Eine kühle Wohnatmosphäre

Eine kühle Wohnatmosphäre (Bild: © Julian Röder)

Ein harmonisches Zusammenleben gibt es nicht

Die drei hochkarätigen Schauspieler*innen sind nahezu identisch, tragen die gleiche Kleidung und die gleichen Frisuren. Physiognomische Unterschiede und Details sind freilich erkennbar, es sind keine Allerweltsgesichter. Anne Ratte-Polle ist am unverkennbaren Profil auszumachen, Corinna Kirchhoff neben dem Aussehen an der Stimme und Judith Engel an der Gestik. Trotzdem verschwimmen sie zu einer Einheit, auch sprachlich, lediglich Kirchhoff leistet sich einige aus dem Rahmen springende, den Sachverhalt betonende Klänge. Entsprechend identisch sind die eigentlich stark kontrastierenden Männer Martin Rentzsch, Gerrit Jansen und Owen Peter Ried, nur wurde nicht an ihren Frisuren herumgemodelt. Das Bühnenbild: Ein kahler Tisch in der Mitte, rechts ein schmuckloser steriler Glaskasten aus Holz und im Raum verteilt einige Küchenmöbel. Pumps aus Wildleder als eine Art Fetisch. Eine perfekte Krankenhaus-Atmosphäre. Und seelisch gesund ist das Personal keineswegs, ein harmonisches Zusammenleben gibt es nicht. Der Kunstgriff der Regisseurin ist nicht ganz einsichtig: Warum die Dreiteilung, diese optische, die Individualität ausschaltende Gleichmacherei bis hin zur Verbreiung? In diese Einheitssoße wird dann ein inszenatorisches Geschmackspulver hinzugemischt, um die Künstlichkeit zum Kunstprodukt zu erheben. Aber der eigenwillige Inszenierungsstil ist gar nicht das Problem, die Aufführung ist handwerklich einigermaßen in Ordnung und sogar recht professionell. Das Problem ist der Text, er ist auch angesichts der Zeitsprünge teilweise enigmatisch, verworren, ja dunkel. Wahlen, Rebellionen, Migration,Naturkatastrophen? Das alles geht die Figuren nichts an. Man ist lediglich mit sich selbst und der Installierung von verschmelzender Eintracht beschäftigt.

 

Judith Engel, Corinna Kirchhoff, Anne Ratte-Polle

© Julian Röder

 

 

Die Illusion kann der Wirklichkeit nicht standhalten

Am Anfang und Ende nimmt Kirchhoffs Figur finale Schlaftabletten – die Szene wird wie ein Programm wiederholt. Dazwischen sind Kämpfe und Krämpfe um die optimale Dauerliaison. Die seelischen Hinterlassenschaften bohren sich quälend ins gedachte Gegenwartsglück. Mutter und Sohn der psychisch Ringenden erscheinen als Fremde, die nicht in ihren Lebensentwurf passen. Liebe, in der Illusion groß gedacht, kann der Wirklichkeit nicht standhalten. Die Dialoge sind mitunter etwas vage und unscharf, als Rezipient kann man schnell den Überblick verlieren, da trotz unausgesetzter Reflexionen und dem Wühlen im eigenen Saft zu viel um den Kern herumgeredet wird, als scheue man den Klartext. Und so muss man sich zwangsläufig mehr dem sichtbaren Geschehen auf der Bühne überlassen. Immerhin, das ist nicht schlecht: Judith Engel, rauchend, mit einer eiskalten Wegwerfgeste, Ratte-Polle mit hektischer, aber selbstkontrollierender Geschäftigkeit und Kirchhoff mit klirrender Stimme, doch ein paar Minimalemotionen zeigend. Mit was für einer distanzierten Kühle derart wichtige Dinge verhandelt werden! Der Kontakt zum Publikum, dem es so schwer wie möglich gemacht wird, wird gänzlich vermieden, dieses Theater ist ein sprechendes Beispiel für die Errichtung der vierten Wand. Das Schauspiel wird hingelegt, als ginge andere das höchst Private gar nichts an. Man verlässt das Kleine Haus, wie es neuerdings heißt, mit gemischten Gefühlen.

Nichts von mir

von Arne Lygre

aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel

Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Video: Philipp Haupt, Kostüme: Alan Hranitelj, Musik: Mitja Vrhovnik-Smrekar, Choreografie: Matija Ferlin, Licht: Ulrich Eh.

Es spielen: Judith Engel, Anne Ratte-Polle, Corinna Kirchhoff, Martin Rentzsch, Gerrit Jansen und Owen Peter Ried.

Berliner Ensemble, Premiere war am 22.September 2016, Kritik vom 25. September 2016.

Dauer: 80 Minuten

 

Laden ...
Fehler!