raddatz.

Es spielen: Andreas Döhler, Sina Martens, Jürgen Holtz, Stefanie Reinsperger, Jeanne Balibar, Bettina Hoppe, Aljoscha Stadelmann, Wolfgang Michael, Rocco Mylord.

Berliner Ensemble, Premiere vom 19.Januar 2019.

Dauer: 6 Stunden, eine Pause

 

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