Berliner Ensemble: Kritik von "Zwei Herren aus Verona" – Veit Schubert
Premiere von Shakespeares Frühwerk im Pavillon. Zwei junge Freunde lieben die selbe Frau. Nach Irrungen und Wirrungen kommt es zu einem glücklichen Ende.Gaia Vogel, Annemarie Brüntjen, Karoline Teska (Bild: © Marcus Lieberenz)
Die Welt mit anderen Augen
Für die beiden Freunde ist es üblich, sich tief zu umarmen und zu verklammern, als würden sie kurz vor Ausbruch einer Schlägerei stehen. Annemarie Brüntjen als zurückgelassene, verliebte Julia arbeitet dermaßen mit ihrem Gesicht, dass man nicht weiß, wie es im Normalzustand aussieht. Das Gegenteil von maskenhafter Starre: Das Gesicht ist in unausgesetzter Bewegung, die Übergänge sind fließend. Ein Korrektiv bildet ihre Magd Lucetta (Karoline Teska), die auf Nervenberuhigung und Ausgleich bedacht ist. Mittlerweile hat sich Valentin (Leonard Scheicher) in Silvia verliebt, und auch der liebestrunkene Proteus (Felix Strobel) sieht die Welt mit ganz anderen Augen, nur dass er den Gegenstand seiner Leidenschaft unvermittelt gewechselt hat und nun ebenfalls Silvia liebt. Die wird von Gaia Vogel gespielt, der es bei intensiven Begegnungen vor lauter Schauder wiederholt die goldenen, hochhackigen Schuhe auszieht. Außerdem ist sie dem wohlhabenden, aber abstoßenden Thurio (Jonathan Kutzner) versprochen, der als Werbender eigentlich nur seine tölpelhafte Unfähigkeit demonstriert. Den beiden jungen ‚Gentlemen' steht jeweils ein Diener zur Verfügung, und bei diesen bizarren einfältigen Gestalten kann man nicht so einfach sagen, sie seien so dumm, dass sie schon wieder gut sind.
Felix Strobel, Leonard Scheicher
© Marcus Lieberenz
Rettung einer Männerfreundschaft
Was wahre Männerfreundschaft, angeblich für die Ewigkeit gebaut, wirklich wert ist, zeigt Proteus recht bald. Er intrigiert gegen Valentin, schwärzt ihn beim Mailänder Herzog (Sebastian Witt) an, weil sein gefährlich falsch liebender Rivale mit Silvia heimlich fliehen möchte. Valentin ist vorläufig aus dem Weg geräumt, doch das Herz von Silvia bleibt weiterhin verbohrt, in ihren warm durchfluteten Kammern glüht es nur für den Verstoßenen. Und die immer noch verliebte Julia erscheint wieder auf dem Plan, taucht in Männerkleidung als Sebastian auf, um in der Nähe von Proteus zu sein und ihn unverbrüchlich an sich zu ketten. Warum hat sich der Regisseur Veit Schubert ausgerechnet dieses Stück ausgesucht? Wohl kaum wegen der Gefühlsintensität der beiden Frauen, deren Liebe einen Ausschließlichkeitscharakter besitzt, nach dem Motto: den und keinen anderen. Reizvoller scheint eher das Motiv der Rettung einer Männerfreundschaft zu sein. Indem Proteus Silvia an Valentin abtritt und er sich wieder auf Julia besinnt, bekommt jede Frau den Wunschkandidaten und die Freunde erleben die Selbstfeier ihrer privaten Wiedervereinigung nebst inniger Umarmungsszenarien. Schubert hat die Komödie mit aller Gewalt auf komisch getrimmt, und die Herren sollen selbst dann noch komisch wirken, wenn die Komödie zuweilen tragische Züge annimmt. Bei Felix Strobels Proteus entsteht der Eindruck, dass er sich – nicht nur in seinem Gesang – voll und ganz der Amore verschrieben hat, gleichgültig, wohin sie gerade fällt. Und so erwächst leider auch der Anschein der Beliebigkeit. Die Inszenierung ist wohl für Veit Schubert eine Lockerungsübung, die vor allem unterhalten soll. Wenn man sich die letzten Premieren ansieht, so hat sich das Berliner Ensemble offensichtlich auf serienweise abgespielte Komödien kapriziert und die Tragödie vergessen.
Zwei Herren aus Verona
von William Shakespeare
Deutsch: Frank Günther
Regie: Veit Schubert, Bühne und Kostüme: Maria-Elena Amos, Dramaturgie: Anika Bárdos, Mitarbeit Regie/Dramaturgie: Jörg Lehmann, Licht: Mario Seeger.
Es spielen: Leonard Schleicher, Felix Strobel, Jonathan Kutzner, Karoline Teska, Gaia Vogel, Annemarie Brüntjen, Sebastian Witt.
Premiere: 6. Dezember 2014
Dauer : ca. 1 Stunde 50 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)