Plakat Chalga-ClubEs ist eine kalte Winternacht im Januar. Das Barometer zeigt - in dieser Jahreszeit in Bulgarien durchaus üblich - Minus fünfzehn Grad an. Die wenigen Passanten, die angesichts der klirrenden Kälte bis oben hin verhüllt sind, eilen zügigen Schrittes durch die Gassen. Die meisten Taxis,die kurz vor Mitternacht, auf den schwach frequentierten Straßen Plovdivs unterwegs sind, haben das selbe ZIel, den Infi Club. Der Infi Club ist im Moment der wahrscheinlich populärste Chalga-Club in Plovdiv. Aufgemotzte Luxus-Schlitten, Frauen in High-Heels mit Modelmaßen und auf trainierte Türsteher in schwarzen Anzügen und forschem Blick lassen schnell erahnen was einem im Inneren des Balkan Tanztempels erwartet. Hat man erst mal der obligatorischen Musterung der Türsteher standgehalten, den Eintritt, der sich nach dem jeweiligen Programm orientiert in Form von Leva abgelegt und das Etablissement betreten, so fühlt man sich sofort in das, in West- und Mitteleuropa vorherrschende klischeehafte Bild einer  Balkan Szenerie versetzt. Tische zum bersten voll mit Wodka und Whiskey, solvente Herren umgeben mit wesentlich jüngeren Damen die überwiegend einem Pin-Up Kalender entstiegen zu sein scheinen und der Beat der seit Ende des Kommunismus Bulgarien spaltet. Chalga, das Musikgenre, das seit nun mehr 20 Jahren auf der Erfolgswelle schwimmt, tönt aus den High-Tech Boxen des Clubs und bringt das Blut der Anwesenden zum Kochen. 

Chalga-Hit: Andrea-Haide Opa
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Bulgarien und das Phänomen des Chalga

Der Begriff Chalga wird vom türkischen Wort "Calgi" für Musikinstrument abgeleitet. Die Musikrichtung die seit Ende der 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts Bulgarien spaltet, war bis 1998 während der kommunistischen Ära des Landes verpönt. Gefördert wurde in dieser Zeit vor allem Musik slawischen Ursprungs - wo bei die Musik aus der Sowjetunion einen hohen Stellenwert einnahm - sozialistisches Liedgut und klassische Musik. Mit dem Niedergang des Kommunismus trat als bald das Musikgenre des Chalga seines Siegeszug an. Kennzeichen des Chalga, sind starke Einflüße aus der türkischen, griechischen und serbischen Populär-Musik und simple Texte, die vorwiegend Liebe, Reichtum und Sex thematisieren. Die Öffnung gegenüber dem Westen und der erlaubte Blick nach Amerika schlug sich bald in dem Äußeren der Interpretinnen - einige der Chalga Starletts lassen Pamela Anderson blaß erscheinen - und in den, zu den Hits gehörigen Video Clips, nieder. Die meist aufwendig und teuer gedrehten Clips, in denen neben teuren Autos, Luxusvillen und anderen kapitalistischen Status Symbolen, vor allem viel nackte Haut zu sehen ist, erinnern nicht zufällig an Video Clips Amerikanischer Rapper. Viele der Chalga Interpretinnen verleihen ihrer natürlichen Schönheit mittels künstlicher Eingriffe den letzten Schliff. Brustvergrößerung ist nur eine der hier für gewählten Methoden. In Intellektuellen Kreisen genießt der Chalga Stil  geringes Ansehen. Kritisiert werden neben der Oberflächlichkeit, hauptsächlich die Verherrlichung von Geld, Sex und körperlicher Makellosigkeit. Der Umstand, daß sich viele junge Bulgarinnen die Brüste chirurgisch vergrößern lassen, wird dem Einfluß des Chalga zugeschrieben.

Azis oder "Chalga goes Queer"

Der wohl bekannteste und erfolgreichste männliche Chalga Interpret ist unumstritten der offen homosexuell lebende Azis.  Mit seiner sexuellen Präfernz und seinen Roma Wurzeln erfüllt er ein doppeltes Rollen-Modell in der bulgarischen Gesellschaft. Azis, der sich in seinen Videos gern als Cross Dresser präsentiert und offen in Talk-Shows über seine Affären und sexuellen Präferenzen plaudert, zählt mittlerweile zu den Reichsten des Landes. Auf die Provokation in einer russischen Talk-Show, in der er, in seiner Abwesenheit als abartig und pervers bezeichnet wurde, antwortete er mittels Video Clip zu seinem Hit "Hop", in dem er abwechselnd nackt im Bottich einer russischen Sauna umgeben von athletischen Männern posierend und in Frauenkleidern mit eindeutigen Gesten zu sehen ist. Gewisse Körperteile werden in dem Clip durch das Einblenden von Hammer und Sichel zensuriert. Bulgarien nimmt hinsichtlich seiner Offenheit gegenüber  gleichgeschlechtlicher Lebensformen eine Sonderstellung ein. Die Chalga-Interpretin Antonina mußte ein Konzert in Serbien absagen, als sie nach ihrer Baby Pause ihren neuen Video Clip, in dem Transvestiten zu sehen sind, präsentierte. Serbien hatte sie kurzer Hand ausgeladen.

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