Leander Haußmann

Leander Haußmann (Bild: © Steffen Kassel)

Diese Stiefel sind fürs Marschieren geschaffen

Peter Miklusz als Protagonist hat sich Werner Herzogs Verfilmung von Woyzeck wohl genauer angesehen, mitunter sieht es so aus, als habe er trotz Eigenständigkeit ein paar Anleihen bei Klaus Kinski gemacht, ohne dessen Spielweise komplett zu adaptieren. Der Regisseur Haußmann macht aus der Vorlage eine Anklage gegen die Rohheit des Krieges, dessen zum Töten ausgebildete Werkzeuge mit klappernden Stiefeln in Reih und Glied aufmarschieren. Es erklingt Nancy Sinatras Song "These Boots Are Made For Walkin'", dabei werden automatisch die im damaligen Video gezeigten Frauenstiefel assoziativ mit dem Vietnamkrieg verknüpft. Das Rumpeln der schweißtreibenden Schuhe mit langem eingewichsten Schaft wird per Lautsprecher verstärkt, um die Atmosphäre einer kriegslüsternen Kampfmaschinerie zu steigern und eine leise Weltuntergangsstimmung zu erzeugen. In diesem vom Armeebetrieb bestimmten Getriebe ist der physisch und psychisch schwache Woyzeck ein Unterlegener, der verzweifelt um Selbstbehauptung und ums nackte Überleben ringt.

 

Soldaten im bunten Jahrmarkt-Getriebe

Gebrochen und konterkariert wird die Wehrbereitschaft durch die Einbindung in eine Jahrmarktsszenerie, wo aufblasbare Lufttiere (Einhorn, Vogel, Pferd) ein besteigbares Karussell für erholungsbedürftige Soldaten bilden. Die barock und opulent geformte Traute Hoess spielt eine Art Zirkusdompteuse, die in einer Phantasiesprache deklamiert, einen menschlichen Affen umkreist und etwas von einem astronomischen Pferd und einem Kanarienvogel daherschwadroniert. Anschließend agiert sie mit einer Peitsche, um die ablenkungswilligen Soldaten wieder zur Ordnung zu rufen. Traute Hoess spielt auch den Doktor, der Woyzeck, von monetären Nöten geplagt, als Versuchkaninchen benutzt und ihm täglich eine der Gesundheit abträgliche Erbsensuppe "verschreibt". Eine anschließende After-Kontrolle gehört mit zum Programm. Kein Wunder, dass der Gebeutelte von Visionen, Halluzinationen und inneren Stimmen heimgesucht wird. Deutliche Anzeichen von Schizophrenie.

 

Das Fleisch ist schwach

Haußmann setzt auf Slapstick und viele Bilder, leider sind seine Einfälle trotz gelungener Sequenzen nicht immer originell. In Peter Miklusz' Gesicht arbeitet es ständig, er spielt keine Szene mit vorgetäuschter Indifferenz oder ausdruckslosem Blick. Seine Frau Marie (Johanna Griebel) hält zu ihm, aber das Fleisch ist schwach, zumal sie unter einem defizitären Zärtlichkeitshaushalt leidet. Zur Unterhaltung dient ihr die leicht überdrehte Nachbarin (Antonia Bill), ansonsten sucht Marie Zuflucht bei der Bibel und setzt auf bürgerliche Normalität, damit die dressierte Männerwelt unter Umständen begierdeanfällig wird. Ihr eifersüchtiger Lebensgefährte geht zu einem Juden und kauft sich ein Messer, selbst diese Szene mit dem exzentrischen Verkäufer streift das Absurde und mündet fast in ein kriegerisches Duell mit tödlichem Ausgang. Was dann kommt, ist die geplante Erdolchung Maries bei einem Waldspaziergang. Umgeben von mit Blättern behangenen Sträuchern sticht der Entfesselte auf sie ein, bis sich das Buschwerk als getarnte Soldatentruppe entpuppt und sich erhebt. Eine große Szene: Angefeuert von seinen Soldatenkollegen stößt er bei der längst Toten immer wieder zu, als wolle er sie noch mehr ins Nichts abschieben. Die Soldaten, dressed to kill, scheinen seine Tat zu akzeptieren: Jetzt gehört er quasi zu ihnen. Zugehörigkeit zum Militärkodex, ein Antikriegsdrama also. Leander Haußmann nimmt sich viele Freiheiten vom Text heraus und bricht etwas mit dem Stil des Hauses, mit der Linie Peymann/Karge. Neben schöpferischen, anregenden Bildern sind auch einige danebengeraten. Ein jederzeit annehmbare Inszenierung, aber keine berauschende, die in Verzückung versetzt.

Woyzeck
von Georg Büchner
Regie und Bühne: Leander Haußmann, Kostüme: Janina Brinkmann, Dramaturgie: Steffen Sünkel, Licht: Ulrich Eh, Ausbilder der Soldaten: Rainer Clemens.
Mit: Peter Miklusz, Boris Jacoby, Antonia Bill, Johanna Griebel, Luca Schaub, Hannes Lindenblatt, Raphael Dwinger, Felix Lüke, Traute Hoess, Peter Luppa, Marko Schmidt, Matthias Mosbach, Marvin Schulze und Soldaten.

Berliner Ensemble

Premiere vom 6. September 2014

Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!