"Hohe Herren von der Akademie!"

"Hohe Herren von der Akademie!

Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen.

In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender gemessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren, so wie ich es getan habe, streckenweise begleitet von vortrefflichen Menschen, Ratschlägen, Beifall und Orchestralmusik, aber im Grunde allein, denn alle Begleitung hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit von der Barriere. Diese Leistung wäre unmöglich gewesen, wenn ich eigensinnig hätte an meinem Ursprung, an den Erinnerungen der Jugend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auferlegt hatte; ich, freier Affe, fügte mich diesem Joch." Anke Pfletschinger beginnt ihren Monolog als Affe Rotpeter ruhig und gefasst. Zögernd, nachdenklich. Sie verstummt wieder. Spricht dann weiter. Sie macht deutlich, dass es ihr schwer fällt. Doch schon bald nimmt der Monolog Fahrt auf, bis sie dann wie ein Maschinengewehr die Worte aus sich herauspresst. Der Affe erinnert sich an den Beginn seiner Gefangenschaft: "Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich eingefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck - mit dem Führer habe ich übrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein geleert - lag im Ufergebüsch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief. Man schoss; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schüsse. Einen in die Wange; der war leicht; hinterließ aber eine große ausrasierte rote Narbe, die mir den widerlichen, ganz und gar unzutreffenden, förmlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unlängst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei."

Was ist es nun, was Franz Kafka uns mit diesem recht kurzen Text sagen will? Ist es Satire, Tragödie, Allegorie? Die Zuschauer mögen es jeder für sich interpretieren. Die Menschwerdung, das wird schnell deutlich, ist nicht so einfach zu bewerkstelligen. Anke Pfletschinger spricht schnell, als sie sich erinnert: "Das erste, was ich lernte, war: den Handschlag geben; Handschlag bezeigt Offenheit; mag nun heute, wo ich auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn stehe, zu jenem ersten Handschlag auch das offene Wort hinzukommen. Es wird für die Akademie nichts wesentlich Neues beibringen und weit hinter dem zurückbleiben, was man von mir verlangt hat und was ich beim besten Willen nicht sagen kann - immerhin, es soll die Richtlinie zeigen, auf welcher ein gewesener Affe in die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festgesetzt hat. Doch dürfte ich selbst das Geringfügige, was folgt, gewiss nicht sagen, wenn ich meiner nicht völlig sicher wäre und meine Stellung auf allen großen Varietébühnen der zivilisierten Welt sich nicht bis zur Unerschütterlichkeit gefestigt hätte." Aber nicht nur der Handschlag will erlernt werden, nein, auch die Geselligkeit fordert ihren Tribut. Nicht nur das Rauchen will gelernt sein, sondern auch das Trinken: "Die meiste Mühe machte mir die Schnapsflasche. Der Geruch peinigte mich; ich zwang mich mit allen Kräften; aber es vergingen Wochen, ehe ich mich überwand. Diese inneren Kämpfe nahmen die Leute merkwürdigerweise ernster als irgend etwas sonst an mir. Ich unterscheide die Leute auch in meiner Erinnerung nicht, aber da war einer, der kam immer wieder, allein oder mit Kameraden, bei Tag, bei Nacht, zu den verschiedensten Stunden; stellte sich mit der Flasche vor mich hin und gab mir Unterricht. Er begriff mich nicht, er wollte das Rätsel meines Seins lösen. Er entkorkte langsam die Flasche und blickte mich dann an, um zu prüfen, ob ich verstanden habe; ich gestehe, ich sah ihm immer mit wilder, mit überstürzter Aufmerksamkeit zu; einen solchen Menschenschüler findet kein Menschenlehrer auf dem ganzen Erdenrund; nachdem die Flasche entkorkt war, hob er sie zum Mund; ich mit meinen Blicken ihm nach bis in die Gurgel; er nickt, zufrieden mit mir, und setzt die Flasche an die Lippen; ich, entzückt von allmählicher Erkenntnis, kratze mich quietschend der Länge und Breite nach, wo es sich trifft; er freut sich, setzt die Flasche an und macht einen Schluck; ich, ungeduldig und verzweifelt, ihm nachzueifern, verunreinige mich in meinem Käfig, was wieder ihm große Genugtuung macht; und nun weit die Flasche von sich streckend und im Schwung sie wieder hinaufführend, trinkt er sie, übertrieben lehrhaft zurückgebeugt, mit einem Zuge leer. Ich, ermattet von allzu großem Verlangen, kann nicht mehr folgen und hänge schwach am Gitter, während er den theoretischen Unterricht damit beendet, dass er sich den Bauch streicht und grinst."

