David Foster Wallace

© Wikipedia/ Steve Rhodes

 

Depressionen und Hochphasen

Wallace, Spross einer Akademikerfamilie, wuchs im Mittleren Westen in Illinois auf und war von Anfang an eine liberale und intellektuelle Atmosphäre gewohnt. Schon früh verschrieb er sich dem Tennis, rauchte Gras und sah übermäßig fern. Lebenslang hatte er so gut wie keinen Kontakt zu Arbeitern, abgesehen von den Teilnehmern der späteren Selbsthilfegruppen und jenen harten Kerls, die er als Patient während seines Entzugs kennenlernte und mit denen er auch eine Art Resozialisierungsprogramm bestritt. Erste Gefühle von Niedergeschlagenheit und Panikanfälle traten zwischen neun und zehn auf und begleiteten seine von Auszeiten geprägte Jugend, ja sein ganzes Leben. Es ist aber nicht so, dass Wallace stets unglücklich gewesen wäre: Es gab Hochphasen, Stadien gesteigerter Lebensfreude, die intervallartig immer wieder auftraten und den von Wittgenstein und Pynchon inspirierten Leser zum eigenen Schreiben antrieben. Im College von Amherst in Massachusetts brillierte er mit glänzenden Noten und gründete mit seinem Freund Costello eine Literaturzeitschrift.

 

Anziehungskraft und unausgesetzte Selbstzweifel

D. T. Max hat das ungewöhnliche Talent, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Mit seiner eindringlichen Durchforschung der Seele des Autors schafft er es, beim Leser ein Gefühl von Empathie zu erzeugen, ein Emotionsgemisch von Anziehung und Abstoßung. Der reife Wallace hatte universitäre Lehraufträge und war seit 2002 Literaturprofessor im kalifornischen Claremont, war spätestens seit "Unendlicher Spaß" ein erfolgreicher, finanziell abgesicherter Autor, der mit Größen der amerikanischen Weltliteratur (z.B. Jonathan Franzen) verkehrte, und zog viele Frauen gleichsam magisch an. Trotz seiner offensichtlichen Anziehungskraft plagten ihn unausgesetzt Selbstzweifel, Ängste vor Schreibblockaden und Aufwallungen von Entfremdung und Ausgrenzung. Besonders deutlich wird das im mündlichen und schriftlichen Austausch mit Freunden und mit seiner Agentin Nadell, die er tief in sein Inneres blicken lässt. Auch gegenüber seinen Lektoren, zunächst Gerry Howard von Viking Penguin, später Michael Pietsch von Little, Brown, war er im Zuge seiner Kämpfe und Krämpfe mit den Korrekturen übertrieben offenherzig. Und bei Frauen, deren Bekanntschaft er gerade machte, brachte er es fertig, mit ungewollten Bekenntnissen und Enthüllungen über seine inneren Konflikte zu überraschen.

 

Buchcover

© Kiepenheuer & Witsch

 

Er drückte ein bestimmtes Lebensgefühl seiner Zeit aus

Der Lektor Pietsch kaufte "Unendlicher Spaß" 1992 für 80 000 Dollar ein, das fertige Buch, das in der deutschen Übersetzung von Ulrich Blumenbach (2009) über 1500 Seiten aufweist, erschien erst 1996 auf dem US-Büchermarkt. Nach "Besen im System" (1987) und "Kleines Mädchen mit komischen Haaren" (1989) gelang ihm nun ein Werk, das nicht nur wegen seiner komischen Übertreibungen, der Sprachakrobatik und der Beiläufigkeit des Erzählten als Meilenstein gefeiert wurde. Max schreibt über Wallace: "Er beleuchtete die Leiden der Pubertät ebenso wie die Freuden des Rausches, die Gefahren der Sucht, den Preis der Isolation und die Fragilität geistiger Gesundheit." Für viele Leser, die in Wallace eine neue innovative literarische Bewegung sahen, drückte er ein bestimmtes Lebensgefühl seiner Zeit aus. Wallace leistete viel, hatte aber immer den Eindruck, dass er unter seinen Möglichkeiten blieb und war sogar von (Schreib-)Versagensängsten umtrieben. Was Reich-Ranicki über Klaus Mann schrieb, lässt sich auch auf Wallace übertragen: "Ein Sonntagskind war er. Aber das unglücklichste, das man sich denken kann." Er machte mit vielen Frauen herum, etwa mit Gale Walden und Kimberly Harris, doch seine wahre Liebe galt der alkoholkranken, längst trockenen Lyrikerin Mary Karr, um die er regelrecht kämpfte – leider vergeblich. In den letzten Jahren war er mit Karen Green verheiratet, die ihm eine große Stütze war, doch ebenfalls in seinen psychischen Taumel hinabgerissen wurde und den finalen Absturz nicht verhindern konnte. Objektiv betrachtet war Wallace ausgesprochen erfolgreich, innerlich aber, und nur darauf kommt es letztlich an, überhaupt nicht. Einige Leser sind seinem Schreibrausch beinahe verfallen. Und so liest sich auch die Biografie von D. T. Max: Wie ein kleiner mal versiegender, mal heftig aufflackernder Rausch.

D. T. Max: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte. David Foster Wallace. Ein Leben. 2014: Kiepenheuer & Witsch, Köln. 502 Seiten

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