Die Darts-WM ist der wirkliche britische Karneval

"The same procedure as every year" heißt es seit 2007, wenn im Alexandra Palace in London die Weltmeisterschaft in der Kneipensportart "Darts" ausgetragen wird. Das ist Karneval auf englische Art. Für 2017 wurde der Termin auf den 14. Dezember bis 1. Januar 2018 festgelegt. Dann wird im "Ally Pally", wie der Austragungsort von den Fans liebevoll genannt wird, der beste Dartspieler der Welt ermittelt. 

Die Darts-WM spricht Sportfans, England-Fans, Karnevalisten, Oktoberfest- und Partygänger gleichermassen an. Die Darts-WM bedeutet kreative Fangesänge und lautstarken Jubel und Partystimmung pur. Es ist wie eine Mischung aus Karneval und Oktoberfest. Die Fans kommen fast alle verkleidet in die Halle. Da sind Piloten, Super Marios, Prinzessinnen, Donals Trumps, Marsmenschen, Polizisten und natürlich jede Menge Weihnachtsmänner und viele andere Maskierungen zu sehen.

Ein Großteil sitzt oder steht größtenteils an Tischen, und das Bier fließt in Mengen, im Schnitt drei Liter Stout pro Besucher. Das Stoutbier ist ein meist schwarzes, obergäriges Bier mit einem Alkoholgehalt zwischen 3 Prozent bis 10 Prozent.

Darts ist wohl auch ein Sport

Obwohl, kann man 100 Kilogramm-Männer, die mit drei maximal je 50 Gramm wiegenden Pfeilen um sich werfen und versuchen, bestimmte Felder auf der Dartscheibe zu treffen, eigentlich als Sportler bezeichnen? Auf die richtige Ernährung scheinen sie bei ihrem Gewicht nicht achten zu müssen. Auf die Kniee kommt es wohl auch kaum an, denn sie müssen sich kaum bücken, wenn sie ihre drei geworfenen Pfeile wieder von der Dartscheibe wieder einsammeln. Auf das Alter auch nicht, denn in der Vorrunde ist jede Altersgruppe vertreten.

Sie müssen sich aber sehr gut konzentrieren können und müssen die lautstarken Karnevalsfeiern ausblenden können. Also bezeichnen wir mal einfach Darts als Konzentrationssportart und reihen die kräftig gebauten Aktiven als Sportler ein. Schließlich haben sie auf Weltebene einen eigenen Verband, dem Verbände aus rund 60 Ländern angehören.

Das "Ally Pally" ist Mekka des Dartsports

Der Alexandra Palace, wie er mit seinem vollen Namen heißt, wurde 1873 als Freizeit- und Erholungspark "The People's Palace" auf einem kleinen Hügel im Norden des Stadtbezirks Haringey eröffnet und benannt nach der damaligen Kronprinzessin Alexandra von Dänemark. Nach einem Großbrand mit folgendem Abriss nur zwei Wochen nach der Eröffnung erfolgte der Wiederaufbau.

Bis 1990 fand hier das älteste Dartsturnier der Welt statt, das "News of the World Darts Tournament". Mit der Vergabe der jährlichen Weltmeisterschaft an das "Ally Pally" wurde diese Tradition gewahrt.

Nur Londonkenner und Insider würden den Alexandra Palace sofort finden. Man muss mit der Underground nach Norden bis zur Station Wood Green fahren; ganz in der Nähe befindet sich das Fußballstadion von Arsenal London. Dann steigt man in einen roten Doppeldeckerbus und fährt mit ihm einen bei der Station beginnenden hohen Hügel hoch und landet dann bei den Hallen des Alexandraparks.

Der Hype um Ally Pally

Noch vor zwei Jahrzehnten waren Dartspieler und Zuschauer eine verschworene Gemeinschaft und eine überschaubare ruhige Menge. Inzwischen kommen täglich Tausende und jubeln ihren Idolen von den 3.500 Zuschauerplätzen frenetisch zu. Jeden Tag und über zwei Wochen lang, zweimal pro Tag in einer Daysession und einer Nightsession. Wer sich im Vorverkauf keines der mehr als 100.000 Tickets sichern konnte, muss es auf dem Schwarzmarkt versuchen.

