Sina Martens

Sina Martens (Bild: © Matthias Horn)

Ihre Falschheit ist ihre Echtheit

Der britische Regisseur Duncan Macmillan schreibt – natürlich – nicht über deutsche Verhältnisse. Suchtkliniken, die den Reinigungsprozess mit Hilfe des gemarterten Mannes am Kreuz vollziehen wollen, sind hierzulande rar, weil man es dem Glauben nicht glaubt, die Sucht überwinden zu können. Eine tiefe Beziehung zu Gott macht in Deutschland wohl keinen Süchtigen unsüchtiger. Emma (Sina Martens) hat insofern ein Problem als sie nicht nur süchtig, sondern auch Schauspielerin ist. Gerade Süchtige neigen zur Übertreibung, zu Rollenspielen und zum Erzählen improvisierter Geschichten, was teilweise auch zum Geschäft der Schauspieler*innen gehört. Emma existiert nach eigenem Bekunden nur, wenn sie eine Rolle spielt, sich chamäleonartig verwandelt und verschiedene Ichs abstreift wie bei Häutungen: Ihre Falschheit ist ihre Echtheit. Und so spielt Martens auch, anfangs noch mit starkem Beintremor trotz Drogenkonsums, ihre Augen schlagen zärtliche bis wilde Bahnen, Hysterie geht über in erschöpfte Sanftmut, vorübergehende ekstatische Zustände verwandeln sich in leisen, dann unerträglichen Schmerz. Der Gedanke, dass dieser morbide wuchernde Ausbildungsballast beim Versuch, an sich selbst zu arbeiten, hinderlich sein könnte, kommt ihr erst gar nicht. Stattdessen ergeht sie sich in einigen aufmüpfigen, bizarr angehauchten Gesprächen mit dem Therapeuten Foster (Oliver Kraushaar), der durch Verständnis und Berufsroutine Erfahrung verkörpert, die aber jederzeit an Grenzen stoßen kann. Die beiden Mitinsassen Mark (Patrick Güldenberg) und Paul (Owen Peter Read) wirken wie Exzentriker, die durch freiwillige Gehirnmanipulationen aus der Spur geraten sind.

 

Sina Martens, Patrick Güldenberg

©Matthias Horn

 

 

Verkrampfte und entfesselte Gruppensitzungen

Zwischen Emma und Mark wäre die Entfachung einer tiefer gehenden Beziehung möglich, wenn beide ihre subjektive Erlebniswelt reduzieren und die fatale Egomanie ausschalten könnten. Ein Naherücken kommt nicht zustande, so leben sie weiter vor sich hin, in wirklichkeitsfernen Gefühlsgewittern befangen. In den Gruppensitzungen geht es sehr verkrampft und entfesselt und unkoordiniert zu, die ambitionierte Therapeutin (Josefin Platt) lässt so einiges durchgehen, das die Pathologieschwelle längst überschritten hat. Die Inszenierung, von Regisseurin Bernadette Sonnenbichler mit zahlreichen schrillen, pointillistischen Lichteffekten und Dunkelheit versehen, hat sogar eine lebensstiftende Funktion: Bevor man einem solch duchgeknallten Verein für ein paar Monate beitritt, überlegt man es sich dreimal, harte Drogen einzunehmen. Josefin Platt, anfangs Ärztin, kommt noch mal als Emmas Mutter zum Einsatz, zusammen mit ihrem verwitterten, indolenten und kampfmüden Mann (Axel Werner). Emma bekommt abermals von der Mama gewaltig die Leviten gelesen und kann sich an das Vorgeworfene partiell nicht mehr erinnern. Die junge Off-Schauspielerin kann scheinbar genesen nach Hause gehen, aber er wird kommen, der nächste Suchtdruck, der Wunsch, eins zu sein mit der Natur, um das Chaos der Welt kurzzeitig auszuklinken. Und dann gibt es, wie die Ärztin einst betonte, noch Menschen, Orte und Dinge. Menschen, gute Freunde in der Suchtclique, die man nicht missen möchte. Orte, die an Sucht erinnern. Und Dinge, die zu alten Verhaltensmustern zurückführen.

 

Menschen, Orte und Dinge

von Duncan Macmillan

aus dem Englischen von Corinna Brocher

Regie: Bernadette Sonnenbichler, Bühne: Wolfgang Menardi, Kostüme: Tanja Kramberger, Musik: Christoph Cico Beck, Tad Klimp, Licht: Benjamin Schwigon.

Es spielen: Sina Martens, Josefin Platt, Axel Werner, Oliber Kraushaar, Owen Peter Read, Patrick Güldenberg, Cristiana Casadio, Kind: Luise Richter, Anna Valentiner.

Berliner Ensemble, Premiere vom 14. Februar 2018.

Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause.

 

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