Stephanie Eidt

Stephanie Eidt (Bild: © Matthias Horn)

Euripides lauert in einer ganz normalen Ehe

Was etwas stutzig macht, sind die Stimme und Tonlage von Stephanie Eidt, die sich in ihrem Solo-Stück zwischen Metallgeflechten, Leitern und Gittern fortbewegt. Sonor, kühl und emotionslos daherredend, trägt sie eine coole rote Lederjacke, in der sie das Zartgefühl einer Zurückblickenden fahren lässt. Der Ton jedenfalls ist rau, fast ein wenig hart, anscheinend sind die Erinnerungen doch ein bisschen schmerzhaft. Stephanie Eidt spricht in die Luft hinein, zum imaginierten und tatsächlichen Publikum, und es kommt vor, dass sie sich selbst mit den Armen umklammert, um eine Umarmung (mit dem Gatten oder den Kindern) vorzuspielen. Eine kleine Zeichensprache im Krankenhaus übrigens, wo eine 'Fixierung' mitgeteilt wird – an Bett gefesselt klingt gar zu sehr nach Folter. Eine ganz normale Ehe zunächst, sie, eine stolze Arbeiterin, erhält einen Job als Formatentwicklerin beim Film und bewundert en passant die Hände ihres Gattes, auch wenn man sich mal streitet, etwa über einen Amok-Lauf in den USA. Alles geht seinen geregelten Gang, die Normalität regiert – aber hatte nicht Autor Dennis Kelly im Vorfeld des Stückes Euripides erwähnt? Wir erinnern uns, richtig, das war doch der Tragödienschreiber, bei dem das private Glück letztlich auf der Strecke bleibt. Und so hängt das Warten auf etwas Unerwartetes in der Luft. Wann wird etwas passieren...? Es verstreicht einige Zeit, bis er dann tatsächlich kommt, der schwere Schlag, mit dem Gewicht eines unbarmherzigen Schicksals. Mit gefrorenem Gesicht spricht Eidt die entscheidenden Worte aus: "Ich weiß, dass sie übrigens nicht hier sind. Meine Kinder...ich weiß, dass sie tot sind."

 

© Matthias Horn

 

 

Ungeordente Verhältnisse werden unkonventionell wieder eingerenkt

In dem Maße, in dem die Ich-Erzählerin beruflich erfolgreicher und selbstbewusster wird, in dem Maße sinken die Triumphe des Gemahls. Geschäftsverluste reiben an seinem Selbstwertgefühl und er droht, die Kontrolle über seine Frau zu verlieren, deren Selbstständigkeit er zunächst mit innerem Murren hinnimmt, bis er in die Offensive übergeht und er Gewalt oder die Androhung von Gewalt als probates Mittel betrachtet, die ungeordneten Verhältnisse wieder einzurenken. Kurz, eine stärkere Frau kann er nicht ertragen, das ist das Eingeständnis einer existentiellen Niederlage, unter der auch die Kinder zu leiden haben, psychisch und physisch. Nicht nur die Frau ist das häusliche Opfer, sondern auch die Kleinen, die er gegen Ende des Monologs, als die "toxische Maskulinität" überschäumt, mit dem Messer förmlich hinrichtet, in einem Stück, das vor der #Me Too-Bewegung geschrieben wurde und jetzt hervorragend in den Aktualitätsrahmen passt. Ein männliches Wrack sorgt für die Abwrackung einer Frau, die mit 26 Jahren unbeschwert dahinlebte, mit drei Partnern, Sex und Kokain und dann vor Freude in die Ehe sprang. Jetzt, im Zuge der Auflösung, löst sich Eidts Zunge, sie geht über ins Verletzliche und Tragische, ohne die Einfühlung zu vergessen. Ein leichter Fehlgriff der Regisseurin Lily Sykes: Am Anfang, als es der Ich-Erzählerin noch gut ging, ist Eidts Stimme hart und fest, aber allmählich, als der Wandel zum Schlechten, zur handfesten Krise einsetzt, gerät sie ins Gefühlige. Immerhin hat Dennis Kelly ein wichtiges Stück geschrieben – mit einer grandiosen Stephanie Eidt, die wahrlich ungeschminkt in ihre Rolle eintaucht und eine Mannigfaltigkeit der Gefühle offenbart. Ein Seelentheater.

 

Girls & Boys

von Dennis Kelly

Übersetzung: John Birke

Regie: Lily Sykes, Bühne & Kostüme: Jelana Nagorni, Komposition & Live-Musik: David Schwarz, Licht: Ulrich Eh, Steffen Heinke.

Mit: Stephanie Eidt

Berliner Ensemble, Kleines Haus, Deutsche Erstaufführung vom 10. März 2018.

Dauer: 1 Stunde 40 Minuten.

 

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