2017 überträgt ein deutscher TV-Sportsender das Spektakel täglich mehrere Stunden live, und Millionen von deutschen Zuschauern schalten ein und versprechen dem Sender neue Rekordwerte. Wer sich Darts aus sportlicher Sicht angucken will, sollte lieber den Fernseher anschalten

"Sport" findet auch statt

Eigentlich ist es für die Zuschauer im "Ally Pally" egal, wer da vorne auf der Bühne die Pfeile wirft. Die Bühne ist viel zu weit weg von den in langen Reihen sitzenden Zuschauern, die das Geschehen auch auf riesigen Großbildschirmen verfolgen können – wenn sie es denn wollen. Viel wichtiger sind wohl auch die mit typischem britischen Humor durchsetzten Interaktionen zwischen den Zuschauergruppen, auf die man stets und schnell reagieren muss. Wenn ein Tisch offensichtlich zu wenig für den Bierumsatz sorgt, schallt ihm mit Sicherheit ein "Boring, boring table" entgegen. Da hilft nur ein gezielter gemeinsamer Gegenruf oder eine Bestellung, wenn nicht gerade die "180"-Schilder hochgerissen werden müssen, weil einer der Protagonisten auf der Bühne soeben mit seinen drei Pfeilen die Höchstpunktzahl 180 erreicht hat. Und das kann in einer Partie 10- bis 15-Mal passieren. Diese Zahl steigt gegen Ende des Turniers weit nach oben, weil die Spieler mehr Gewinnsätze benötigen, um die Partie für sich zu entscheiden.

Foto: 180 Punkte sind erreicht.

 

Das Schild mit der "180" trägt fast jeder Zuschauer bei sich. Die Rückseite läßt der eigenen Kreativität viel Raum. So war auf einer Rückseite zu lesen "Bitte keine Fotos von mir, ich bin krank geschrieben".

Um Geld geht es auch

2017 werden insgesamt 1,8 Millionen britische Pfund (etwa 2.029.000 Euro) an die Spieler ausgeschüttet. Das sind 150.000 Pfund mehr als im Vorjahr. Der Sieger erhält über 400.000 britische Pfund, aber nur 4.500 Pfund der Unterlegene in der Vorrunde und 11.000 Pfund der Verlierer in der ersten Runde. Dann heißt es "außer Spesen nichts gewesen".

Titelverteidiger 2017/2018 ist der Niederländer Michael van Gerwen. Er gilt als Topfavorit. Die anderen Favoriten heißen neben anderen Peter Wright, Gary Anderson und Raymond van Barneveld. 2017 ist aber auch ein wichtiges Jahr für den Rekord-Weltmeister Phil Taylor mit seinen 16 Titeln. Er bestimmte über Jahrzehnte den Dartssport und wird nach dem Turnier seine Karriere beenden.

Ein Neuling wird Weltmeister

Den Turniersieg und damit den Weltmeistertitel holte sich völlig überraschend der Newcomer Rob Cross, der im Halbfinale den amtierenden Weltmeister van Gerwen ausschaltete und im Finale überzeugend Phil Taylor mit einem klaren 7:2 bezwang.

Auch zwei deutsche Starter sind bei der WM dabei: Kevin Münch und Martin Schindler. Münch schaffte gleich in der ersten Runde eine Sensation, als er den zweifachen Weltmeister Adrian Lewis überzeugend besiegte. Schindler dagegen unterlag in der ersten Runde. Gleich nach Weihnachten schied auch Münch in der zweiten Runde aus, als er dem Spanier Antonio Alciras klar unterlegen war und das Achtelfinale verpasste

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P.S. Der Autor bittet Kenner der Karnevals- und Dartszene vorweg um Entschuldigung für eventuelle Fehler oder unbotmäßige Äußerungen oder überzogenen Humor, denn er hat an keinem dieser Spektakel jemals teilgenommen. 

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