Der Tag X: Worum es geht

Die Handlung seines Romans siedelt Titus Müller überwiegend im Ostdeutschland des Jahres 1953 an. Mit dem Tag X ist der 17. Juni gemeint, das Datum des beinahe erfolgreichen und dann doch blutig niedergeschlagenen Volksaufstandes in der DDR. Titus Müller konzentriert sich hierbei vorrangig auf die kleinen Leute, von denen der Aufstand ja schließlich auch ausging. In den Städten Halle und Berlin stellt er Protagonisten verschiedenster Coleur mitten in das Geschehen: Parteibonzen, Angepasste, Aufmüpfige und Zwielichtige. Am Tag X verschwimmen die bis dato anscheinend festen Grenzen zwischen diesen Lebensentwürfen.

Eine der Hauptfiguren ist der Berliner Uhrmacher und Ladeninhaber Wolf Uhlitz. Als Sohn eines überzeugten Kommunisten liebt er heimlich die junge Christin Nelly, wird aber gleichzeitig von der Stasi erpresst. In diesem Spannungsfeld versuchen beide, ihren Weg zu finden, der jedoch immer wieder von dem mysteriösen Russen Ilja Kolschetow gekreuzt wird. Jeder der drei hütet ein Geheimnis.

In Halle wiederum haben sich Marc und Katharina König ein biederes, kleinbürgerliches Leben aufgebaut, Langeweile inklusive. Für DDR-Verhältnisse leben sie in bescheidenem Wohlstand. Lotte König hingegen, die Cousine von Marc, ist alleinerziehende Mutter und arbeitet als Putzfrau. Ihr Mann ist in den Westen geflohen. Doch Lotte hofft auf neues Glück, als sie einen Offizier der Kasernierten Volkspolizei kennenlernt. Am 17. Juni, dem Tag X, verbinden sich die Schicksale der beiden Paare auf ungeahnte Weise. 

Nicht weniger interessant als die Romanhandlung selbst (und aufgrund der komplexen Thematik auch nötig) ist der umfangreiche Anhang. Neben der Erklärung historischer Begriffe und Abkürzungen werden hier auch die realen Hintergründe zum 17. Juni 1953 erläutert.

Der Tag X: Eine Leseempfehlung?

Der Roman punktet mit Detailgenauigkeit und vermittelt dem Leser so auch die Empfindungen der Hauptfiguren. Zum Beispiel ist (zumindest geschichtlich interessierten Lesern) hinreichend bekannt, welche Zustände im Zentralen Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen oder im "Roten Ochsen" von Halle herrschten. Titus Müller jedoch beschränkt sich nicht auf die Aufzählung dieser Fakten. Vielmehr vermittelt er die Empfindungen der Gefangenen: Ängste und Hoffnungen, Langeweile, Schlafmangel und der Kampf um die eigene Würde. Der Autor macht dadurch so manches über die historischen Tatsachen hinaus nachvollziehbar.

Wohltuend fällt auf, dass der Roman kein Schwarz-Weiß-Muster pflegt. Obwohl dem Leser das kommunistische Unrecht klar vor Augen geführt wird, gibt es keine strikte Unterteilung in Gut und Böse. Auch die Parteibonzen oder der sowjetische Politiker und Massenmörder Berija erhalten menschliche Züge. Sie werden mit Empfindungen und Einsichten ausgestattet, machen Fehler, haben aber ebenso gute Ideen.

Gewagt ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Titus Müller historische Persönlichkeiten wie Berija, Chruschtschow, Molotow oder Adenauer in echte Dialoge eintreten lässt und sie mit wörtlicher Rede "zitiert". Der politische Kontext und der Sinn dieser Aussagen stimmen aber mit den geschichtlichen Fakten überein.

Unschöner ist da schon die Tatsache, dass die beiden hauptsächlichen Handlungsorte Halle und Berlin keine erzählerische Verbindung zueinander aufweisen. Titus Müller lässt hier quasi zwei Geschichten parallel in einem Buch ablaufen.

Dem Lesevergnügen tut dies allerdings keinen Abbruch. Für Freunde historischer Romane ist "Der Tag X" daher ebenso geeignet wie für Leser, denen das Schulfach Geschichte immer etwas suspekt war.

Titus Müller, Jahrgang 1977, studierte Literatur, Mittelalterliche Geschichte, Publizistik und Naturwissenschaften. Noch während seiner Studienzeit gründete er die Literaturzeitschrift "federwelt". Der Autor wurde bereits mehrfach mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Sein Roman "Der Tag X" erschien 2017 im Münchener Karl Blessing Verlag.

Donky, am 04.01.2018
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