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Selbstbehauptungswille unterm Terrorregime

Die Art und Weise, wie das Werk in Deutschland angekündigt wurde, ist ein leichter, sicherlich verzeihlicher Etikettenschwindel. Die Leser erfahren, dass hier ein fulminanter Künstlerroman vorliegt. Das ist nicht ganz falsch, aber die Wahrheit ist, dass es sich hier vor allem um eine familiäre Angelegenheit dreht, genauer: um einen familiären Überlebenskampf, bei dem das Künstlerische rein quantitativ nur eine zweitrangige Rolle spielt. Gewiss, Charlotte war ab 1936 nach langem Ringen an der Berliner Kunsthochschule immatrikuliert und gewann auch einen Preis, der ihr allerdings wegen ihrer jüdischen Herkunft aberkannt wurde. Glück und Elend: "Sie steht wieder auf und zerknüllt ihre Zeichnungen. Manche zerreißt sie." Und der malerische Furor, den sie im französischen "Exil" mit ihren textlich begleiteten Gouachen entfaltet und der sie posthum neu gebiert, nimmt auch einigen Raum ein. Doch wesentlich beeindruckender ist ihr Selbstbehauptungswille und vor allem die Fähigkeit, sich trotz innerer Widerstände zu verlieben, zunächst ist es der schöngeistige Hausfreund Albert, später heiratet sie den österreichischen Juden Alexander Nagler. Sofern Foenkino sich aufs seelisch errungene Romantische verlegt, erklimmt er sprachliche Bilder, die zu nachhaltigen Stimmungsbildern werden und sich festsetzen. Was ebenfalls haften bleibt, ist der Umstand, dass hier eine Suizidfamilie literarisch abgehandelt wird, vergleichbar mit anderen Dichter-und-Denker-Verbänden, etwa die Wittgensteins oder die Thomas Manns.

 

David Foenkino

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Gewöhnliche Worte, um Ungewöhnliches auszudrücken

Es ist nicht gerade von Vorteil, dass sich der Autor ins Geschehen einmischt und seine nachträglichen Spurensuchen und Recherchen einbaut, um sein emotionales Beteiligtsein zu unterstreichen. Das wird auch so klar. Nur: Durch die Vermischung von profanen Nachforschungen mit dem poetischen Anspruch entsteht ein formales und inhaltliches Defizit, das die fiktive Erhöhung konterkariert. Auf den ersten Blick präferiert Foenkino eine Art Prosalyrik, der es bei näherem Hinsehen an Poesie gebricht. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, für jeden Satz nur eine Zeile zu verwenden, auch wenn es rein drucktechnisch einmal eng wird oder der Inhalt, um es harmlos auszudrücken, eine Verkürzung hinnehmen muss. Immerhin hat der Autor das ungewöhnliche Talent, mit der Kombination weniger Worte ungewöhnlich viel auszudrücken. Assoziationen und Synästhesien entstehen gleichsam wie von selbst. Im Grunde ist das eine Poesie durch die Hintertür, die in Kunst- und Liebesdingen besonders wortreich wird, ohne – schon allein aus Erfolgs- bzw. Rezeptionsgründen - ins ätherisch Sublime abzugleiten. Obwohl ein Künstlerroman anvisiert ist, gehören die Liebespassagen mit Albert zu den sprachlichen Höhepunkten des Romans. Die emigrationsbedingte Heirat mit dem als hässlich-schön eingestuften Alexander kommt als reines Zweckbündnis daher. Fraglich ist, warum Foenkino seinen Roman durch die – kunst- und literarhistorisch belegten – Namen von Schweizer, Mendelsohn, Arendt und Benjamin aufbauschen muss, zumal diese Schwergewichte gar nicht in die Handlung eingreifen. Nun, letztlich ist Foenkino trotz einiger Ärgernisse ein lebendiges, bewegendes Werk gelungen. Er hat die in Vergessenheit geratene Künstlerin Charlotte Salomon zu neuem Leben erweckt.

David Foenkino: Charlotte. 2015 Deutsche Verlags-Anstalt, München. 240 Seiten.

 

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