Was Faszien überhaupt sind, was sie leisten und warum sie Schmerzen verursachen können

Der Begriff Faszie ist aus dem Lateinischen entlehnt und meint Band oder Bündel. Rein optisch sind Faszien ein weißes Gewebe, das Knochen, Muskelfasern, Gelenke und Organe umhüllt. Wie Forschungen zeigen, enthalten diese Strukturen Rezeptoren, Nervenenden und sind von Lymphbahnen durchzogen. Das Fasziengewebe erweist sich als elastisches Netz, das sich zusammenfalten und dehnen kann und so flexibel jede Bewegung mitmacht. 

Das muss auch so sein. Ein Beispiel: Nur wenn sich Faszien zusammenziehen und dehnen, lassen sich Gelenke mühelos bewegen. Wie am Ellbogen: Faszien falten sich im äußeren Bereich eng zusammen, wenn der Arm gestreckt wird – ähnlich einer Ziehharmonika. Denn sonst wäre dieses Gewebe irgendwie im Weg. Beim Beugen muss es sich dann wieder dehnen. Leicht vorzustellen, was passiert, wenn das Gewebe verhärtet ist. Dann werden Bewegungen mühsam und schmerzhaft.

Zusätzlich fungieren Faszien als Sinnesorgan, um den eigenen Körper wahrzunehmen. Nur so wissen Menschen auch ohne hinzusehen, in welcher Position sich ihre Arme und Beine befinden. Faszien sind verblüffend sensibel: Versuche haben ergeben, dass sie sogar auf Stress reagieren. Sie ziehen sich messbar zusammen.

Dieses lebendige Gewebe ist verletzlich: Bei Verstauchungen, Schnittwunden, Knochenbrüchen oder Operationen kann es passieren, dass es durcheinanderkommt und stellenweise anschwillt, verhärtet oder verfilzt. Schon einseitige Belastungen reichen mitunter aus, dass sich das Gewebe ungut verschiebt, die komplizierte Architektur Risse bekommt. Das Ergebnis: eine fehlende Elastizität, die die Beweglichkeit einschränkt und Schmerzen aller Art verursachen kann.

Wie eine Faszienbehandlung abläuft – und wie sie sich anfühlt

Faszien können durcheinanderkommen. Distorsion meint in diesem Zusammenhang, dass irgendetwas ungut verdreht, gedehnt, verfilzt ist. Eine Faszientherapie zielt darauf, das verletzte Bindegewebe manuell anzuregen, sich neu zu organisieren. So können sich verklebte Abschnitte lösen.

Bevor Therapeuten überhaupt Hand anlegen, machen sie zunächst eine ausführliche Bestandsaufnahme. Berücksichtigt werden dabei natürlich die sichtbaren Beschwerden und Bewegungseinschränkungen. Entscheidend für die Behandlung ist aber, an welchen Stellen Patienten selbst Schmerzen und Spannungen wahrnehmen. Wer schon oft wegen solcher Beschwerden Hilfe gesucht hat, weiß, dass das nicht immer selbstverständlich ist.

Die eigentliche Behandlung nach dem Faszien-Distorsionsmodell ist dann eine ganz handfeste Sache, die kurzzeitig schmerzhaft sein kann. Welche Möglichkeiten Therapeuten zur Stimulation bestimmter Partien nutzen, zeigt ein Ausbildungsvideo auf Youtube. Vorab ein paar Erklärungen dazu:

Triggerbänder: Therapeuten streichen mit mehreren Fingern unter kräftigem Druck bestimmte Stränge – sogenannte Triggerbänder – entlang. Je nachdem, wie verdreht und verklebt die Partien sind, kann diese Faszienbehandlung für Patienten unangenehm, mitunter auch schmerzhaft sein. Doch es lohnt sich, das kurzzeitig auszuhalten. Sobald der Therapeut den Druck löst, ist alles okay.

Beschwerden, die verdrehte, aufgerissene, verklebte Faszienbänder hervorrufen können: brennende, ziehende Schmerzen entlang der Faszienbänder, Bewegungseinschränkungen und Schwächen.