Der Affe wird an der Rückwand der Bühne ganz lebendig

Während des Vortrags stockt Anke Pfletschinger immer wieder und gibt den Bildern Raum, die an der Rückwand der sonst fast kahlen Bühne den Affen Rotpeter lebendig werden lassen. Die animierten Zeichnungen von Anna Gantimunova unterstützen die Schauspielerin in gekonnter Weise. Der Affe runzelt die Stirn, blickt erstaunt, verärgert, verängstigt, gepeinigt: Alles das können seine Augen und seine Mimik wunderbar erzählen. 

Der Affe berichtet weiter: "Und ich lernte, meine Herren. Ach, man lernt, wenn man muss; man lernt, wenn man einen Ausweg will; man lernt rücksichtslos. Man beaufsichtigt sich selbst mit der Peitsche; man zerfleischt sich beim geringsten Widerstand. Die Affennatur raste, sich überkugelnd, aus mir hinaus und weg, so dass mein erster Lehrer selbst davon fast äffisch wurde, bald den Unterricht aufgeben und in eine Heilanstalt gebracht werden musste. Glücklicherweise kam er bald wieder hervor.

Aber ich verbrauchte viele Lehrer, ja sogar einige Lehrer gleichzeitig. Als ich meiner Fähigkeiten schon sicherer geworden war, die Öffentlichkeit meinen Fortschritten folgte, meine Zukunft zu leuchten begann, nahm ich selbst Lehrer auf, ließ sie in fünf aufeinanderfolgenden Zimmern niedersetzen und lernte bei allen zugleich, indem ich ununterbrochen aus einem Zimmer ins andere sprang. ...

Es gibt eine ausgezeichnete deutsche Redensart: sich in die Büsche schlagen; das habe ich getan, ich habe mich in die Büsche geschlagen. Ich hatte keinen anderen Weg, immer vorausgesetzt, dass nicht die Freiheit zu wählen war. ...

Im ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen. Im übrigen will ich keines Menschen Urteil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur, auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich nur berichtet." 

Nach der Premiere eine Premiere

Der Vortrag ist geschafft, Anke Pfletschinger hat ganze Arbeit geleistet mit den überaus langen, verschachtelten Sätzen, die mit Sicherheit sehr schwer zu lernen sind. Und dann gibt es nach der Premiere noch eine Premiere: Kaum ist der begeisterte Beifall zu Ende, kommt für das Theater Die Komödianten Petra Bolek auf die Bühne. Sie erzählt von der Entwicklung des Kulturaustausches zwischen den beiden Theatern in Kiel und in Sovetsk und sie hat den russischen Regisseur des Stückes gleich mit dabei. Auch Anna Gantimunova kann zu ihren Zeichnungen Fragen beantworten. Eine Übersetzerin hilft, die Worte zu verstehen. Regisseur Artjom Terjochin vom Tilsit-Theater in Sovetsk erzählt begeistert von den Erfahrungen, die er macht, als er ohne Deutschkenntnisse mit einer deutschen Schauspielerin arbeitet. "Wir haben uns zunächst auf englisch verständigt, aber dann haben wir auch den Text in lauter verschiedene Textbausteine zergliedert und numeriert, das hat uns sehr geholfen." Ganz zum Schluss sind dann die Zuschauer dran mit ihrem zahlreichen Fragen. Eine davon beschäftigt viele: "Warum ist der Affe Rotpeter, der immerhin an einer Stelle von einer Schimpansin spricht, in dieser Inszenierung eine Frau?" Nun, die Antwort fällt dem quirligen Regisseur leicht: "Der Affe ist im russischen обезья́на, weiblich!" 

Gespielt wird das Stück noch heute Abend und auch am 11., 12., 18. und 19. Mai, jeweils um 20 Uhr. Kartenreservierung unter 0431 553401 im Theater Die Komödianten

Der Theateraustausch mit der Kieler Partnerstadt Sovetsk, dem ehemaligen Tilsit, geht im Herbst dieses Jahres weiter. Dann wird für das Theater Die Komödianten Ivan Dentler im Rahmen des Projekts am dortigen Tilsit-Theater als Gastregisseur arbeiten. 

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