Der Sitz von Bauch- und Kopfgehirn (Bild: OpenClips/Pixabay.com)

Körperbild (Bild: Nemo/Pixabay.com)

Der Aufbau des Bauchgehirns

Das Bauchgehirn, das den Magen-Darm-Trakt umfasst, verfügt über mehr als hundert Millionen Nervenzellen und enthält damit mehr Neuronen als das Rückenmark. Diese umspannen den Verdauungstrakt wie ein dünnes Netz. Damit ist genau die neuronale Struktur der Bauch- und Darmregion in Abgrenzung zum ZNS (Kopfgehirn und Rückenmark) und zum peripheren Nervensystem gemeint. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom "Enterischen Nervensystem" (ENS). Dieses "zweite Gehirn" ist nahezu das Abbild des Kopfgehirns, denn Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren sind identisch. Zelltypen und Rezeptoren des Magen- Darmtraktes stimmen also mit denen des Gehirns überein und kommunizieren miteinander über Botenstoffe, die zu denen des Kopfgehirns analog sind. Man kann das Bauchgehirn in diesem Zusammenhang auch mit einer riesigen Chemiefabrik vergleichen, die mindestens 40 Nervenbotenstoffe, darunter auch Dopamin und Serotonin, produziert und exakt reguliert. Das Bauchgehirn ist folglich auch eine Quelle psychoaktiver Substanzen, die mit Gemütslagen in Verbindung stehen. Ferner besteht eine Nervenstrangverbindung zu der Großhirnrinde und somit zum limbischen System, unserem Emotionszentrum im Gehirn. Das Bauchgehirn ist damit Teil des über den Nervus vagus mit dem Gehirn verbundenen parasympathischen Nervensystems. Insgesamt enthält das Bauchgehirn 90 % afferente (zum Gehirn hinführende) neuronale und 10 % efferente (vom Gehirn zum Darm führende) neuronale Verbindungen. Das Bauchgehirn sendet also viel mehr Signale zum Kopfhirn, als es von dort empfängt. Der Bauch hat mit anderen Worten dem Kopf weitaus mehr zu sagen als umgekehrt. Das bedeutet auch, dass im Bauchgehirn Nervenimpulse relativ unabhängig vom Kopfgehirn verarbeitet werden und dass sich die Darmfunktionen ohne großen Einfluss des Kopfgehirns selbstständig aufrechterhalten können. Das heißt: Das Bauchgehirn verarbeitet Nervenimpulse, die im Magen-Darm-Trakt entstehen und ist in der Lage, selbstständig Impulse in den Magen-Darm-Trakt zurückzusenden und damit autonom zu reagieren. Das Bauchgehirn ist folglich vom Kopfgehirn weitgehend unabhängig.

Verdauungstrakt (Bild: Nemo/Pixabay.com)

Das Bauchgehirn und seine "Helfer" (Bild: OpenClips/Pixabay.com)

Unterschiede zwischen Kopfgehirn und Bauchgehirn

Trotz vieler Gemeinsamkeiten bestehen zwischen dem eigentlichen Gehirn und dem Bauchgehirn aber auch erhebliche Unterschiede. So zeichnet sich das Gehirn im Kopf durch eine Reihe anatomischer und funktionaler Eigenschaften aus, die mit dem Bauchgehirn nichts gemein haben. Insbesondere die Hervorbringung kognitiver Fähigkeiten ist dem Kopfgehirn vorbehalten. Das heißt: Kognitive Prozesse finden ausschließlich im Kopfgehirn statt. Insofern bezeichnet der Begriff "Bauchentscheidung" eine Tätigkeit des Kopfgehirns und nicht des Bauchgehirns. Das Bauchgehirn generiert auch keine Gefühle, die denen ähnlich sind, die das Gehirn auslöst. Andererseits werden Entscheidungen "aus dem Bauch heraus", bzw. Entscheidungen, die auf einem "Bauchgefühl" beruhen, zwar vom "Kopfgehirn" getroffen, können aber nicht explizit begründet werden, sondern beruhen auf Intuition und damit auf unbewussten Prozessen, die vom Bauchgehirn herrühren. Und dies verweist auf das Zusammenspiel zwischen der kognitiven Tätigkeit des Kopfgehirns und der Einflussnahme durch das Bauchgehirn.