Hernierter Triggerpunkt: Es gibt immer wieder Stellen, an denen sich das Bindegebe in Zwischenräume schieben kann, in die es nicht gehört. Zum Beispiel zwischen die Muskelstränge an Nacken und Schulter, die dann in ihrer Bewegung blockiert sind. Das Ergebnis kennen viele: ein steifer Nacken. Auf diese sogenannten hernierten Triggerpunkte wird in der Therapie mit den Fingern Druck ausgeübt, damit sich das Gewebe dahin zurückzieht, wo es eigentlich sein sollte. 

Beschwerden, wenn sich das Bindegewebe in Bereiche schiebt, in die es nicht gehört: lokaler, dumpfer Schmerz, der plötzlich oder langsam entstehen kann. Benachbarte Gelenke können in ihrer Bewegung dadurch eingeschränkt sein.

Kontinuum-Distorsion: Knochen, Muskeln und Bindegewebe haben die gleiche Entstehungsgeschichte – nur dass Knochen mehr Kalzium eingelagert haben und dadurch fester sind. Das Verhältnis dieser verschiedenen Strukturen zueinander wird gerne verglichen mit dem Übergang von der geschlossenen Eisdecke, über Packeis hin zu Wasser. Wenn die Eisschollen zu chaotisch übereinander liegen, kann es zu schmerzhaften Turbulenzen kommen. Auch da hilft die Faszientherapie, mit gezieltem – und kurzzeitig schmerzhaftem – Druck ein bisschen Ruhe und Ordnung in das Gewebe zu bringen. 

Beschwerden, die auftreten, wenn die Übergangszone zwischen Knochen und Sehne beispielsweise durch einen Sturz gestört ist: ein punktueller Schmerz, der plötzlich beginnt. Er kann lange andauern oder wieder verschwinden. Kraft und Feingefühl in dem betroffenen Gelenk sind vermindert. 

Faltdistorsion: Faszien, die die Gelenke einhüllen, kann man sich wie eine Ziehharmonika vorstellen. Wenn sie sich nicht mehr richtig zusammenfaltet, ist die Bewegung eingeschränkt. Dann versuchen Therapeuten, gezielt an Gelenken zu ziehen oder sie zu komprimieren, damit sich Faszien wieder richtig ordnen. Weh tut das nicht. Die Faltdistorsion bietet sich oft nach Verstauchungen an. An diesem Punkt unterscheidet sich die Faszien-Distorsionstherapie übrigens deutlich von anderen Behandlungen: Üblicherweise werden gestauchte Gelenke eher auseinandergezogen als kontrolliert "zusammengefaltet". 

Beschwerden, die falsch zusammengeschobene Faszien an Gelenken verursachen können: ein plötzlicher Schmerz, der tief im Gelenk sitzt und für ein instabiles Gefühl sorgt. Er kann lange bestehen bleiben. Die Bewegung ist nicht eingeschränkt, das Gelenk kann aber geschwollen sein. 

Zylinderdistorsion: Sie kennen bestimmt die Spielzeug-Springfedern, die fließend von Stufe zu Stufe rollen. So ähnlich kann man sich zylindrisch angeordnete, großräumige Faszien-Strukturen im Bereich von Bein und Schulter vorstellen. Leicht vorstellbar, was passiert, wenn sich die Spiralwindung verheddert. Um das Gewebe zu stimulieren, werden in der Therapie bestimmte Partien mit Schröpfgläsern oder Plastikschraubstöcken fixiert, bevor der Patient versucht, Schulter oder Bein zu bewegen. Aber das tut nicht weh.

Beschwerden, wenn sich oberflächliche Faszien verheddern: ein tiefer Schmerz, der meist plötzlich in der Nacht auftritt. Verbunden mit bizarren Symptomen.

Tektonische Fixation: Faszien können an der Oberfläche wie tektonische Platten angeordnet sein. Wenn sie sich nicht richtig übereinander schieben oder ineinander verkeilen, werden Bewegungen mühsam, die Gelenke steif. Durch ein gezieltes Führen des Gelenks – hier am Knie – können sich solche Verwerfungen lösen. Das sieht im Video unangenehmer aus als es ist. Es fühlt sich nur irgendwie ungewohnt an, ist aber immer schmerzfrei.

Beschwerden, die auftreten können, wenn das Bindegewebe nicht gut mit Flüssigkeit versorgt ist, verhärtet und steif wird: Diese Schmerzen entstehen erst allmählich, oft als Folge anderer Fasziendistorsionen.

