Erster Eindruck

 

 

Die kleine Broschüre mit 114 Seiten wirkt auf Internet-Homepages taschenbuchgroß, ist aber in Wirklichkeit etwas kleiner: exakt 15 x 10 x 1 in Zentimetern (L/B/H). Das verblüfft zunächst. Rasch stellt sich jedoch heraus, dass es sich um ein literarisches Raumwunder handelt, denn der Lesestoff ist doch umfangreicher als erst befürchtet.

Zielgruppe

  • verzweifelte Gastgeber wider Willen, die ein bisschen zu oft von dreisten sich selbst einladenden, in Wahrheit unerwünschten, Gästen heimgesucht werden, derer sie sich nicht wirksam zu erwehren wissen
  • jene Mitmenschen, die bislang aus falsch verstandener Höflichkeit meinten, bestimmte, eigentlich weniger geschätzte, Leute immer wieder mit einladen zu müssen
  • alle, die Lösungen für einen originell maskierten Rauswurf suchen, bei dem sie hinterher keine heftigen Schuldgefühle plagen, sondern sie sich im Gegenteil dabei sogar köstlich amüsieren durften und noch lange beglückt von ihren Erinnerungen daran zehren werden
  • unwillige Gastgeber, die simple deutliche Worte fantasielos finden und stattdessen lieber ein schockierendes geselliges Beisammensein inszenieren, über das noch lange gesprochen werden wird
  • verkappte Sadisten, die nach der Lektüre zu Serientätern werden
  • alle, die Humor haben sowie Freude an makabren Späßen

Der Autor

Geschrieben hat das nonkonformistische Werk Martin Lagoda, geboren 1952. Bereits seit seiner Kindheit interessiert er sich stark für Kulinarisches. Langjährigen Lesern der Zeitschriften "Essen & Trinken", "Living at Home" oder "Der Feinschmecker" wird er kein Unbekannter sein aus seinen damaligen Tätigkeiten als Redakteur für Themen rund ums Speisen. Andere erinnern sich an ihn als Entdecker von Tim Mälzer, der daraufhin zum bekannten Fernsehkoch aufstieg. Heute schreibt Martin Lagoda als freier Autor Bücher wie "Meine Jacobsleiter" oder "Strandküche. Die Originalrezepte der legendären Sansibar", die er unter dem Label Snowdon & Lagoda gemeinsam mit der Diplom-Ökotrophologin Bettina Snowdon herausgibt. Seine "Gästeaustreibung" erscheint im Schardt Verlag.

Der Inhalt

Nach ein paar Einleitungsseiten folgen sechs Lektionen mit Vorbereitungen und Verläufen unweigerlich zum Erfolg führender Gästeaustreibungen. Die verwandten Teufelsaustreibungen haben zweifellos Pate gestanden, beginnt beinahe jedes neue Kapitel doch mit einem Zitat aus einem Psalm, die übrigen beiden sind mit einem Spruch aus dem Matthäus-Evangelium oder der Johannes-Offenbarung bedacht. Eine der Lektionen nennt sich "Magazin" und enthält mehrere Kurztipps, mit denen ein Gastgeber seine Gäste triezen kann. Die anderen fünf Lektionen machen in größerem Stil der unwillkommenen Gesellschaft das Leben zur Hölle. Teilweise erfordert das Szenario eine ausgeklügelte Regie, einmal sogar unter Einsatz extra angemieteter Komparsen mit besonderen Merkmalen und Aufgaben. Andere Vorschläge erfordern weniger Aufwand beim Umsetzen. Die Überschriften der Lektionen deuten das jeweilige Motto an wie "Russland", "Frankreich", "Italien", aber auch "Gourmet" oder "Bratwurst", Untertitel verraten noch ein wenig mehr, richtig in die Details geht es allerdings erst in den Kapiteln selbst, wovon hier allerdings nicht zu viel verraten werden soll. Nur so viel: Die Gäste werden auf den Arm genommen, massiv verunsichert, scheinbar kriminalisiert und mit zahlreichen befremdenden bis abstoßenden Gerichten konfrontiert oder mit solchen, deren Tücken sich erst nach einiger Zeit herausstellen. Auch über die wahre Natur eines wunderbar perlenden Champagners werden sie erst nach dem Genuss aufgeklärt. Seltsame Raumdekorationen und ein in Endlosschleife abgenudeltes neckisches Liedchen werden manche Besucher sich in den Arm kneifen lassen, ob sie das alles nicht doch nur träumen. Aber es gibt kein erlösendes Erwachen, der Albtraum geht in eine neue Runde.