Signale des Gehirns (Bild: geralt/Pixabay.com)

Die Verbindung zwischen Bauch und Kopf (Bild: Nemo/Pixabay.com)

Die Kommunikation zwischen Bauchgehirn und Kopfgehirn

Bei sogenannten Bauchentscheidungen spielt die Körperwahrnehmung durch das Bauchgehirn eine große Rolle. Das heißt: Der Zustand der Bauch- und Darmregion wirkt auf die Selbstwahrnehmung und die Emotionen einer Person und kann so auf deren Denken Einfluss nehmen. Das Bauchgehirn beeinflusst also indirekt Entscheidungen, indem die Sinnesreize, die im Magen-Darm-Trakt entstehen und mit Hilfe der hier produzierten Nervenbotenstoffe zum Gehirn weitergeleitet werden, auf die subjektive Körperwahrnehmung einwirken. Das Bauchgehirn sendet mit anderen Worten Informationen vom Bauch an das Großhirn, die dort übersetzt werden in Unwohlsein oder Heiterkeit, Müdigkeit oder Vitalität, in schlechte oder in gute Laune. Und ist beispielsweise einer Person mulmig zumute, so entscheidet oder urteilt sie anders, als wenn sie in bester Laune wäre. Durch seine Fähigkeit zur Produktion psychoaktiver Substanzen, die mit Gemütslagen in Verbindung stehen, übt das Bauchgehirn also einen erheblichen Einfluss auf kognitive Entscheidungen aus. Die Einflussnahme erfolgt aber auch in umgekehrter Richtung. So gibt das Kopfgehirn, wenn es beispielsweise Anspannung oder Angst registriert, diese Informationen an das Bauchgehirn weiter, das daraufhin Magen und Darm zu bestimmten Reaktionen veranlasst. Insofern kann Ärger im wahrsten Sinne des Wortes "auf den Magen schlagen". Was dem Hirn geschieht, bleibt also dem Bauch nicht verborgen und umgekehrt. Als Resultat dieser Wechselbeziehung zwischen Bauchgehirn und Kopfgehirn entsteht nach Expertenmeinung im Kopfgehirn eine "Emotions-Gedächtnis-Bank", die alle hoch gesendeten Reaktionen und Daten des Bauches bezüglich Emotionen und Körperreaktionen in bestimmten Situationen sammelt. Und jedes Mal, wenn der Mensch eine Entscheidung in einer ähnlichen Situation fällen muss, basiert diese folglich nicht nur auf intellektuellen Kalkulationen, sondern wird massiv von jenen unbewussten Informationen aus dem gigantischen Katalog von gespeicherten Emotionen und Körperreaktionen mitgeprägt. In den meisten Fällen ist es auch von Vorteil, wenn Entscheidungen nicht nur vom Verstand bestimmt werden, sondern auch von der Intuition. In diesem Zusammenhang ist auch die Rede von der Weisheit des Bauches.

Kolibakterien (Bild: geralt/Pixabay.com)

Salmonellen (Bild: Wikilmages/Pixabay.com)