Drei Beispiele: Tennisellenbogen, Fersensporn, Muskelschmerz

Beispiel 1: Tennisellenbogen

Anders als der Name vermuten lässt, hat der Tennisellenbogen nicht zwingend etwas mit Tennisspielen zu tun. Die Beschwerden am Ellenbogen treten auf, wenn man etwas mit der Hand greifen oder hochheben möchte. Oder einen Lappen auswringen. Dann kann es im Ellenbogen so ziehen und stechen, dass man gleich wieder loslässt. Entzündungsanzeichen wie Rötungen oder Schwellungen fehlen. Oft werden Schmerzmittel, Cortison und Spritzen verordnet. Ob Tennis-, Golferellenbogen oder Mausarm: Als alternative Behandlungsmethode bei solchen Schmerzen bietet sich das Faszien-Distorsionsmodell an. Je nachdem, welche Partien der Patient als schmerzhaft empfindet, werden Verklebungen an Triggerbändern gelöst oder aber die Übergangsregionen von Knochen zu Muskeln durch Druck auf einzelne Bereiche stimuliert (Kontinuumdistorsion).

 

Beispiel 2: Fersensporn

Es ist ein Kalkvorsprung unter der Ferse, der beim Auftreten so sticht, dass sich der Fuß kaum noch belasten lässt. Stoßwellentherapie oder eine Operation sind gängige Behandlungsmethoden bei Fersensporn (Fasciitis plantaris). Falls alles nichts nützt, bleiben als letzte Rettung nur genau angepasste Schuhe mit einer Aussparung im Fersenbereich. Aber es ist durchaus denkbar, dass die Beschwerden weniger von dem im Röntgenbild diagnostizierten Kalkvorsprung herrühren als von Faszien. Ursache können verklebte Triggerbänder im Fersenbereich sein, die sich durch kräftiges Entlangstreichen lösen lassen. Einen Versuch ist es wert – anders als eine Operation, bei der hinterher auch noch die Narben im Fuß Probleme machen können, ist die Faszientherapie ohne Risiko.

 

Beispiel 3: Schmerzen im Muskel

Es kann in Armen, Oberschenkeln oder Waden auftreten: ein schmerzhaftes Ziehen im Muskel. Meist wird davon ausgegangen, dass eine Muskelverletzung wie ein Muskelfaserriss für solche Beschwerden verantwortlich sind. Wenn Beschwerden im Muskel zum dauerhaften Begleiter werden, ist davon auszugehen, dass auch – oder sogar ausschließlich – Faszien betroffen sind. Werden schmerzende Muskeln nach dem Faszien-Distorsionsmodell behandelt, zeigt das prompt Wirkung. So prompt, dass die Faszien-Distorsionstherapie schon seit Jahren im Spitzensport eingesetzt wird. Der Osteopath und Notfallarzt Stephen Typaldos (1957–2006) entwickelte dieses Konzept 1991 nämlich ursprünglich für Athleten, die er betreute. Auch heute werden Fußballprofis der Bundesliga damit behandelt – wenn's sein muss, sogar in der Halbzeitpause oder am Spielfeld-Rand.

Fitness für die Faszien: Wie man das Bindegewebe trainieren kann

Die Faszienrolle, als sogenannte Blackroll erhältlich, ist eine gute Möglichkeit, das Bindegewebe gesund zu erhalten und zu regenerieren. Der Vorteil dieses Trainingsgeräts: Durch die fließenden Bewegungen, mit der die Rolle über die einzelnen Körperpartien wandert, besteht keine Gefahr, einzelne Passage zu sehr zu strapazieren. Worauf die Wirkung der Faszienrolle beruht, das dürfen Forscher noch klären. In jedem Fall drückt der Schaumstoff, den es in verschiedenen Härtegraden gibt, das Fasziengewebe kurzzeitig zusammen, die Gewebsflüssigkeit wird verdrängt. Wenn sich das Gewebe anschließend entspannt und dehnt, können sich Verklebungen lösen. Insofern bietet sich das Training mit der Faszienrolle beispielsweise vor und nach dem Sport an. Es gibt jede Menge verschiedener Übungen im Stehen und Liegen.

