Sehstärke, Trennschärfe, Verträglichkeit - Visus - die Sehstärke

Die Szene ist selbst denen bekannt, die noch nie beim Augenarzt oder Optiker waren; man hat sie schon in vielen Filmen gesehen. Dem Fehlsichtigen werden in einiger Entfernung Tafeln gezeigt, früher aus Pappe, heute an die Wand projiziert. Darauf stehen Buchstaben, die von Zeile zu Zeile immer kleiner werden. Und die soll er nun vorlesen. Weil die Augen eines Menschen selten beide ganz gleich sind, muss er sich dabei ein Auge jeweils zuhalten. Und für Kinder und Analphabeten gibt es das Gleiche natürlich auch mit Symbolen.

Das Ergebnis dieses simplen und unübertroffenen Tests ist der sogenannte Visus, die Sehstärke. Gemessen wird er, indem man den Abstand, in dem Sie die jeweilige Zeile lesen können, durch den Abstand teilt, den Sie hätten brauchen sollen. Lesen Sie die 5-Meter-Abstands-Zeile mit fünf Metern Abstand, haben Sie 5/5, also 1. Können Sie sie in vier Metern Abstand lesen, beträgt Ihre Sehstärke 4/5, also 0,8. Eine Sehstärke von über 1 kommt auch gelegentlich vor.

Test

Es gibt ein paar kleine Übungen zur Bestimmung der Sehstärke, die Sie auch gut selbst zuhause machen können. Diese Sehstärke haben Sie, wenn Sie das folgende lesen können:

Sehschärfe 1,0 Zeitung in einem Meter Abstand
Sehschärfe 0,6 - 0,7 Telefonbuch in 30 Zentimeter Abstand
Sehschärfe 0,3 - 0,4 Zeitung in 30 Zentimeter Abstand
Sehschärfe 0,1 - 0,2 Zeitungsüberschrift in 30 Zentimeter Abstand
Sehschärfe 0,05 Überschrift der Boulevardzeitung in einem Meter Abstand
Sehschärfe 0,02 Überschrift der Boulevardzeitung in 30 Zentimeter Abstand
Sehschärfe 0,02 Sie können hochgehaltene Finger in 30 Zentimeter Abstand erkennen
Sehschärfe 0,01 Sie können Handbewegungen in 30 Zentimeter Abstand erkennen

 

Für die Zeitschrift "New Scientist" entwickelte Dr. Aude Oliva 2007 ein Testbild für Kurz- und Weitsichtige. Wenn Sie auf dem Foto in normalem Bildschirmabstand Marilyn Monroe sehen, dann sind Sie kurzsichtig.

Die Trennschärfe

Welche Buchstaben ein Mensch beim Visustest erkennen kann, das sagt zwar etwas darüber aus, wie gut er sieht. Daraus folgt aber noch nicht, welche Brillengläser er braucht. Augenarzt und Optiker unterscheiden zwischen Sehstärke und Trennschärfe.

Zur Feststellung der Trennschärfe wird ein klobiger Apparat benutzt, mit dessen Hilfe der Patient durch die unterschiedlichsten Kombinationen von Brillengläsern schauen kann und dem Arzt dann jeweils sagen muss, ob er mit der jeweiligen Glasstärke besser oder schlechter sieht als mit den Gläsern davor. Damit kann man zunächst die benötigte Brillenstärke in großen Schritten recht gut einschränken; wenn es dann aber auf die ganz genauen Feinheiten ankommt, dann kann sich der Patient häufig nicht so recht entscheiden zwischen zwei nah beieinanderliegenden Alternativen. Selten schaut er dann so fröhlich drein wie der Patient auf diesem Foto.

Neben dieser subjektiven Sehschärfenbestimmung gibt es auch noch eine objektive. Dabei leuchtet der Augenarzt mit einer Lichtquelle in das Auge des Patienten hinein. Bei Fehlsichtigkeit wird die Augenlinse aus dem Licht keinen scharfen Punkt auf der Netzhaut bilden. Der Augenarzt lässt das Licht nun durch verschiedene Linsen fallen, bis er nur noch einen kleinen, scharf umrissenen Punkt auf der Netzhaut des Patienten ankommen sieht. Denn ein kleiner, scharf umrissener Punkt muss auch aus dem Bild werden, das ins Auge fällt; nur dann kann man es genau sehen.

Der Patient fixiert bei dieser Prozedur mit dem anderen Auge einen Punkt in etwa fünf Metern Entfernung. Das untersuchte Auge stellt sich mit auf diese Entfernung ein. Damit die Pupille sich nicht vor der Lichtquelle verschließt, ist es nötig, sie mit einem Medikament daran zu hindern und künstlich weitzustellen.

Für diese Untersuchung gibt es inzwischen ein Gerät, das Refraktometer, das ein Testbild auf die Netzhaut projiziert und automatisch scharf stellt. Die dafür benötigte Gläserstärke braucht dann nur noch abgelesen zu werden.

Das Ziel einer Sehhilfe ist es natürlich, dass sie dem Patienten zu bestmöglichem Sehen verhilft. Deshalb ist die objektive Sehschärfenbestimmung allein nicht maßgeblich. Wenn der Patient selbst das Gefühl hat, mit einer anderen Gläserstärke besser sehen zu können, dann wird das immer in die endgültige Brillenverschreibung mit einfließen.

Verträglichkeitsprüfung

Die Untersuchungen der Sehstärke und der Trennschärfe kann entweder der Augenarzt anstellen oder der Optiker. Bis hierher gehören sie beim Augenarzt zu den normalen Kontrolluntersuchungen und werden von allen Krankenkassen bezahlt. Um aber ein Rezept auszustellen und mit seiner Unterschrift dafür zu bürgen, dass Sie dann auch die richtige Brille auf der Nase tragen, muss der Arzt noch eine Verträglichkeitsprüfung machen, und die müssen Kassenpatienten selbst bezahlen.

Dabei geht es beispielsweise um die Frage, ob die Hornhaut gerade oder verkrümmt ist; das muss vermessen werden, damit es von der Brille ausgeglichen werden kann. Es geht um die Frage, wie die beiden Brillengläser zueinander passen; es kann bei jedem Auge die richtige Sehstärke eingestellt sein, aber im Zusammenspiel ergeben sich Doppelbilder oder ein verschwommenes Gesamtbild.

Und schließlich muss noch die Frage des optimalen Arbeitsabstandes geklärt werden, und dazu muss der Optiker oder Augenarzt die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten herausfinden. Wer seine Zeit vor Bildschirmen verbringt, braucht eine andere Brille als der, der klassische Literatur studiert, der Gärtner eine andere als der Jäger. Wer nach Noten musiziert, muss in einer anderen Entfernung scharf sehen als der, der Modellflugzeuge bastelt oder der, der sie fliegen lässt.

Sie können sich nach einer Kontrolluntersuchung beim Augenarzt die Ergebnisse des Visus- und der Refraktortests geben lassen und damit zum Optiker gehen. Wenn aber der Optiker dann keine Verträglichkeitsprüfung mit Ihnen macht, dann kann die neue Brille zwar passen - muss aber nicht.

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