Die spezifischen Funktionen des Bauchgehirns

Über den Vagusnerv als "Leitstelle" informiert das Bauchgehirn das Kopfgehirn über die Situation im Darm, also über die Regelung von Darmmotorik und Verdauung. So "meldet es sich sofort zu Wort", wenn Krankheitserreger in den Darm eindringen oder Entzündungen entstehen, und setzt Abwehrmechanismen in Gang. Es hat auch direkte Beziehungen zum Immunsystem. Denn fünfundachtzig Prozent aller körpereigenen Abwehrzellen haben ihren Sitz im Darm und schützen so unseren Organismus vor Infektionen. Das Bauchgehirn kann damit auch "Auskunft geben" über den Zustand des Immunsystems. Aber auch über die Situation in anderen Organen ist das Bauchgehirn "im Bilde" und gibt diese Informationen an das Kopfgehirn weiter, kann aber auch Nachbarorganen selbst Anweisungen geben. Das Bauchgehirn empfängt also Informationen über physische Befindlichkeiten, wertet diese aus, es kontrolliert und reagiert. Nimmt man die Funktion des Bauchgehirns als "Seismograf" für die psychische Befindlichkeit des Menschen hinzu, kann dieses zweite Gehirn als Überlebensgarant für Leib und Seele bezeichnet und damit in seiner Bedeutung für die Erhaltung der menschlichen Gesundheit nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Passendes Medikament gesucht (Bild: geralt/Pixabay.com)

Vorsicht gereizt! (Bild: OpenClips/Pixabay.com)

Erkrankungen des Bauchgehirns

Wie groß die Bedeutung des Bauchgehirns für das Funktionieren von Leib und Seele ist, wird naturgemäß vor allem dann sichtbar, wenn dieses Nervensystem selbst erkrankt. So geht der aufgrund seiner weiten Verbreitung als Volkskrankheit bezeichnete Reizdarm (englisch: "irritable bowel syndrom" oder IBS) mit vielfältigen Störungen der Darmfunktionen einher. Nach Expertenmeinung könnten diese durch eine "neuronale Fehlfunktion" im Bauch verursacht werden, oder "das Darmgehirn spiele verrückt", oder "im Dialog zwischen oben und unten" hätten sich Missverständnisse eingeschlichen". Mehr als 50 verschiedene Krankheitsbilder werden mittlerweile mit solchen Fehlschaltungen in Zusammenhang gebracht. Auch Erkrankungen des Bauchgehirns verweisen also auf die enge Zusammenarbeit zwischen Bauch- und Kopfgehirn. Diese Zusammenarbeit ist deshalb auch ein wichtiger Ansatzpunkt für die Entwicklung von Medikamenten. So wurde vor kurzem das erste Medikament gegen das Reizdarmsyndrom auf den Markt gebracht, das auf den Erkenntnissen über den intensiven Zusammenhang von Bauchhirn und Kopfgehirn basiert. Es ist auch festgestellt worden, dass einige degenerative Erkrankungen des Gehirns, darunter Creutzfeld-Jakob, Alzheimer und Parkinson, mit dem gleichen Typ von Zellschäden im Bauchgehirn einhergehen.

Fazit

Das Enterische Nervensystem im Magen-Darm-Trakt, das Bauchgehirn, ist nicht nur ein Teil des hochkomplexen Verdauungsapparats, sondern auch Produzent psychoaktiver Substanzen, die die Gemüts- und Stimmungslage des Menschen beeinflussen. Und zwar gelangen neben bewussten Signalen wie Unwohlsein vor allem unbewusste Botschaften vom Darmgehirn zum Kopfgehirn. Dieses sendet wiederum Botschaften an das Darmgehirn. Die Kommunikation zwischen Bauch- und Kopfgehirn ist mit anderen Worten intensiv und umfassend, wobei der Informationsfluss vom Bauch zum Kopf überwiegt. Der Mensch profitiert vor allem dann von diesem feinabgestimmten Zusammenspiel zwischen Bauch- und Kopfgehirn, von Intuition und Verstand, wenn er sich bei seinen Entscheidungen nicht nur von sogenannten guten Argumenten leiten lässt, sondern auch seinem Bauchgefühl folgt. Und zwar bringt uns das Bauchgefühl meist dann weiter, wenn etwas schwer zu überblicken oder rational zu kalkulieren ist. Dann ist der Verstand schnell überfordert, da er nur wenige Informationen auf einmal erfassen kann.

Bildnachweis

Alle Bilder: Pixabay.com

Autor seit 11 Jahren
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