Berliner Ensemble: Kritik von "Untergang des Egoisten Johann Fatzer" – M. Karge
Premiere des Dramas von Bert Brecht aus den 20er Jahren. Vier Soldaten verstecken sich während des 1.Weltkriegs und warten auf die Revolution.Matthias Zahlbaum, Roman Kaminski, Thomas Wittmann, Ursula Höpfner-Tabori (Bild: © Lucie Jansch)
Deserteure ohne Selbstverwirklichung
Auf der Bühne sind serienweise Totenschädel aufgebahrt, die aus der Parkettperspektive aussehen wie große, mit Löchern versehene Billardkugeln. Auf dem holprigen Geläuf bewegen sich die Deserteure, die bestimmt nicht von Selbstverwirklichung geleitet werden. Fatzer wird von Joachim Nimtz gespielt, der seine sackartige, bis zum Bauch hochgezogene gelbe Hose durch Hosenträger bändigt. Seine Gestik oszilliert zwischen Leidensfähigkeit und der Wut eines verhinderten Kriegers. Der orangefarbene Bürstenschnitt von Kollege Matthias Zahlbaum erinnert an das Outfit eines New-Wave-Opas. Und Roman Kaminski wurde so hergerichtet, dass man ihn kaum wiedererkennt: Mit seiner langen Mähne und der Nickelbrille könnte man ihn glatt für einen Gelehrten halten, wenn da nicht ein Munitionsgürtel und eine Feldflasche wären. Damit es den vier Schwadroneuren nicht zu langweilig ist, tritt auch die mit Pelzumhang ausgestattete Frau Kaumann auf. Ursula Höpfner-Tabori spricht sehr getragen, verhält sich damenhaft und bringt leicht verblühte Erotik unter die sinnlich Ausgehungerten. Ihr Gatte (Thomas Wittmann) leidet unter Anflügen von Eifersucht.
Reibereien wie unter erhitzten Jugendlichen
Matthias Zahlbaum, Thomas Wittmann, Joachim Nimtz, Roman Kaminski
© Lucie Jansch
Ein besonderes Problem ist die Nahrungsbeschaffung, wiederholt zieht Fatzer dahin, um die darbenden Leidengenossen zu beruhigen. Einmal verhandelt der Anführer mit drei Fleischern, im Hintergrund hängen an Haken mehrere große Fleischkörper herab. Mitunter wirken die Streitereien der Soldaten wie kleine Sandkastengefechte oder Reibereien unter erhitzten Jugendlichen. Einmal wird Fatzer gefesselt und dann wieder freigelassen, ihm gelingen halbe Besänftigungen, die nicht lange hinreichen. Seine Kenntnisse des Kommunismus sind brüchig und eher rudimentär, er schreibt auf eine Tafel ein Wort, das es wie als Negativlosung abzulehnen gilt: Bourgeoisie. Eine weitere Tafel, wie bei der Paul-Celan-Premiere ein Tag zuvor. Und dann die typische BE-Ästhetik: An den Seitenwänden sind rahmenlose Fenster eingebaut, aus denen die Nachbarinnen Anke Engelsmann und Marina Senckel heraussprechen. Auf Dauer wird das fortwährende Gruppengezanke zu einer sehr trockenen Angelegenheit, Ermüdung macht sich breit. Abgesehen von einigen Szenen und gelungenen Einzelleistungen hat das notorische Geschwafel der Deserteure wenig zu bieten. Einmal richten sich die Waffen liquidierungsbereit auf Koch, aber es trifft schließlich Fatzer. Die Freude währt nur kurz, denn kurz darauf wird der Gruppenrest von Generälen hingerichtet. Was der seit Äonen beschäftigte Regisseur Manfred Karge wirklich leistet, ist der Umstand, dass sich äußere Aggression schnell nach innen wendet. Wenn man von außen nicht mehr angegangen wird, frisst man sich gegenseitig auf. Unterm Strich ist das leider zu wenig. Die erhoffte Revolution bleibt aus – die Revolutionäre haben sich selbst ausgeschaltet.
Untergang des Johann Fatzer
von Bertolt Brecht
Spielfassung Manfred Karge, Hermann Wündrich
Regie: Manfred Karge, Dramaturgie: Hermann Wündrich, Bühne, Kostüme: Karl-Ernst Herrmann, Musik: Alfons Nowacki, Licht: Karl-Ernst Herrmann, Ulrich Eh.
Mit: Joachim Nimtz, Roman Kaminski, Thomas Wittmann, Matthias Zahlbaum, Ursula Höpfner-Tabori, Martin Schneider, Felix Tittel, Michael Kinkel, Stephan Schäfer, Anke Engelsmann, Marina Senckel.
Premiere vom 28. Juni 2014
Dauer: 1 Stunde, 45 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)