Wie Sie einen qualifizierten Therapeuten finden

Die Faszien-Distorsionstherapie ist eine Zusatzausbildung, die Ärzte, Heilpraktiker und Physiotherapeuten absolvieren können. Ein Verzeichnis geprüfter Therapeuten finden Sie auf der Website der EFDMA 
European Fascial Distortion Model Association. Die Einträge sind allerdings kostenpflichtig. Deswegen dürfte die Liste alles andere als vollständig sein. Da bleibt oft nur, sich vor Ort bei Therapeuten zu erkundigen.

Die Kosten einer FDM-Behandlung liegen zwischen 50 und 70 Euro, nach Angaben der EFDMA können es sogar bis zu 120 Euro sein. Sie werden in der Regel von privaten Krankenkassen und privaten Zusatzkrankenversicherungen erstattet. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten bislang nicht. Gesetzlich Versicherte müssen die Behandlung für solche alternativen Heilmethoden aus eigener Tasche zahlen, fünf Behandlungen sollten zunächst in jedem Fall einkalkuliert werden.

Die Gefahr, sinnlos viel Geld zu investieren, ist bei dieser Therapie allerdings nicht groß: Wenn Schmerzen oder Beschwerden wirklich von Faszien herrühren, zeitigt eine Behandlung relativ schnell Wirkung. Patienten spüren direkt im Anschluss oder spätestens im Lauf des Tages, ob sich Gelenke wieder leichter bewegen, sich eine Körperpartie geschmeidiger anfühlt, besser mitbewegt und weniger schmerzt. 

Natürlich ist die Faszien-Distorsionstherapie kein Allheilmittel. Deswegen ist es wichtig, sich einen Therapeuten zu suchen, der die ganze Bandbreite therapeutischer Möglichkeiten überblickt. Nur so ist zu entscheiden, was im Einzelfall am ehesten hilft.

Ideal ist natürlich, wenn FDM-Therapeuten selbst noch weitere Methoden beherrschen, die sich ergänzend anbieten. Im Fall der Faszien gehört dazu vor allem die Osteopathie. Denn auch innere Organe sind mit Faszien umhüllt. Und natürlich nimmt der Bauchraum im Fasziennetz des Körpers eine zentrale Position ein. Doch gerade diesen Bereich spart die Faszien-Distorsionstherapie bisher aus. Doch auch mit den sanften Berührungen osteopathischer Techniken lassen sich Faszien im Bauchraum behandeln.

Ausblick: Es gibt noch vieles zu erforschen

Im Bereich der Faszientherapie bleibt noch viel zu erforschen. Doch schon jetzt liefert das Modell Erklärungen, warum einige alternative Heilmethoden so gut wirken. Ein Beispiel ist das Rolfing, eine Bindegewebsmassage, die in den 50er-Jahren entwickelt wurde und ebenfalls darauf zielt, Faszien zu stimulieren. Auch Bewegungstherapien wie Pilates, Eurythmie, Tai-Chi, Qigong und Yoga können sich heilsam auf das Bindegewebe auswirken. 

Nur mit Akupunktur sollte nicht parallel zur Faszientherapie behandelt werden. Das ist für den Körper zu verwirrend. Es sind zu viele verschiedene Impulse, die da zusammentreffen. Mit zeitlichen Abstand spricht allerdings nichts dagegen, beide Therapien einzusetzen.

Weitere Informationen zum Thema Faszien und ihre Behandlung sind auf der Website der EFDMA 
European Fascial Distortion Model Association (www.fdm-europe.com) mit Sitz in Wien zu finden.

Zum Weiterlesen: Das Fasziendistorsionsmodell (FDM) 3. Auflage. Herausgegeben von der European Fascial Distortion Model Association (EFDMA).
 3. überarbeitete Auflage 2014, 220 Seiten, 77 Abbildungen, gebunden
. 
ISBN: 978-3-9502774-8-7, Preis: 100 Euro. 

Dieser Beitrag basiert auf Gesprächen mit Frank Heller, Physiotherapeut und Heilpraktiker in Offenburg (Faszien-Distorsionstherapie, Traditionelle Chinesische Medizin).

Fotonachweis (von oben): Wilhelmine Wulff, Petra Bork, Sabrina Knak, Gabriele Planthabe, Robert Babiak jun., Angelina S. K. und Dorothea Jacob (alle pixelio.de)

Bearbeitung: Heimo Cörlin

Mondstein, am 20.03.2013
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