 

Die Ideen sind gelegentlich so grotesk, dass klar ist, dass sie nur als Gedankenspielereien dienen à la "Was wäre, wenn..." So könnte es einem gepeinigten Gastgeber bereits Erleichterung verschaffen, er stellt sich eine Szenerie aus der "Gästeaustreibung" einfach nur bildlich vor. Andere Vorschläge sind aber durchaus ein Experiment wert und werden sicher zum Erfolg führen. Der Spaßfaktor ist enorm und kann sogar eigenes kreatives Potenzial in Schwung bringen.

 

Abschließend finden sich in diesem Büchlein mehrere der geschilderten Koch-Rezepte, von denen welche tatsächlich Eingang in das persönliche Rezepte-Repertoire finden könnten. Andere wiederum sind so speziell und für die meisten Europäer appetitsenkend, dass sie wohl ewig auf Zubereitung warten werden.

Resümee

Das Buch ist locker, witzig und originell geschrieben. Dabei fehlt es ihm glücklicherweise an jener Bemühtheit und Penetranz, wie sie allzu oft in anderen humorvoll gemeinten Büchern nervt. "Gästeaustreibung" ist eine gelungene Satire und bejaht das Unterlaufen aufgesetzten guten Benehmens, exquisiter Tischsitten oder demonstrativ kultivierten Gehabes. Eine boshafte Attacke auf genussfeindliche Hungerhaken fehlt ebenfalls nicht. "Political Correctness" hat bei der "Gästeaustreibung" auch zwischen den Zeilen keinen Zutritt. Die Vorschläge sind teils realisierbar, teils so absurd, dass es wehtut. Allzu makabre Szenen oder besonders einfallsreiche Formulierungen können ein Lachen auslösen, das sich nicht so leicht wieder stoppen lässt. Für Leute, die beim Lesen in Bahn oder Bus lieber unauffällig sind, empfiehlt sich dieses gut in der Jacken- oder Handtasche verstaubare Buch daher nicht als Unterwegslektüre. Manche drastischen Schilderungen können auch mal den Atem aussetzen lassen. Dabei ist das Buch trotz gelegentlicher Grenzwertigkeiten nie wirklich ordinär. Ungeachtet des gelungenen Schreibstils und dieser positiven Rezension soll nicht verschwiegen werden, dass zwischendurch schon mal stillere Passagen vorkommen, die subjektiv ein leichtes Gefühl von Länge aufkommen lassen können oder entbehrlich scheinen. Es sind allerdings nur wenige. Würde außerdem pausenlos ein Feuerwerk aus Gemeinheiten auf den Leser niederprasseln, käme es zum Overkill. Ein paar entspannendere Zeilen zwischendurch zum Verdauen der Skurrilitäten sind sicher nicht verkehrt.

 

Zugegeben: Dieses außergewöhnliche Büchlein ist nichts für jeden. Wer alles bierernst nimmt, ausschließlich auf sachliche Fakten steht beziehungsweise sich nur in einem Gerüst aus Normen wohlfühlt, kann vermutlich mit diesem Band bizarren Humors nichts anfangen.

 

Ansonsten ist es eine klare Kaufempfehlung sowie Geschenkidee für die oben erwähnten Zielgruppen. Ja, sogar diejenigen, die grundsätzlich alle ihre Gäste von Herzen gern haben und eine grenzenlose Nervungsresistenz besitzen, werden – Sinn für Humor vorausgesetzt – Spaß an diesem Buch haben, das für sie als theoretische Gästehölle mehr auf einer Stufe wie Science-Fiction rangieren wird.

 

Einzig ein besseres Lektorat wäre diesem Buch zu wünschen gewesen. Es wimmelt zwar nicht von Fehlern, doch für 114 Seiten sind es ein paar zu viel. Das geht in der nächsten Auflage sicher besser.

 

Insgesamt vergibt die Rezensentin der "Gästeaustreibung" 4 von 5 möglichen Sternen.

Blogg dein Buch

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Ich möchte auch Autor bei Pagewizz werden.

 

Textdompteuse, am 18.02.2012
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Bildquelle:
Kerstin Schuster (Weihnachten Dresden besinnlich - Die schoenste Weihnachtsstadt Europas)
Heimo Cörlin (Frohes Fest: Texte für Weihnachtskarten)

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