Die Lahnstadt hielt 31 Monate

Es war seinerzeit offiziell nicht mehr als ein "Verwaltungsakt", der aber schon lange Jahre zuvor Gegenstand breiter, auch hitziger Diskussionen gewesen war. Die Debatte hatte nämlich schon Mitte der 1970er Jahre eingesetzt, als maßschneidernde Sozialdemokraten die mittelhessischen Städte Wetzlar (bisheriges Autokennzeichen WZ) und Gießen (Kennzeichen GI) im Jahr 1977 für exakt 31 Monate zum mittelhessischen Retortengebilde "Lahnstadt" zusammenfügten. Das Autokennzeichen L für Lahnstadt und Wahlverluste für die regionale SPD waren die Folge. Dass mit diesem L auch deutschlandpolitische Folgerungen zu ziehen waren, vergaß und verdrängte seinerzeit die sozialliberale Bundesregierung, obwohl sie darauf verwiesen worden war.

Die Frage nach der Wiedervereinigung

Dies belegen die Protokolle des Deutschen Bundestags aus der 9. Sitzung der 8. Wahlperiode vom 21. Januar 1977. Es waren zwei Fragen des Unionsabgeordneten Paul Gerlach mit folgendem Inhalt: Wie es denn nach Auffassung der Bundesregierung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag mit der DDR zu vereinbaren sei, "dass dem aus Gießen und Wetzlar zusammengesetzten neuen Stadtgebilde ‚Lahn' das für Leipzig reservierte Autokennzeichen L zugeteilt wurde?" Und: "Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit dieser Maßnahme die Glaubwürdigkeit des Strebens nach Wiedervereinigung beeinträchtigt wird?"

Die Wahl zwischen Geist und Buchstaben

Der damalige Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Ernst Haar, antwortete in 1977 knapp und formalistisch: "Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Es gibt auch keine Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften, nach denen der Buchstabe L als Kfz-Unterscheidungszeichen für Leipzig reserviert wurde". Punkt und Schluss. Der Staatssekretär Ernst Haar, ein eigentlich ziemlich penibler Schwabe, hatte im wahrsten Sinne des Wortes bei der Wahl zwischen Geist und Buchstaben ganz offensichtlich den Geist vergessen und den Buchstaben gewählt: L für Lahnstadt.

Die Stadt Gießen erhielt ihr GI zurück

Diese Retortenstadt aus zwei Kommunen, deren Einwohner sich selten grün waren und häufig gegenseitig beschimpften – die Giessener wurden Schlambeißer genannt, die Wetzlarer umgekehrt Pflasterschisser – gab es bald nicht mehr. Das L ging Anfang 1991 endgültig nach Leipzig, und die Hessen erhielten stattdessen für ihren Lahn-Dillkreis einschließlich der Stadt Wetzlar das bis heute gültige LDK. Die Gießener – als kreisfreie Stadt – erhielten ihr GI zurück. Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Die Wetzlarer und ihr Umland konnten sich nie mit dem LDK und dem Lahn-Dill-Kreis anfreunden. Also hat es wieder einen Verwaltungsakt gegeben. Er besagt, dass die Wetzlarer einschließlich derer aus dem alten Landkreis wahlweise wieder das altbekannte WZ im Schilde – also im Autoschild – führen dürfen.

 

 

 

 

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